Aufrechte Haltung

Porträt Iman kennt den Rassismus in der Modewelt nur zu gut. Als erstes schwarzes Topmodel und Ehefrau von David Bowie nutzt sie den Glamour nun für Somalia
Ausgabe 29/2014

Ein warmer Sommertag in New York, Soho: Im Studio des Promi-Fotografen Platon sind die Wände vollgehängt mit Großaufnahmen weißer Männer – Bill Clinton, Bill Gates, Saddam Hussein. Mittendrin, nicht zwei- sondern dreidimensional, eine schwarze Frau: Iman Mohamed Adulmajid. Sie gibt ihr Bestes, Platons Anweisungen zu entsprechen. „Das ist wunderbar, Süße! Ja, dreh das Kinn, genau so. Danke, Schatz!“

Vor 24 Jahren hat Iman sich aus dem Modelgeschäft zurückgezogen. Das sieht man der 58-Jährigen keineswegs an. Sie sitzt vor einem weißen Hintergrund, in schwarzen Jeans und einem schwarzen Pullover, der ihren schlanken Hals betont. Platon setzt sich hin, um ihr seine nächsten Anweisungen zuzuflüstern: „Ich will dein Mitgefühl sehen. Und deine Unerschrockenheit. Zeig mir, dass du eine tapfere Frau bist. Zeig es mir mit deinen Augen.“ Und Iman: zeigt es ihm mit ihren Augen.

Sie war das erste schwarze Supermodel der Welt. Das erste schwarze Model, das ernsthaft Geld verdient hat. Das erste, das zum Gesicht einer globalen Kosmetikfirma (Revlon) avancierte. Und es ist wohl kein Zufall, dass sie vom Model zu einer höchst erfolgreichen Geschäftsfrau wurde, mit einer eigenen Kosmetikfirma, die mittlerweile 25 Millionen Dollar wert ist. So wie es vermutlich auch kein Zufall ist, dass sie mit David Bowie eine Musiklegende geheiratet hat und damit zu einer Hälfte eines globales Superpaars wurde. Iman, schwant einem, wenn man sie so beobachtet, macht die Dinge auf ihre ganz eigene Art.

Eine Straße in Nairobi

Jedes Topmodel hat einen eigenen Schöpfungsmythos, eine Zufallsbegegnung, die zu Weltruhm führte. Imans Entdeckungsgeschichte ist eine der besten. Sie lief nicht durch den Flughafen JFK wie Kate Moss oder durch den Londoner Stadtteil Covent Garden wie Naomi Campbell. Iman lief über eine Straße in Nairobi. Das war im Jahr 1975. Sie war gerade mal 20, eine aus Somalia nach Kenia geflüchtete junge Frau, und sie fiel dem Fotografen Peter Beard auf. Er fragte sie, ob er Aufnahmen von ihr machen dürfe. Als sie zögerte, bot er ihr Geld an. „Wie viel wollen Sie?“ Iman antwortete: „8.000 Dollar.“ Das war die Gesamtsumme ihrer Studiengebühren, damals eine exorbitante Summe. Aber: „Was hätte schon passieren können?“, fragt Iman. „Meine Mutter hatte mich mal gefragt: ,Wenn Gott dir einen Wunsch gewähren würde, was würdest du dir wünschen?‘ Als ich überlegte, sagte sie: ,Wenn du darüber nachdenken musst, bist du es nicht wert. Warum nicht?‘, fragte ich. Und sie sagte: ,Verlang alles!‘“

Wie ernst Iman diese Haltung bis heute nimmt, zeigt sich, als wir in dem kleinen Café ankommen, in dem das Interview stattfinden soll. Zuerst wechseln wir auf ihren Wunsch den Tisch. Dann bitten wir darum, dass die Musik leiser gemacht wird.Ihre PR-Frau sagt, dass das Auto, das Iman abholen soll, schon für vier Uhr bestellt werden solle, und ich bekomme leichte Panik, denn das wären nur 40 Minuten für das Gespräch. „Nein“, weist Iman die PR-Frau an, „bestellen Sie es für Viertel vor vier.“ Meinen Protest winkt sie ab. „Ich will nur sicher gehen, dass der Fahrer auf mich wartet – und nicht ich auf ihn.“

Direktheit ist kein Problem für Iman. Und das ist eine Besonderheit in einer Branche, in der Frauen buchstäblich nicht gehört, sondern lediglich gesehen werden sollen. Als sie anfing und feststellte, dass es unterschiedliche Preislisten für weiße und schwarze Models gab, weigerte sie sich, das zu akzeptieren. „Ich habe ja den gleichen Job gemacht – warum sollte ich weniger Geld kriegen?“ Fast 40 Jahre später scheint sich in dieser Hinsicht nicht allzu viel geändert zu haben. Darum hat Iman 2013 gemeinsam mit dem schwarzen Ex-Model Bethann Hardison und mit Naomi Campbell eine Kampagne ins Leben gerufen, um Modefirmen dazu zu bringen, mehr schwarze Models zu engagieren. Zunächst gaben sie eine Studie in Auftrag und stellten fest, dass manche Marken – etwa Chloé – noch nie ein nichtweißes Model gebucht hatten. Andere wie YSL, Versace, Gucci, Donna Karan oder Calvin Klein hatten es seit Jahren nicht mehr getan. „So wird die Botschaft vermittelt, unsere Mädchen seien nicht schön genug“, sagt Iman. Direktheit? War auch hier kein Problem für sie. Sie bezeichnete die genannten Marken öffentlich als rassistisch und rief dazu auf, diese so lange zu boykottieren, bis sie ihre Modelpolitik geändert hätten. Wenn es um den Rassismus in der Modebranche geht, hat sie etliche Anekdoten auf Lager. Etwa die eines Redakteurs, der zu ihr sagte, sie sehe aus „wie eine weiße Frau, die man in Schokolade getaucht“ habe.

Iman kam zwar als sehr junge Frau aus Afrika in den Norden – aber naiv war sie nie, auch damals nicht. Sie sprach vier Sprachen, hatte ein Internat in Ägypten besucht und in Tansania und Kenia gelebt. Für eine Weile lebte sie auch in Kiew, wo sie lernte, wie man eine Kalaschnikow lädt. Ihr Heimatland Somalia unterhielt damals enge Kontakte zur Sowjetunion. Beide Eltern waren in den 60er Jahren in der somalischen Unabhängigkeitsbewegung aktiv, die dem Putsch von 1969 vorausging. „Ich erinnere mich noch gut, wie viel bei uns zu Hause immer los war, als ich vielleicht fünf war. Mitten in der Nacht kamen Leute, es gab Treffen, wir gingen zu Demonstrationen.“ Ihre Mutter habe ihr beigebracht, dass „niemand dir den Selbstwert nehmen kann, außer du lässt es zu“. Iman wuchs mit zwei Brüdern auf, ihre Mutter sagte: „Es gibt nichts, was die Jungs können, das du nicht auch kannst. Wenn nicht sogar besser.“

Heute schlägt sich diese Haltung vor allem in Imans politischem Engagement nieder. Sie unterstützt die Dr. Hawa Abdi Foundation, eine Wohltätigkeitsorganisation, die in Somalia ansässig ist und dort von drei Frauen geführt wird, mit dem Ziel, Grundrechte wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Nahrung in dem ostafrikanischen Land durchzusetzen. Die Stiftung konzentriert sich dabei auf Kinder und Frauen, denn deren Lage ist im Somalia dieser Tage besonders schlimm.

„Als ich aufwuchs, trugen somalische Frauen traditionelle Kleidung – oder westliche. Wir sind zur Schule gegangen. Doch die Schulen gibt es heute nicht mehr. Frauen dürfen noch nicht einmal mehr Auto fahren. Das Land wird von Extremisten regiert“, sagt Iman. „Es war auch früher schon ein muslimisches Land. Aber es hatte seine eigene Kultur, bevor es den Islam annahm, und diese alte Kultur wurde auch noch akzeptiert. Man war also durchaus muslimisch – zuerst einmal war man aber Somalier oder Somalierin.“

Wo ist zu Hause?

Die Stiftung, in der sie sich engagiert, ist nach Dr. Hawa Abdi benannt, der ersten somalischen Gynäkologin überhaupt. Dr. Hawa war einmal für den Nobelpreis nominier. Bis zu 90.000 Menschen versorgt ihre Organisation, unter schwierigsten Bedingungen. Das stiftungseigene Krankenhaus zum Beispiel wurde immer wieder von somalischen Truppen angegriffen. Im vergangenen Jahr erschien ein Film mit dem Titel Through the Fire, er dokumentiert die Arbeit der Stiftung. „Ich hätte es nicht erwartet, aber ich habe mir die Augen ausgeweint. Ich weiß nicht, ob das für andere vorstellbar ist – aber das Somalia, das ich kannte, existiert nicht mehr. Egal, wie viel Geld ich verdiene: Niemals werde ich meinen Eltern ihren einzigen Wunsch erfüllen können, dort einmal beerdigt zu werden. Sie leben in Washington, aber sie wollen zurück. Somalia ist ihr Land.“

Imans Land ist Somalia allerdings nicht mehr. Ihre Heimat ist inzwischen New York. Als sie ihrem Ehemann David Bowie das erste Mal begegnete, lebte dieser in der Schweiz. „Ich zog zu ihm, aber nur für kurze Zeit. Dann sagte ich: ‚Lass uns alles nach New York schaffen.‘ Ich bin eindeutig New Yorkerin. Ich wollte nach Hause.“

Die Kindheit, die ihre mit Bowie gezeugte Tochter Lexi, knapp 14, heute in den USA erlebt, unterscheidet sich natürlich radikal von Imans eigener. Denkt sie manchmal darüber nach, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie damals, in Kenia, eine andere Straße entlanggelaufen wäre und Peter Beard niemals getroffen hätte? „Aber ja! Ich hatte einfach Glück. Ich könnte jetzt ebenso gut in einem Flüchtlingslager sein. Es gibt Menschen, die seit 20 Jahren in solchen Lagern leben, vielleicht wäre ich eine von ihnen. Das ist einer der Gründe, warum ich helfen will.“ Und sie betont noch einmal: „Mein Gesicht ist das Gesicht eines Flüchtlings.“

Beide, Iman und Bowie, erleben die Elternschaft gerade zum zweiten Mal – und sie scheinen es zu genießen. Mit seiner ersten Frau, der Schauspielerin Angela Barnett, zeugte Bowie seinen Sohn Duncan Jones, alias Zowie Bowie, der inzwischen 43 Jahre alt ist und als Regisseur arbeitet. Imans erste Tochter Zulekha wurde 1978 geboren, als das Model mit dem Basketballspieler Spencer Haywood verheiratet war. Bowies und Imans gemeinsame Tochter Alexandria Zahra, Lexi genannt, kam im Jahr 2000 zur Welt. 22 Jahre sind die beiden Stars nun verheiratet, und Iman sagt: „David ist häuslicher als ich. Ich gehe ab und zu noch auf eine Party. Er fast gar nicht mehr. Aber: Es gibt ja auch nichts, was er nicht schon gesehen hat.“

Bowie hat einmal gesagt, er habe sofort gewusst, dass sie die Richtige für ihn sei, seine künftige Frau. Iman war zögerlicher: „Ich war nicht für eine Beziehung bereit, schon gar nicht mit jemandem wie ihm. Aber dann war es einfach so, dass ich mich in David Jones verliebt habe – nicht in David Bowie. Bowie ist Sänger, Entertainer, eine Rolle. David Jones ist der Mann, den ich kennengelernt habe.“ Wie berühmt jener Mann nebenbei ist, findet Tochter Lexi gerade heraus: „Neulich hat sie ihn gefragt, warum er früher eigentlich lilafarbenes Haar hatte.“

Mit ihrer Kosmetikfirma hat Iman ihr eigenes Business am Laufen, und das eben sehr erfolgreich. „Ich arbeite einfach gerne. Was ist denn die andere Option? Zu Hause sitzen und Bonbons essen? Mir macht die Arbeit Spaß.“ Leben sie etwa die Umkehrung der traditionellen Rollenverteilung? „Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Er verdient wirklich sehr viel mehr Geld als ich.“ Das Gespräch driftet für ihren Geschmack offenbar in die falsche Richtung ab. Sie wirft mir einen harten Blick zu: „Ich hoffe, Sie werden über Dr. Hawa und Somalia schreiben. Deshalb bin ich hier.“

Dr. Hawa Abdi, die Namensgeberin der somalischen Stiftung, ist als Kind beschnitten worden, wie Millionen kleiner Mädchen. Aber Iman betont: „Weibliche Genitalbeschneidung ist nicht mein Thema. Mir geht es darum, dass Mädchen in Somalia nicht mehr unterrichtet werden, seit 1990 wurde keine Schule mehr eröffnet. Bis Dr. Hawa nun wieder eine aufbaute.“ Imans Ziel: „Ich will, dass eine große Organisation wie Save the Children oder die UNO in Somalia sich mit Dr. Hawa zusammentut. Es fließt jede Menge Geld in die UNO, aber das bleibt in deren Anlagen in Mogadischu. Ich sage, dass es einen Weg gibt, die Frauen, die dort wirklich leben und etwas auf die Beine stellen, finanziell zu unterstützen.“ An diesem Punkt wird das Gespräch noch interessanter, als es ohnehin schon war – aber es wird auch etwas diffus. Ausgerechnet jetzt weist die PR-Frau darauf hin, dass das Auto da sei. Und Iman erklärt, ganz wie es ihre Art ist, das Interview für beendet.

Hunger und Gewalt: Somalias traurige Geschichte

Das Land liegt am Horn von Afrika, dem östlichsten Ende des Kontinents, und
ist, ähnlich wie Deutschland, föderal strukturiert, als Bundesrepublik Somalia. Nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg gilt Somalia mittlerweile jedoch als Failed State, als gescheiterter Staat.

Der Norden war lange Zeit von Großbritannien kolonisiert, der Süden von Italien. Erst 1960 erlangten die beiden Landesteile als Somalia ihre Unabhängigkeit. Doch mit mehreren Nachbarländern kam es schon damals zu Spannungen wegen ungeklärter Grenz- und Gebietsansprüche. Außerdem gibt es anhaltende Rivalitäten zwischen dem nördlichen und dem südlichen Landesteil, verschiedenen Milizen, Clans und Re-
bellengruppen.

1969 übernahm der von Militärs unterstützte Diktator Siad Barre die Regierung. Die politischen und religiösen Gräben im Land wollte er mit einem „wissenschaftlichen Sozialismus“ befrieden – vergeblich. 1991 gelang es Rebellengruppen, ihn zu stürzen. Darauf entbrannte ein Bürgerkrieg, in dessen Folge auch radikalislamistische Gruppierungen an Einfluss gewannen. Die Bildung einer handlungsfähigen Regierung ist seither immer wieder gescheitert, auch internationale Interventionen unter UN-Mandat konnten das Land bislang nicht zur Ruhe bringen.

Internationale Aufmerksamkeit erregt Somalia mit verheerenden Hungersnöten, etwa 1992 und 2011. Der Hunger ist größtenteils eine Folge des Kriegs. Nach UN-Angaben starben deswegen allein zwischen 2010 und 2012 über 250.000 Menschen. Derweil steigt die Zahl der Kinderarbeiter und Kindersoldaten in Somalia stetig an.KK

Carole Cadwalladr schreibt für den Observer

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Carole Cadwalladr | The Guardian

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