Bedrohte Interessen?

EU-Veto David Cameron legt sein Veto gegen den EU-Vertrag vor allem im Namen des Finanzwesens ein. Dafür setzt er Großbritanniens Gestaltungsmöglichkeiten in Europa ohne Not aufs Spiel

Die Tories sind eine der ältesten Parteien überhaupt. Ihre Langlebigkeit basiert allerdings eher auf ihrer Attraktivität für Teile des englischen Kleinbürgertums, als auf der Qualität ihres politischen Urteils. Besonders in der Außenpolitik lagen sie in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder falsch. So ist es auch jetzt wieder.

Wären wirklich die Interessen Großbritanniens bedroht gewesen, Premierminister David Cameron hätte vielleicht Grund gehabt, gegen die Nutzung der EU-Verträge zur Euro-Rettung zu stimmen. Doch Cameron legte sein Veto vor allem im Namen des Finanzwesens ein. Diese Branche erwirtschaftet in Großbritannien 7, 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und umfasst eine Million Arbeitsplätze. Eine EU-Reform würde aber nur einen Bruchteil davon bedrohen – wenn überhaupt.

Schlimmstenfalls wären ein Dutzend ausländischer Investmentbanken und ein paar Dutzend Hedgefonds betroffen gewesen. Unsere Beziehungen zu den anderen EU-Staaten und unsere politischen Gestaltungsmöglichkeiten in Europa betreffen einen weit größeren Teil unserer Wirtschaftsleistung. Sie wurde somit für nichts und wieder nichts aufs Spiel gesetzt. Eine derart kontraproduktive und dumme Entscheidung dürfte in der Geschichte der britischen Außenpolitik ohne Beispiel sein.
Was noch schlimmer ist: Wir haben den Ländern der Währungsunion eine schnelle Umsetzung der für die Euro-Rettung nötigen Entscheidungen erheblich erschwert. Sollte der Euro deshalb scheitern, wird das daraus folgende Bankensterben und die zwangsläufige wirtschaftliche Depression auch Großbritannien hart treffen. Unsere europäischen Nachbarn würden uns dies lange nicht verzeihen.

Cameron hat ein Gespür für seine eigene Partei und deren Instinkte. Darüber hinaus ist er jedoch kaum zur Empathie fähig. Er ist umgeben von Hedgefond-Managern, die seine Partei finanzieren, und von rechten Medien-Mogulen. Er lebt in einer eigenen Welt mit Tory-Dining-Clubs, Notting-Hill-Salons und Landhaus-Wochenenden, wo er sich des Beifalls für sein Nein zum EU-„Komplott“ sicher sein kann. Cameron konnte nicht riskieren, bei einer Abstimmung im Unterhaus über Änderungen am EU-Vertrag nur auf Stimmen der Liberaldemokraten, der Labour-Partei und einer Minderheit seiner eigenen Partei angewiesen zu sein. Das gilt umso mehr, als die Forderung nach einem Referendum über das Verhältnis Großbritanniens zu Europa in immer hysterischerer Tonlage vorgetragen wird. Der rechte Tory-Flügel hat Blut geleckt. Er hält das Ergebnis einer solchen Abstimmung bereits für ausgemacht und sieht sie als Mittel, Großbritannien aus der verhassten EU herauszulösen.

Die britische Politik steht an einem Wendepunkt. Wollen wir wirklich in einem Land leben, das sich allein nach den Bedürfnissen von Camerons Clan richtet? Wie wollen wir mit unseren Nachbarn zusammenleben? Die Tories geben auf diese Fragen die falschen Antworten. Nach Camerons Veto steht jetzt fest, dass die nächsten Parlamentswahlen nicht erst 2015 stattfinden werden. Und Cameron und seine Partei können sich eines erneuten Sieges nicht allzu sicher sein.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Will Hutton | The Guardian

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