Befleckte Vergangenheit

Olympia Die Olympische Flamme wird derzeit durch das Vereinigte Königreich getragen. Man täte gut daran, sich da des Jahres 1936 und der Spiele von Berlin zu erinnern

Im Mai vor 78 Jahren fuhren zwei ältere Deutsche mit dem Zug nach Athen. Während sie die vorbei rauschende Landschaft betrachteten, planten sie ein Sportfest, das zum größten werden sollte, das die Welt in dieser Hinsicht je gesehen hatte – die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Der ältere der beiden Herren war Theodor Lewald, Präsident des Organisationskomitees der Spiele. Mit ihm reiste Generalsekretär Carl Diem, der 1912 in Stockholm Kapitän der deutschen Olympiamannschaft war.

Während dieser Reise in den Süden hatte Diem plötzlich einen Geistesblitz. Wäre es nicht phantastisch, meinte er, wenn die olympische Flamme in einem Fackellauf aus dem griechischen Olympia bis nach Berlin getragen würde? Wie ließe sich eindrücklicher die Hauptstadt des neuen Deutschen Reiches mit den ursprünglichen Spielen im antiken Griechenland verbinden, dessen Kultur Adolf Hitler so bewunderte? Lewald war begeistert, ebenso wie die übrigen Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), mit denen die beiden Deutschen in Athen zusammenkamen. Erst die Nazis erkannten das volle propagandistische Potential der Olympischen Spiele. Sie machten die Fackel zum Symbol eines gezielten politischen Wollens.

Tadel für de Coubertin

Ironischerweise war es ausgerechnet Theodor Lewald, dessen Vater in jungen Jahren vom Judentum zum Protestantismus übergetreten war, der den Fackellauf im Sinne der Nazis erfand. Die olympische Fackel schaffe – so argumentierte Lewald – „eine reale und spirituelle Verbindung zwischen unserem deutschen Vaterland und den heiligen Stätten Griechenlands, die nordische Einwanderer vor fast 4.000 Jahren gegründet haben.“

1936 war dann der Lauf eine organisatorische Meisterleistung: 3.331 Läufer trugen die Flamme die gesamten 3.187 Kilometer bis nach Berlin. Je weiter es in Richtung Norden ging, desto mehr zog die Fackel – sie war aus dem gleichen Krupp-Stahl geschmiedet, aus dem später auch Hitlers Panzer gebaut werden sollten – Nazis und Nazisympathisanten an. In Wien wurde sie von Tausenden österreichischen Nazis mit Heil-Hitler-Rufen und dem Horst-Wessel-Lied empfangen. Als die jüdischen Mitglieder der österreichischen Olympiamannschaft kamen, um die Fackel zu sehen, wurden sie von den Nazis beschimpft. Es kam zu Ausschreitungen – 500 Menschen wurden verhaftet.

Trotz dieser Störfälle waren die Deutschen so stolz auf ihre Idee, dass Lewald den Begründer der modernen Olympischen Spiele, Baron de Coubertin, tadelte, weil dieser in seiner Grußadresse, in der er dem Fackellauf seinen Segen gab, der Gastgebernation nicht mehr Anerkennung gezollt hatte. „Ich kann Ihnen meine extreme Überraschung darüber nicht verbergen", schrieb er ihm, „dass Sie die Tatsache kein einziges Mal erwähnt haben, dass es sich bei dem Fackellauf um einen rein deutschen Einfall handelt.“


In einer weiteren ironischen Wendung war es dann Carl Diem, der im März 1945 Tausende Hitlerjungen aufrief, „olympischen Geist“ zu zeigen und sich nicht den Russen zu ergeben. Als zusätzlicher Anreiz für Jungen, die sich möglicherweise nicht „olympisch“ genug fühlten, waren um das Olympiastadion herum „Hinrichtungspfähle“ aufgestellt worden. 2.000 von Diems Zuhörern an jenem Märztag haben das Ende des Naziregimes nicht überlebt und starben in den letzten Schlachten und Gefechten vor Kriegsende. Ungeachtet dessen kam Diem noch 1968 in der Bundesrepublik Deutschland zu Ehren, als sein Gesicht auf eine Briefmarke gedruckt wurde. Das ist das Beeindruckende an Olympia – es geht nicht nur darum, schneller, höher und stärker zu sein, sondern auch ums Vergessen.

Wir täten gut daran, uns der befleckten Vergangenheit des Fackellaufes zu erinnern, wenn die Fackel nun das Vereinigte Königreich durchquert. Wie 1936 muss die Olympia-Flamme auch heute eher als politisches, denn als sportliches Symbol betrachtet werden. Das zeigte sich etwa vor vier Jahren, als sie anlässlich der Spiele in Beijing ihre umstrittene Weltreise antrat und dabei von Polizei-Geleit abgeschirmt war. Und wir Briten? Werden wir die Flamme auf ihrem Weg durch unsere Städte und Dörfer als strahlendes Leuchtfeuer der von Premier Cameron beschworenen „Big Society“ sehen? Oder etwas weniger vertrauensvoll als flackerndes Teelicht in einem mächtigen globalen Sturm?

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Übersetzung der gekürzten Fassung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Guy Walters | The Guardian

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