In Anbetracht der allgemeinen wirtschaftlichen Verwerfungen und der Krise von Second Life im Besonderen könnte man meinen, der Zeitpunkt sei nicht gerade günstig, eine neue virtuelle Welt ins Leben zu rufen – zumal, wenn diese für eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen gedacht ist. Mohamed El-Fatary ist da anderer Meinung. Der in Finnland arbeitende Ägypter ist der Schöpfer des Internetportals Muxlim, einer Art My Space für Muslime, das inzwischen seit zwei Jahren existiert und monatlich über eine Millionen Besucher aus mehr als zweihundert Ländern hat. Im vergangenem Dezember hat El-Fatarys neuestes Projekt namens Muxlim Pal die Tore geöffnet – eine virtuelle Welt, die mit Second Life zu vergleichen ist.
„Linus Torvald der muslimischen Welt“
Der innovative Unternehmer, der Technologien für die muslimische Diaspora entwickelt, hat eine beeindruckende Erfolgsgeschichte vorzuweisen. Mehr als zehn Jahre bevor es Fotosharing-Seiten wie Flickr gab, baute El-Fatary bereits Internetseiten, auf denen er und seine Freunde Fotos veröffentlichen und kommentieren konnten; als Sechszehnjähriger unterrichtete er Web-Development am Institut für Technologie der Vereinigten Arabischen Emirate. Muxlim und Muxlim Pal sind nicht die ersten Internetprojekte des „Linus Torvald der muslimischen Welt“, die sich an muslimische User richten. Den Anfang machte das Portal DigitalHalal.
Mit dem Vorhaben eine digitale Welt zu erschaffen, hat er mit Anfang Zwanzig seine eigene Messlatte nun einmal mehr ein Stückchen höher gehängt. Das Projekt ist nicht nur technisch aufwändig, sondern soll noch dazu mitten in einer weltweiten Rezession umgesetzt werden. Das dürfte nicht unbedingt einfach werden. Erst vor wenigen Wochen hat Google seine eigene digitale Fantasiewelt wieder untergehen lassen – die hatte ihrem Namen Lively (lebendig) nie wirklich gerecht werden können. El-Fatary gibt sich jedoch unerschrocken.
Bislang finden Portale wie Second Life wenig Anklang in der muslimischen Welt
Bisher war die Verbindung von Islam und sozialen Webdiensten nicht unkompliziert. Die Giganten des User-generierten Inhaltes wie YouTube, Facebook, Flickr, aber auch Mikroblogging-Webseiten wie Twitter oder Googles Blogger-Netzwerk sind früher oder später ausnahmslos in verschiedenen muslimischen Ländern bei der Zensur in Ungnade gefallen. Darüber, wie Menschen muslimischen Glaubens digitalen Alternativwelten grundsätzlich gegenüberstehen, gibt es jedoch kaum gesicherte Erkenntnisse. Personen, die sich nicht erkennbar und vorrangig über ihre Religion identifizieren, sind schwer als Moslems (oder Christen) zu erkennen. Bei Second Life, der wohl bekanntesten virtuellen Internet-Welt, gibt es zwar muslimische Gemeinschaften, sie scheinen dort jedoch irgendwie fehl am Platz.
Denn der ursprüngliche Versuch das gemeinschaftsbildende Potential einer innovativen Technologie auszuschöpfen, die das Eintauchen in andere Welten ermöglich, den Second Life einmal darstellte, ist zu einer ethisch zweifelhaften Spielwiese verkommen, auf der zufällige sexuelle Begegnungen, Gewalt und exzessives Verhalten, wie man es sich im „ersten Leben“ weitestgehend versagt, Gang und Gäbe sind. In diesem Kontext besteht für muslimische Gruppen kaum die Möglichkeit, so etwas wie einem normalen, vielseitigen Lebensstil nachzugehen. Begegnet man bei Second Life religiösen Muslimen, ist dies ungefähr so, als stolperte man in Tokyo in ein Dorf der Amish. Und doch sind sie da. Sie bauen virtuelle Moscheen, pilgern in ein virtuelles Mekka, vertreiben sich die Zeit und richten ihr Augenmerk dabei stets fest auf die Religion.
Das bessere Second Life?
Bei Muxlim Pal wird der Fokus anderweitig liegen, auf dem „muslimischen Lebensstil“, wie El-Fatary es nennt. Wie unterscheidet der sich vom nicht-muslimischen? „Überhaupt nicht, das ist es ja eben“, erklärt El-Fatary. „Wir betrachten den muslimischen Lebensstil als einen sehr reichhaltigen. Er unterscheidet sich nicht großartig von anderen, beinhaltet allerdings im Kern die muslimischen Grundwerte.“ Diese Werte, so der optimistische Jungunternehmer, regelten bereits das Miteinander bei Muxlim und werden auch bei Muxlim Pal für höflichen Umgang sorgen.
Wie spezifisch muslimisch ist Muxlim Pal tatsächlich? „Es gibt eine Moschee, aber das ist auch schon der einzige Ort mit Religionsbezug“, erläutert El-Fatary. „In der Pal City gibt es ein Einkaufszentrum, ein Cafe und eine Arena, in der virtuelle Konzerte stattfinden. Hier kann man eine gute Zeit haben, egal ob man Muslim ist oder nicht.“
Zu den kulturspezifischen Aspekten von Muxlim Pal zählt, dass die Pals (Freunde), wie die Bewohner von MuxlimPal genannt werden, beten können. Weibliche Pals können außerdem ein Kopftuch tragen sofern sie dies möchten. Was sie in den eigenen vier Wänden tun, ist zwar Privatsache, sexuelle Handlungen sind jedoch rein technisch nicht möglich. Dies habe allerdings keine religiösen Gründen, behauptet El-Fatary - die Online-Welt solle einfach familienfreundlich sein. Davon abgesehen wird alles vollständig von den Usern selbst geregelt.
Hierin liegt das faszinierende Potential des Muxlim-Experiments. Anonymität und die Möglichkeit schnell und einfach Dinge zu veröffentlichen, haben dazu geführt, dass viele Internetprojekte auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner geschrumpft sind und ihr technologisches Potential schlichtweg vergeudet wird (man nehme als Beispiel nur einmal die Kommentar-Funktion bei You Tube). In der muslimischen Variante hingegen scheint aus den gemeinsamen Werten der Mitglieder etwas wie ein intelligenter Konsens erwachsen zu sein.
Zensur oder auf gemeinsamen Werten beruhender Konsens?
Unausweichlich stellt sich die Frage nach religiösem Extremismus. Haben sich schon fundmentalistische Gestalten in dem Netzwerk ausprobiert? „In solchen Fällen sind die User sehr wachsam und berichten es uns sofort. Wenn genug Leute etwas melden, wird es automatisch technisch unterbunden. Wenn das wiederholt passiert, wird der Account des entsprechenden Users gelöscht. Ehrlich gesagt, haben diese Leute bei You Tube größere Freiheit, ihre Ansichten zu äußern. Wenn die Mehrheit die Macht hat, die Regeln zu bestimmen, gibt es keinen Grund zur Sorge.“
El-Fatary geht davon aus, dass der Mainstream ungeachtet der Randgruppen, die sich zeitweise einklinken, immer behaupten würde und der Mainstream der gemeinsamen Werte Muxlim Pal zu einem toleranten und angenehmen Ort machen werde. Außerdem erwartet er, dass im Zuge des Wachstums der Plattform auch Sicherheitskräfte hinzukommen werden. Auf die Frage, ob ihn das beunruhige, antwortet er: „Wir heißen jeden willkommen, der sich Muxlim und die Community anschauen möchte. Bitte, Sie sind eingeladen, sich einen Account einzurichten. Sie werden sehen, dass es sich um einen freundlichen, kurzweiligen und sehr angenehmen Erlebnisraum handelt, wie er an nicht vielen anderen Orten zu finden ist.“ Auch nicht-muslimische Mitglieder gibt es schon. Deren Anteil von zurzeit zwei Prozent soll auf zehn Prozent erhöht werden.
Zukunftsträchtige Zielgruppe
Wie steht es um den Businessplan? Vor zwei Jahren hat der globale Werbe- und Marketinggigant JWT die ersten signifikanten Untersuchungen des muslimischen Marktes, speziell in Amerika und Großbritannien durchgeführt. Ann Mack aus New York, die bei JWT für das Ausspähen von Trends verantwortlich ist, berichtet, die Ergebnisse seien überraschend gewesen. „Wir haben es mit einer Gruppe zu tun, die sich von den großen Marken ignoriert fühlt. Sie haben Geld, die Werbung richtet sich aber schlichtweg nicht an sie.“ Offensichtlich haben die Marketingleute übersehen, dass sich hier der möglicherweise größte und wohlhabendste globale Zukunftsmarkt entwickelt. Den Einblick in diese Gesellschaften, an dem es Mack zufolge bisher mangelt, hofft El-Fatary mit Muxlim und Muxlim Pal bieten zu können. Ein kultureller Brückenbauer will er sein.
El-Fatarys Vision ist eine Pal City mit muslimischer Ethik und Charakter. Was die Werbung betrifft, soll die Internetstadt aber global sein. Deshalb wurde von Anfang an auf den Einsatz integrierter In-Game-Werbung gesetzt. Auch über die Eröffnung eines virtuellen Ikea-Hauses oder ähnlicher Kooperationen wäre El-Fatary sehr erfreut.
Bislang ist das allerdings noch Zukunftsmusik. Das Internet ist in vielen muslimischen Ländern noch nicht so verbreitet wie in der westlichen Welt. Doch umsichtige Unternehmen reagieren auf Abschwünge, indem sie nach sich entwickelnden Märkten Ausschau halten. Und immerhin gibt es allein in Russland und China jeweils rund zwanzig Millionen Muslime. Viele der weltweit insgesamt über eine Milliarde Muslime leben in Ländern, die für die aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen gut gerüstet sind. Da scheint ein Islam-freundliches Social Web fast eine zwangsläufige Entwicklung zu sein.
Und sollte sich das Versprechen von Pal City erfüllen, könnte das muslimische Portal zum Gegenentwurf des oft asozialen Webs der so genannten entwickelten Welt werden.
Langfassung des Artikels aus dem Freitag Nr. 8/2009
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