Beim Essen wird geredet

Tischmanieren Der Abendbrottisch als Benimmschule: Eltern sollten sich möglichst einig darüber sein, was Kinder beim Essen dürfen oder nicht. Sonst landen sie schnell ein Eigentor

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Es ist nicht so, dass meine Frau und ich irgendwann ausdrücklich zu dem Schluss gekommen wären, dass es angenehmer ist, mit den Kinder zu essen, als ohne sie – wie eine richtige Familie, wenn man so will. Mit der Zeit wurde es bei den Kindern immer später und bei uns immer früher und irgendwann fiel der Zeitpunkt unserer abendlichen Nahrungsaufnahme zusammen. Wir machen das nicht jeden Abend – ab und zu haben meine Frau und ich Lust auf Dinge, die die Kinder nicht anrühren würden. Aber heute ist es mal wieder soweit und meine Frau kocht. Ich gehe runter und finde einen großen Topf auf dem Herd und neben dem Waschbecken die bislang noch unbefleckte Seite eines aufgeschlagenen Kochbuchs. Die drei Jungs folgen mir misstrauisch in die Küche.

„Was ist das?“, fragt der Jüngste und blickt auf den Teller, den er in die Hand gedrückt bekommen hat.

„Gift“, sagt meine Frau, „Setz' dich hin.“

„Nicht dahin“, sage ich. „Da sitze ich.“

„Was zum Teufel“, sagt der Jüngste.

„Pass auf, was du sagst“, sagt meine Frau.

„Ich sitz' immer da“, sage ich.

„Wo soll ich mich denn dann hinsetzen?“, fragt der Jüngste.

„Irgendwo halt“, sagt der Mittlere. „Is' doch egal.“

„Halt die Klappe“, sagt der Jüngste.

„Halt doch selber die Klappe.“

„Hört auf“, sagt meine Frau, bevor sie sich dem Ältesten zuwendet. „Und du, nimm deine Gabel in die Hand wie ein normales menschliches Wesen.“

„Wie schön, zuhause zu sein“, sage ich. „Hat jemand Lust, zu erzählen, was er heute gemacht hat?“

„Ich“, sagt der Mittlere, und fuchtelt mit dem Messer in der Luft herum, „hab' heute ein kleines Vogelhaus gebaut.“

„In deiner Seele?“, frage ich und denke an den Song „Birdhouse in your soul“.

Er starrt mich mit ausdruckslosen Augen an.

„ Nee, in der Schule.“

„Ich bin fertig“, sagt der Jüngste.

„Nein, bist du nicht“, sagt meine Frau. „Nimm noch was.“

"Oh Mann!", er sinkt theatralisch in sich zusammen.

„In gewissen Kreisen“, lasse ich ihn wissen, „gilt es als unhöflich, sich mit der Stirn auf den Tisch zu legen.“

„Ja, setz' dich ordentlich hin“, sagt meine Frau.

„Aber ich bin fertig“, schreit er und springt auf. Beim Abendessen handelt es sich um ein soziales Ereignis, dessen Ablauf in einigen Details stets neu ausgehandelt werden muss.

„OK, meinetwegen. Stell' deinen Teller in die Spülmaschine“, sagt meine Frau. „Und dann setz' dich wieder und unterhalt' dich ein bisschen mit uns.“

„Was?“, sagt er. „Warum?“

„Das ist die Strafe, wenn man zu schnell isst“, sage ich.

„Nein“, sagt meine Frau. „Ist es nicht.“

„Nein, genau“, sage ich. „Es geht darum, als Familie zusammen zu sein.“ Der Junge trabt zum Mülleimer und zur Spülmaschine und setzt sich dann niedergeschlagen wieder an den Tisch. Es folgt ein langes Schweigen.

„Ich habe heute einen interessanten Tweet von einem Leser bekommen“, sage ich.

„Oh mein Gott“, sagt meine Frau. „Euer Vater fängt an, über sich zu reden.“

„Darin stand – sinngemäß - 'Wie schaffen Sie es, für den Scheiß, den Sie schreiben, bezahlt zu werden?'“

„Beim Essen darf man nicht fluchen“, sagt der Jüngste.

„Und ich hab zurückgeschrieben: Mittels Bacs.“

Wieder langes Schweigen.

„Ich bin fertig“, sagt der Mittlere.

„Das ist eine Art automatisiertes Abrechnungssystem, also ...“

„Ich auch“, sagt der Älteste und springt von seinem Stuhl.

„Ich geb' s auf“, sagt meine Frau, füllt ihr Glas nach und steht auf. „Alle helfen mit, den Tisch aufzuräumen.“

Ich bleibe als einziger sitzen. „Lasst den Salat noch stehen“, sage ich.

„Lasst die Töpfe und Pfannen für euren Vater stehen“, sagt meine Frau und entschwindet ins Wohnzimmer. „Er kann dann den Abwasch machen.“

„Da hast du den Salat“, sagt der Mittlere und grinst.

„Touché“, sage ich. „Das ist die Strafe dafür, wenn man zu langsam isst.“

„Ja, genau“, sagt meine Frau.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Tim Dowling | The Guardian

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