Auch wenn es im Zuge der Ehec-Welle derzeit so erscheint, sind nicht alle Escherichia coli-Bakterien böse. Tatsächlich sind die meisten Formen für ihren Wirt sogar nützlich. E. coli gehört zur normalen Darmflora, sein bevorzugter Lebensraum ist der Dickdarm. Er beschützt seinen Wirt, da er, kurz nach Geburt eines Kindes, die noch leere Fläche im Darm besiedelt und krankheitserrgende Bakterien durch seine schiere Zahl verdrängt. Darüber hinaus produziert er Vitamin K2, das für eine Reihe wichtiger Körperfunktionen gebraucht wird.
E. coli finden sich aber nicht allein im menschlichen Dickdarm: Die Gedärme von Nutztieren beherbergen ihre je eigenen Formen. Um also zu bestimmen, ob kontaminierende Fäkalien einer defekten Kläranlage oder landwirtschaftlichen Betrieben entstammen, muss ihre DNA untersucht werden. Die Quelle der Kontamination durch E. coli auf diese Weise einzuschränken, wird allerdings durch eine Eigenschaft erschwert, die allen Bakterien gemein ist: „DNA-Tausch“.
So unterschiedlich wie Mensch und Papagei
Es ist die faszinierende und seltsame Fähigkeit von Bakterien, sich so zu verhalten, als seien sie aus verschiedenen Arten zusammengesetzte Super-Organismen, und nicht einfach nur verschiedene Formen derselben Art: Bakterien folgen nicht den Prinzipien anderer Spezies. Damit meine ich ihre Angewohnheit, kleine Abschnitte ihrer DNA mit benachbarten Bakterien zu tauschen, ungeachtet der Spezieszugehörigkeiten. Weil der DNA-Tausch unter Bakterien sich von dem unterscheidet, was passiert, wenn Eltern ihrem Nachwuchs Kopien ihrer DNA mit auf den Weg geben (vertikaler Gen-Transfer), wird dieser Vorgang horizontaler Gen-Transfer genannt. Mehr als einfach ein Pferd und einen Esel zu hybridisieren, und so ein unfruchtbares Maultier zu erzeugen, können Bakterien-Arten, die so unterschiedlich sind wie ein Mensch und ein Papagei, ausgewählte Segmente ihrer DNA miteinander teilen und dennoch ihre Reproduktionsfähigkeit erhalten.
Bakterien verwenden zum Tausch ihrer DNA grundsätzlich drei unterschiedliche Verfahren – Konjugation, Transduktion (durch Viren) und Transformation (Aufnahme von freier DNA). Der wahrscheinlichste Weg, auf dem der krankmachende E. coli aus Norddeutschland seine giftigen Gene aufgenommen haben, ist die bakterielle Konjugation, eine Art Bakteriensex. Von bakterieller Konjugation spricht man dann, wenn ein Bakterium – der Spender – seine DNA auf ein anderes Bakterium mithilfe eines „Sex-Pilus“ überträgt. Konjugation ist aber nicht mit sexueller Reproduktion identisch, denn die Spender-Bakterien teilen nicht die Hälfte ihrer DNA mit ihrem Nachwuchs, sondern übertragen nur einen kleinen Abschnitt an das nicht von ihnen abstammende Empfänger-Bakterium. Dieses kleine Segment ist überhaupt nicht im bakteriellen Genom enthalten. Es handelt sich vielmehr um einen kleinen Ring extrachromosomaler DNA, die unter dem Namen „Plasmide“ bekannt sind. Plasmide enthalten keines der vielen hundert lebenswichtigen Haushältergene, sondern nur ein paar „zusätzliche“ Gene, die unter bestimmten Umständen von Nutzen sein könnten – Gene, wie zum Beispiel solche, die gegen einen bestimmten Typ von Antibiotika resistent machen.
Das Bakterium als Briefmarkensammler
Fast wie kleine Briefmarkensammler sammeln und horten Bakterien diese Plasmide mit großem Eifer und sind dabei nicht wählerisch – weder in Bezug darauf, welche Art von DNA sie sich einverleiben, noch hinsichtlich der Frage, woher die DNA des Plasmids stammt. Gutartige Darmbewohner können Gene aufnehmen, die sie Jekyll-and-Hyde-mäßig in kleine Monster verwandeln, ihren Trägern Schaden zufügen oder für diese sogar tödlich sein können. Ein solches Plasmid enthält den genetischen Entwurf zur Herstellung eines Gifts, das in Form und Funktion auf verblüffende Weise demjenigen krankheitserregender Bakterien ähnelt: Shigella dysenteriae.
Der Giftstoff greift und tötet Schleimhautzellen, insbesondere im Dickdarm und in den Nieren. Eine große Zahl von Zellen, worauf massive Blutungen folgen – die Ursache für blutigen Durchfall (Dysentrie, Ruhr), eine blutige Entzündung des Dickdarms sowie das hämolytisch-urämische Syndrom. Alle können tödlich sein. Wissenschaftler haben den E. coli-Stamm, der sich in Deutschland ausbreitet, als Ehec (enterohämorrhagische Escherichia coli) identifiziert.
In ein Plasmid eingeschrieben, können die Instruktionen für die Herstellung des Shiga-Giftes mittels bakterieller Konjugation auf Darmbakterien übertragen werden und das Gift kann so wie mit einem trojanischen Pferd in den Darm eindringen und die uns zuvor beschützenden E.coli in kleine Monster verwandeln. Die ansteckende Dosis dieses besonderen Stammes von E-coli ist erstaunlich gering: nur 10 bis 100 Bakterien (Greig et al, 2010).
EHEC kommt nicht aus dem Nichts
Aber EHEC kann nicht einfach so aus dem Nichts entstehen: Es muss irgendwoher kommen. Wie also kamen der oder die Träger (möglicherweise die niedersächsischen Sprossen, oder ein anderes Lebensmittel) mit dieser Krankheit in Verbindung? Hat ein Kranker zu irgendeinem Zeitpunkt mit ihnen zu tun gehabt? Wenn man bedenkt, wie viele Leute mit der Produktion, dem Transport und der Zubereitung des Essens befasst sind – von den Landwirten/Gärtnern, den Pflückern, denjenigen, die das Gemüse verpacken und durch die Gegend fahren, bis hin zu denen, die die Regale in den Groß- und Supermärkten auffüllen, und den Köchen – ist es eigentlich erstaunlich, dass derlei Epidemien nicht häufiger ausbrechen – von dem, was in den meisten Küchen vor sich geht, während das Essen zubereitet wird, ganz zu schweigen.
Wie aber wurde dieses frische und gesunde Gemüse infiziert? Die Vernunft sagt, dass es nicht infiziert wurde, da Gemüse keinen Dickdarm besitzt, den E.coli besiedeln könnten. Infektionen mit E. coli haben ihren Ursprung in der Haustierhaltung, das Gemüse ist lediglich der Überträger. Darüber hinaus legt die schiere Größe dieses Ausbruchs und die mögliche Verschiedenheit der beteiligten Gemüse eine gemeinsame Quelle nahe: das Grundwasser.
Epidemiologen haben einige für den Menschen schädliche E.coli-Stämme dokumentiert, die von Natur aus bei Schafen und Rindern vorkommen, wo sie keine Krankheiten verursachen, sondern ihre Träger beschützen. Da Vieh täglich viel Wasser braucht (oft stehen sie knietief im Wasser und kacken hinein) und häufig sehr dicht gehalten wird, können sie ein Quellpunkt der E.coli-Infektionen sein und das übertragende Gemüse könnte durch Abwässer von Rinderfarmen kontaminiert worden sein.
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Der Zoologe Josef Reichholf belegt, das in Deutschland auf landwirtschaftlichen Flächen mehr als zweieinhalbmal so viel große Säugetiere wie in der Serengeti, der an Wildtieren reichsten Region der Erde leben. Anders als die menschenleere Serengeti wird Deutschland jedoch noch von über 80 Millionen Menschen bevölkert. Somit kommt auf jeden Quadratkilometer Deutschlands eine Biomasse von 90 Tonnen/qkm und nur 20 t/qkm in der Serengeti. Menschliche Abwässer und industrielle Emissionen werden zwar durch aufwendige Kläranlagen aufbereitet, Abwässer aus der Massentierhaltung werden jedoch u n g e k l ä r t ins Grundwasser geleitet. ( Reichholf, Josef H. (2004): Der Tanz um das goldene Kalb. Der Ökokolonialismus Europas. Wagenbach, Berlin.) Lassen Sie sich das nochmal auf der Zunge zergehen: Abwässer aus der Massentierhaltung werden ungeklärt ins Grundwasser geleitet. (!!!!!) Die Schlußfolgerung liegt nahe, dass in der Nähe zu großen landwirtschaftlichen Betrieben Grundwasser und Trinkwasser nach Keimen untersucht werden sollten, um die Kontaminationskette zu klären. Welche Behörde wird sich trauen, das anzuordnen und die Warnung rauszugeben, dass Grundwasser und damit Trinkwasser eine potentielle Ansteckungsquelle sein kann?
Willi Kilp aus Karben bestätigt in einem Leserbrief, dass über den Erlenbach Jauche entsorgt wird. "Keiner kümmert sich darum. Er stinkt an manchen Tagen schlimm." (FNP 21.6.2011)
"Tatsache ist, dass die für den Erlenbach zuständige
Wasserbehörde bis zum Montag nicht informiert worden ist. Das ist insofern ärgerlich, da ja bislang noch gar nicht geklärt ist, ob die EHEC-Keime überhaupt durch das Klärwerk in den Erlenbach geraten sind, oder bereits vor beziehungsweise erst nach der Anlage. Endgültige Klarheit werden wohl erst die Proben bringen."
www.fnp.de/fnp/region/lokales/usinger-land/informationen-fliessen-nicht_rmn01.c.9000257.de.html
Jetzt schreibt sogar der Spiegel, dass Experten davon ausgehen, dass eine Keimbelastung von Flüssen und Bächen vorliegen kann, weil die Klärwerke nicht dafür ausgelegt sind, bakteriologische Probleme zu beseitigen. Es wird gewarnt vor verunreinigtem Brauchwasser.
Es wird aber immer noch darauf verwiesen, dass menschliche Abwässer ungeklärt in die Bäche kommen können. Von Gülle ist nicht die Rede....