Bereit zum Marsch auf Jerusalem

Jemen Der regionale Al-Qaida-Ableger findet auch deshalb im Jemen Zulauf, weil immer mehr muslimische Kämpfer aus Afghanistan, dem Kaukasus und Irak zurückkehren

In der altrosa farbenen Wüste östlich von Sanaa erheben sich Reihen von Säulen aus Lehmziegeln. Die Araber sagen, hier habe einst der Tempel gestanden, in dem die Königin von Scheba residierte. Er sollte die Götter erfreuen und ihrem Volk Wohlstand durch Handel mit Weihrauch und Myrrhe bringen.

Einst die Perle in der Krone einer aufstrebenden jemenitischen Tourismusindustrie, ist Marib heute eine Al-Qaida-Hochburg, ein Ort, an dem Touristen bei Selbstmordattentaten ums Leben kommen und Sicherheitschefs im Namen der Religion entführt werden. Junge Männer wie Umar Farouk Abdulmuttalab, der zu Weihnachten versuchte, sich an Bord eines US-Passagierflugzeugs über Detroit in die Luft zu sprengen, werden hier zu Kämpfern für den Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen.

„Viele Leute in Marib sind arbeitslos. Sie treffen Ausländer, die mit al-Qaida in Verbindung stehen und lassen sich überzeugen, der Organisation beizutreten“, glaubt Scheich Abdullah al-Shareef, ein Stammesführer aus der Region, um die wachsende Zahl junger jemenitischer Jihadisten zu erklären.

Gefangen in Guantánamo

In einer unlängst im Internet veröffentlichten Videobotschaft rief Nasser al-Wahayshi, Führer der als Allianz saudischer und jemenitischer al-Qaida-Formationen entstandenen Aqap-Gruppe, seinen Anhang dazu auf, Staaten und Regierungen des Nahen Ostens anzugreifen, wenn sie in Kriege verwickelt sind, die in muslimischen Ländern geführt werden. Diese Drohung geht mit einer neuen al-Qaida-Taktik einher, die Attentäter vor frühzeitiger Enttarnung schützen soll. Abdulmutallabs Bombe war in seine Unterwäsche eingenäht. Einer ähnlichen Methode bediente sich im August ein 23-jähriger Attentäter, der versuchte, den saudischen Anti-Terror-Chef, Prinz Mohammed Bin Nayef, zu ermorden, aber scheiterte. Es handelte sich um den ersten Anschlag auf ein Mitglied der saudischen Königsfamilie.

Wer ist dieser Nasser al-Wahayshi? Soviel bekannt ist, entkam er 2006 aus einem jemenitischen Gefängnis. Sein saudischer Stellvertreter Saeed al-Shihri war 2002 einer der ersten Gefangenen in Guantánamo. Nachdem er 2009 in saudische Haft überstellt wurde, gelang auch ihm die Flucht in den Jemen. Wahayshis will für al-Qaida im Jemen 12.000 Männer rekrutiert haben, um auf Jerusalem marschieren zu können. Der Jemen bietet dafür die ideale Basis – im Norden von ethnischen Konflikten gezeichnet, im Süden durch bewaffnete Proteste für die Unabhängigkeit dieser Region erschüttert, bietet sich im Schatten dieser Zerreißproben ein günstiges Terrain für Ausbildungscamps und Stützpunkte. Schlimmste Befürchtungen westlicher Geheimdienste werden hier Wirklichkeit. Bereits 1990 wurde der Jemen zum Transitgebiet für Jihadisten auf dem Weg nach Tschetschenien, Afghanistan, zum Balkan und in den Irak. Während die CIA in den achtziger Jahren die Mudschahedin in ihrem Aufstand gegen die sowjetische Präsenz in Afghanistan unterstützte, gehörte Jemen neben Saudi-Arabien zu den Ländern, aus den meisten Jihadisten kamen.

Tausende von ihnen kehrten zurück und wurden von der Regierung aufgenommen, die sie 1994 für den Bürgerkrieg gegen den sozialistischen Süden gut gebrauchen konnte und mit Waffen versorgte. Viele Mudschahedin, die früher in Afghanistan gekämpft hatten, bewiesen damit ihre Loyalität gegenüber der jemenitischen Armee. Für die neue Generation von al-Qaida-Kämpfern gilt dies freilich nicht mehr. Anfang Dezember bekannte sich al-Qaida zum Mord an dem ranghohen jemenitischen Sicherheitschef Bassem Tarboush, der nachrichtendienstliche Operationen gegen al Qaida in Marib befehligte. Bald darauf gab es einen tödlichen Hinterhalt in der Nähe der Grenze zu Saudi- Arabien, dem mehrere jemenitische Offiziere zum Opfer fielen. Auch das wurde al Qaida zugeschrieben.

Koranschule in Marib

Im Vorjahr sickerten auch noch Hunderte von al-Qaida-Kämpfer aus dem auf der anderen Seite des Roten Meeres gelegenen Somalia in den Jemen ein oder wurden durch US-Militäroffensiven in Afghanistan und im Irak dorthin abgedrängt. Ein Zustrom militanter Islamisten in einer Zeit, da Armut und religiöse Restauration in der jemenitischen Bevölkerung spürbar zunehmen
Der mittlerweile fünf Jahre anhaltende Aufstand des mächtigen schiitischen Houthi-Clans im Norden hat zu Spannungen mit der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung des Jemen geführt, die heute maßgeblich von der fundamentalistischen wahhabitischen Strömung des Sunnismus beeinflusst wird. Ihren Ursprung hat sie in Saudi-Arabien – auch ihr ging nicht zuletzt die Ideologie al Qaidas hervor. An einer von dem Ägypter Abu al-Hassan al-Masri begründete Koranschule in Marib werden beispielsweise jemenitische und ausländische Extremisten nach der fundamentalistischen Doktrin der Sunna unterrichtet.

Das Regime von Präsident Ali Abdullah Saleh riskiert unterdessen eine Konfrontation mit den mächtigen Stämmen, die dank einer Tradition, wie sie auch für Afghanistan und Pakistan gilt, al-Qaida-Mitgliedern Unterschlupf bieten. Sie tun dies sowohl aus Loyalität zu ihren muslimischen Glaubensbrüdern als auch weil sich mit dem Schmuggel von Waffen und Drogen in Gebieten wie Marib seit ein Jahren ein einträgliches Geschäft machen lässt. „Al-Qaida spricht in den Stammesgebieten äußert sensible Themen an. Die Führer sprechen von Palästina oder der Besatzung im Irak und die Leute sympathisieren mit ihnen“, sagt der Kommandeur der jemenitischen Anti-Terror-Kräfte, Brigadier Yeha Abdullah Saleh. „Wir wollen keinen Krieg mit den Stämmen, also ist es besser, al-Qaida-Leute einzeln anzugehen, wenn sie sich nicht in der Nähe der Stämme befinden. Andernfalls würden wir riskieren, in einen großen Krieg hineingezogen zu werden.“

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Hugh McLeod, The Guardian | The Guardian

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