Milliardär oder Hochstapler? Die Wahrheit über Andrew Tate

Frauenhass Der frühere Kickboxer wurde weltweit bekannt, weil er seinen Frauenhass mit einem Millionenpublikum teilte. Er behauptet, tonnenweise Geld gemacht zu haben. Doch wer danach sucht, findet vor allem eine Fassade
Ob Andrew Tate wirklich Billionen gemacht hat? Wahrscheinlich eher nicht
Ob Andrew Tate wirklich Billionen gemacht hat? Wahrscheinlich eher nicht

Foto: Alexandru Dobre/picture alliance/Associated Press

Früher fuhr Andrew Tate regelmäßig durch diese schmuddeligen Vorstadtstraßen, etwa zehn Meilen vom Zentrum Bukarests in Rumänien entfernt. Vorbei an einer Mülldeponie, einem weitläufigen Friedhof und einer Reihe von Sattelschleppern, die in der beliebten britischen TV-Serie Brookside, die in der Arbeiterstadt Liverpool spielt, nicht fehl am Platz wären. Tate rollte hier in seinem Lamborghini oder Bugatti vorbei oder in irgendeinem anderen Gefährt aus seiner Superauto-Flotte. Womöglich rauchte er eine Zigarre, rückte seine Michael-Corleone-Sonnenbrille zurecht und schlug sich an einer roten Ampel auf die tätowierte Brust.

Tate, der sich gern selbst Top G nennt (im Straßenslang steht G für Gangster), sagt, er habe nichts Falsches getan. Er mag aussehen wie ein Gangster und sich wie einer geben. Er mag sich mit ganovenhaften Machenschaften gebrüstet und behauptet haben, Milliarden verdient zu haben. Jetzt aber, da Gast im rumänischen Strafsystem ist, sagt er, er sei gar kein Gangster. Er sagt, er sei ein guter Kerl.

Verhaftet wurde er am 29. Dezember von Mitgliedern der rumänischen Anti-Korruptionseinheit – also denen, die Gangster verhaften. Vorgeworfen werden ihm Menschenhandel und Vergewaltigung. Im Schutz der Dunkelheit stürmten Einsatzkräfte in Sturmhauben Tates Wohnung, wo sie Pistolen, Messer und große Summen Bargeld fanden.Top G und sein jüngerer, 34-jähriger Bruder Tristan wurden mit Handschellen abgeführt. Zwei rumänische Frauen wurden dabei ebenfalls festgenommen:Georgiana Naghel und die frühere Polizistin Alexandra Luana Radu. Die vier werden verdächtigt, Teil einer Gruppe von Menschenhändlern zu sein. Sie selbst beteuern ihre Unschuld.

Ich bin auf dem Weg zu Tates Haus. Bis vergangenen Sommer hatte ich noch nie etwas von Tate gehört. Normalerweise berichte ich über Kriege, internationale Krisen, traditionelle Formen von Korruption. Tate klang für mich wie ein weiterer selbstverliebter Aufmerksamkeitshascher in den sozialen Medien. „Das ist er nicht“, erklärte ein Kollege. „Er ist eine der meistgegoogelten Personen im Internet. Er hat mehr Views in den Sozialen Medien als Rihanna. Oh, und er behauptete in einem Twitch-Stream, er sei der erste Billionär der Welt.“

Aber wie kann das sein? Wie kann ein früherer Kickboxer aus Luton seine Berühmtheit in den Sozialen Medien in mit Elon Musk vergleichbaren Reichtum ummünzen? Und noch drängender zumindest für Tate: Was werden die rumänischen Investigatoren über seine Geldmachenschaften herausfinden? Wenn er für schuldig befunden wird, könnte er an die 20 Jahre in einem rumänischen Gefängnis verbringen.

Der „Alpha-Male“ Influencer auf TikTok

Andrew Tate ist ein Social Media-Phänomen. Seine Inhalte auf TikTok hatten mehr als 12,7 Milliarden Aufrufe. Niemand auf der Plattform kommt da auch nur annähernd heran. Tate behauptet, er habe die Social-Media-Algorithmen geknackt, die Beiträge wie eine Seuche durch den Cyberspace schicken. Er ist ein Meister in Schlagwörtern, Hashtags, Soundbites und hetzerischer Sprache.

Dabei begann seine Karriere nicht online. Früher war er Kickboxer. Und zwar ein erfolgreicher. 2009 war er die Nummer eins in seiner Klasse in Europa. Die Kommentatoren lobten lautstark seine „vielschichtige Technik“ und „scharfen Schlägen auf den Körper“. Doch 2016 verließ Tate den Ring und begab sich in eine andere Kampfarena: Big Brother. Er erwies sich als der geborene Provokateur: „Es ist mir egal, wenn mich niemand mag“, sagte er zu den anderen Wettbewerber:innen. „Ich weiß, dass ich der Intelligenteste hier im Haus bin. Tatsache!“

Nur einige Tage später wurde Tate ausgeschlossen, weil Filmaufnahmen aufgetaucht waren, auf denen er eine Ex-Freundin mit einem Gürtel schlug. Da half auch nicht, dass Tate und die Frau sagten, es habe sich nicht um Missbrauch gehandelt, sondern der Clip zeige einvernehmlichen Sex. Seither kam auch ans Tageslicht, dass die Polizei von Hertfordshire wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung gegen ihn ermittelt hatte. 2019 entschied die Strafverfolgungsbehörde, die Vorwürfe nicht weiterzuverfolgen.

Tate zog weiter. Er gründete ein Webcam-Unternehmen in Großbritannien, das live Sex-Shows mit Frauen streamte, die er rekrutierte. Außerdem baute er seine Marke in den Sozialen Medien aus und wurde zu Tate, dem „Alpha Male“-Influencer. Er wetterte gegen radikalen Feminismus und erklärte, dass junge Männer sich ihre Männlichkeit zurückerobern müssten. „Das Leben ist Krieg“, erklärte er. „Es ist ein Krieg um die Frau, die du willst. Es ist ein Krieg, um das Auto, das du willst. Es ist ein Krieg um das Geld, das du willst. Es ist ein Krieg um den Status. Männliches Leben ist Krieg!“

Andrew Tates Follower sind jung, unzufrieden und männlich

Junge, unzufriedene Männer begannen, ihm in Scharen zu folgen. Sie wollten mehr. Tate reagierte damit, die Kontroverse weiter zu schüren. In den Sozialen Medien sprach er darüber, Frauen zu schlagen, sie am Hals zu packen. 2017 dann erklärte er, dass Frauen, die vergewaltigt werden, dafür mitverantwortlich sind. Wenig überraschend wurde er 2022 von allen großen Social Media-Plattformen verbannt.

In den vergangenen Jahren haben nicht er selbst, sondern Tates Follower dazu beigetragen, seine Präsenz auf TikTok zu steigern. Seine Anhänger kommen aus allen sozialen Schichten, Glaubensrichtungen und Ländern. Im Oktober vergangenen Jahres konvertierte er öffentlich zum Islam. Vor Gericht in Rumänien trug er kürzlich einen Koran bei sich, was seine Popularität unter jungen muslimischen Männern noch erhöhte. Viele Schulen in Großbritannien sind so besorgt über die Radikalisierung ihrer Schüler durch Tate, dass die Lehrkräfte Anleitungen erhalten, wie sie seine frauenfeindlichen Ansichten bekämpfen können.

Tates digitale Armee von Anhängern sagt, seine Verhaftung in Rumänien sei inszeniert, herbeigeführt von dem, was sie „die Matrix“ nennen – eine weltweite Verschwörung der Mainstream-Medien und Politiker:innen, die versuchen, Tate zum Schweigen zu bringen und zu kontrollieren. Ich bin Teil der Matrix. Und Sie sind es wahrscheinlich auch. Jede:r, der denkt, dass Tates Form der gewalttätigen Frauenfeindlichkeit eine schlechte Sache ist, ist Teil der Matrix. „Die Matrix hat mich angegriffen“, twitterte Tate nach seiner Verhaftung, „aber sie liegen falsch. Man kann keine Idee töten.“

Seine auf bizarre Weise selbst belastenden Vorträge, die Tate seit Jahren in den Sozialen Medien verbreitet, untergraben die Proteste seiner Fangemeinde (in Athen gingen Tate-Fans auf die Straße, um für seine Unschuld zu demonstrieren) und tragen wenig zu seiner Verteidigung bei. Möglicherweise waren sie nützlich bei dem Versuch, für ein leichtgläubiges Online-Publikum sein Gangsterimage aufzupolieren. Weniger hilfreich sind sie angesichts eines realen rumänischen Staatsanwalts, der beweisen will, dass man an organisiertem Verbrechen beteiligt ist.

Seine Verhaftung in Rumänien? Eine Verschwörung der „Matrix“

Als Tate vor sechs Jahren, mit damals 30, nach Rumänien zog und gefragt wurde, warum er sich dafür entschieden habe, erklärte er: „Ich mag Osteuropa insgesamt, weil man einen besseren Zugang zur Korruption hat.“ In Großbritannien, so meinte er, kämen nur Leute mit hohem Status mit Verbrechen davon. Er implizierte damit, dass das in Rumänien für alle möglich sei.

In die Gänge kommend beklagte er sich darüber, dass in Großbritannien Vergewaltigungsvorwürfe für seinen Geschmack etwas zu energisch verfolgt würden– vielleicht bezog er sich damit auf seine eigene Erfahrung. „In westlichen Rechtssystemen“, sagte er, „egal, ob in England, Amerika oder irgendwo anders: Wenn eine Frau jemanden beschuldigt, braucht sie null Beweise … Sie kommen und nehmen dich fest. Das ist verrückt. Ich konnte in einem solchen System nicht mehr leben. Also musste ich irgendwohin ziehen, wo vernünftige Regeln gelten.“

Diese vernünftigen Regeln veranlassten die rumänische Staatsanwaltschaft dazu, Tate und seinen Bruder in sogenannter „Präventivhaft“ hinter Gittern zu bringen. Damit soll verhindert werden, dass sie fliehen, Zeugen beeinflussen oder in den rumänischen Gerichtssälen Trump-ähnliche Probleme verursachen. Die beiden Tates können bis Ende Juni festgehalten werden. Dann müssen sie freigelassen oder vor Gericht gestellt werden. Rumänien hat kein Geschworenensystem. Wenn sie vor Gericht gestellt werden, werden Richter über ihr Schicksal entscheiden.

Das rumänische Rechtssystem war noch nie einer derartigen globalen Aufmerksamkeit ausgesetzt. Derweil beschwören die Gebrüder Tate bereits die Matrix als Ursache für all das. Beim Verlassen des Saals nach einer gescheiterten Anhörung im Januar rief Tristan in die wartenden Kameras: „Fragt die Politiker, fragt die Richter. Dann kommt ihr der Wahrheit näher.“

Er rekrutiert Frauen fürs Webcam-Geschäft

Ich fahre in Richtung von Tates Wohnung. Dabei höre ich eine Aufnahme von Tate, die auf Twitter zu sehen war. Es ist eine Art Tutorial, vorgetragen in rasantem Tempo und mit verwaschenem amerikanisch-lutonischem Akzent: Tate wurde in den USA geboren; aber als er fünf war, emigrierten seine Eltern nach Großbritannien, wo er in der englischen Stadt Luton aufwuchs. Sein Vater Emory war ein wegweisender afroamerikanischer Schachmeister, der 2015 während eines Turniers plötzlich verstarb. Seine Mutter arbeitete früher als Catering-Assistentin in Luton und soll heute in Kentucky wohnen, wo sie bei Tates Schwester, einer Rechtsanwältin, lebt. Als ich die Aufnahme weiterhöre, nehmen die Dinge eine unschöne Wendung. „Sowas wie Frauen, die für dich arbeiten, die du nicht gefickt hast“, sagt er, „gibt es nicht. Es ist unmöglich. Du musst sie ficken und sie müssen dich lieben. Das ist essenziell fürs Geschäft, weil Frauen sonst nicht loyal sind.“

Tate verspricht, das geringe Selbstwertgefühl junger Männer kurieren zu wollen, das ohne Zweifel ein Problem ist. Er rät seinem Online-Publikum, früh aufzustehen, im Fitnessstudio zu trainieren, Körper und Geist zu stählen, sich anzutreiben, um sich selbst zu verwirklichen. Er warnt davor, dass sie nichts erreichen werden, indem sie den ganzen Tag vor ihren Bildschirmen hocken (ich weiß – da schauen sie ihm zu). Grimmig betont er die Notwendigkeit zu „leiden, um erfolgreich zu sein“, bezugnehmend auf die Jahre, die er im Kickboxing-Ring verbrachte, wo er, wie er sagt, Menschen sterben sah.

Das Tutorial geht weiter. Tate will seinen Fans lehren, wie man Frauen für die Webcam-Industrie rekrutiert, um dort in Sex-Inhalten aufzutreten, für die Zuschauer zwischen zwei und zehn US-Dollar die Minute bezahlen. Manche Frauen bekommen sogar noch viel mehr. Rumänien hat die größte Webcam-Industrie in Europa. Angeblich arbeiten dort rund 200.000 Frauen in diesem Bereich. Vielleicht war das auch ein Grund dafür, dass Tate sich Bukarest als Wohnort aussuchte.

Tates Stimme füllt mein Auto. Er erklärt, wie man Frauen rekrutiert, die zögern, sich vor einer Kamera auszuziehen. „Wenn man Frauen datet und das Webcam-Geschäft erwähnt, scheiße, das funktioniert nicht. Das schreckt sie ab. Nein, einfach normal weiter machen“, sagt er. „Webcam nicht erwähnen. Du fickst das Mädchen. Nachdem du sie gefickt hast … dann fängst du an, Sachen zu sagen wie: ,Du musst in deinem Job immer so viel arbeiten. Warum kommst du nicht zu mir und arbeitest für mich?‘“

Nötigung durch psychische Gewalt

Um den Deal zum Abschluss zu bringen, so Tate weiter, sollte man die junge Frau zum Dinner einladen, am besten gemeinsam mit einem „Webcam-Girl“, das schon für einen arbeitet und hilft, die Frau zu bedrängen. „Martinis, Martinis, Martinis“, sagt er mit imaginären Gläsern anstoßend: „Bang, ein flotter Dreier … Bring die beiden Frauen am ersten Tag zusammen vor die Kamera, gib ihnen eine Flasche Vodka.“ Dann beginnt das Geld hereinzuströmen, sagt er weiter, und sie sind am Haken. „So rekrutiert man Frauen“, betont er. „Anders geht es nicht.“

Man kann sich Tates Anwaltsteam vorstellen, als es die Aufnahme zum ersten Mal hörte. Es klingt nach Nötigung durch psychische Gewalt, wie sie im Schulbuch steht. Einer Frau weiß machen, dass sie deine Freundin ist und sie dann unter Druck setzen, damit sie sich vor einer Kamera auszieht. In Rumänien werfen ihm die Behörden die „Liebhaber“-Methode vor. In Großbritannien klingt es wie das, was wir mit Grooming bezeichnen.

Wir parken auf einem Stück Brachland neben Tates Haus im Bezirk Pipera in Bukarest, einer Mischung aus ambitionierten neuen Villen und hässlichen postkommunistische Blöcken. In einiger Entfernung bellen streunende Hunde. Das Tor ist angemessen männlich: ein schweres, schwarzes Schiebetor. Die Tür zum Gelände sieht aus, als sei sie bombensicher. Tate ist natürlich nicht da, aber zwei seiner Schwergewichtler in schwarzen Anzügen patrouillieren um einen bescheidenen Pool, an dem ich Tate auf Online-Bilern mit nacktem Oberkörper habe posieren sehen.

Geht man um das Haus herum, stellt man fest, dass Tates Zuhause wenig von einem Hollywood-Hideaway hat, eher etwas von einer heruntergekommenen Fleischfabrik. Kaputtes Mauerwerk, tropfende Dachrinnen, dunkle Fenster. An der Stelle, an der man den Garten erwarten würde, liegen ein Haufen Schutt und eine kaputte Ikea-Lampe. Angesichts des Milliardär-Hypes und den regelmäßigen Posts über seine Privatjets, Ozean-Yachten und seiner Superautoflotte ist Tates Wohnhaus irgendwie enttäuschend.

Andrew Tate brandmarkt „seine Mädchen“

Es gibt in Bukarest viele exklusive Wohnviertel voller schöner Villen. Sie haben Tennisplätze, Pool-Häuser und Unterkünfte für das Personal. Sie kosten Millionen. Wenn Tate wirklich so reich wäre, wie er sagt: Warum lebt er dann nicht in Primaverii (dem Viertel, in dem der frühere Staatspräsident Nikolae Ceaușescu einst wohnte), Kiselew oder Dorobanti? Laut seinen Anhängern muss er sich in seinem merkwürdigen Unterschlupf „verstecken“, um nicht aufzufallen. Aber es gibt zahlreiche Mafiosi in Bukarest, die in schicken Vierteln leben und nicht auffallen, indem sie nicht jeden ihrer Schritte übers Internet hinausposaunen oder sich wie „Gangster“ verhalten.

Man erzählt uns, dass Tate um die Ecke eine Doppelhaushälfte für einige seiner Webcam-Darstellerinnen miete. Wir machen uns auf den Weg dorthin und stolpern durch eine nasse Baustelle. Das Haus ist ordentlich, weiß gestrichen und in besserem Zustand als Tates, obwohl es mit seinen erschreckend kleinen Fenstern wie eine Haftanstalt aussieht. Auf der Veranda sitzt eine junge Frau.

Jasmina ist eine Rumänin Mitte 20, hübsch und charmant. Sie hat viele Tattoos. Eins auf ihrem Arm lautet „Tate“. Auch weitere erinnern an Brandzeichen: „Tate’s Girl“ oder „Tates Eigentum“. Am Tag darauf treffen wir an der gleichen Adresse eine weitere Frau. Sie ist mit ähnlichen Tattoos gezeichnet.

Eine britische Ex-Freundin Tates behauptet, er habe sie manipuliert. „Sophie“ will nicht, dass ihr echter Name veröffentlicht wird, weil Tates Anhänger online ziemlich unangenehm werden können. Tate habe sie über Facebook angesprochen. „Am Anfang gab es überhaupt keine red flags“, erinnert sie sich. „Er interessierte sich einfach für mein tägliches Leben, wollte wissen, was mich interessiert und was mich glücklich macht“. Sophie flog nach Bukarest, ohne Tate vorher getroffen zu haben, und freute sich darauf, ihren neuen Freund zu sehen. Sie wohnte mit Tate und seinem Bruder zusammen in dem Haus. Nach einer Weile habe Tate das Thema Webcam-Arbeit angesprochen: „Du solltest es machen. Du würdest ein Vermögen machen. Aber wenn du nicht möchtest, musst du nicht.“ Doch dann kam der Druck. „Wenn du mich lieben würdest, würdest du es tun. Wenn dir an mir liegt, würdest du es tun.“

Foto: Mihai Barbu / AFP via Getty Images

Sophie hatte bereits als Model gearbeitet und Erfahrung mit Pole-Dancing. Daher war ihr diese Welt nicht völlig fremd, was vermutlich der Grund war, warum er sie überhaupt angesprochen hatte. Aber sie flog nach Bukarest, um Tates Freundin zu sein und verliebte sich in ihn. Dann habe er angefangen, sie zu bearbeiten.

Schließlich ließ Sophie sich auf die Webcam-Arbeit ein. Sie sagt, sie habe in Tates Bann gestanden. Sie hätte alles getan, um von ihm Anerkennung zu bekommen. Sein Online-Tutorial darüber, wie man Frauen überzeugt, vor Webcams aufzutreten, hatte sie nicht gesehen.

Eines Tages, sagt sie, drückte er sie gegen eine Wand und schlug hart zu. Ein anderes Mal habe er sie während hartem Sex gewürgt, bis sie ohnmächtig wurde. Jetzt hilft Sophie dem rumänischen Staatsanwalt bei der Ermittlungen. Sie ist die erste britische Klägerin und man kann verstehen, warum sie Angst vor einem Backlash hat.

Die beiden durch Tattoos markierten Frauen, die wir in Tates gemietetem Haus trafen, sind seit Jahren bei ihm. Von der Staatsanwaltschaft werden beide als Opfer behandelt, doch sie selbst sagen, sie seien keine Opfer. „Ich habe keinen von beiden jemals aggressiv oder unhöflich erlebt. Sie haben die Leute immer respektiert“, erklärte Jasmina gegenüber dem rumänischen TV-Sender Antena 1. Offenbar ohne sich der Möglichkeit psychischer Gewalt bewusst zu sein, sagte sie den Reportern: „Den Frauen wurde nie ihrer Freiheit genommen … die Tür war immer offen.“

Wenn man Tate Glauben schenkt, war sein Webcam-Geschäft extrem ertragreich. In einem Podcast spricht er davon, dass in der Hochphase 75 Frauen an vier Standorten für ihn arbeiteten, was ihm monatlich 600.000 US-Dollar (568.800 Euro) einbrachte. Wir fanden zwei von ihnen in Bukarest. Laut einem Insider hat die rumänische Staatsanwaltschaft ganz sicher nicht so viele Webcam-Arbeiterinnen gefunden, wie von Tate angegeben.

Frauenhass taucht in seinen Inhalten immer auf

Im Zentrum von Bukarest wurde ein früheres Shopping-Zentrum zu Büros umgebaut. Im sechsten Stock liegt Best Studios, eine der größten und erfolgreichsten Webcam-Unternehmen der Stadt, das rund 200 Frauen beschäftigt. Eine der Chefinnen, Maria Boroghina, führt mich durch die rund 40 Schlafzimmer, in denen große Betten auf die Aktivitäten des Tages warten. Sie ist schick gekleidet, trägt eine teure Seidenbluse, das Haare kurz geschnitten und blondiert. Früher arbeitete sie selbst als Webcam-Model und verdiente im Jahr 2012 monatlich 20.000 US-Dollar (knapp 19.000 Euro). Mittlerweile ist sie Ende dreißig und die Managerin des Unternehmens. Sie reist zudem als Präsentantin von Rumäniens Webcam-Industrie um die Welt, wo sie Treffen in Kolumbien und Portugal besucht.

Maria kennt jeden in der Branche. Kannte sie auch Tate? Nicht, bevor sie seine Verhaftung im Fernsehen sah. Ist es möglich, dass er durch sein Webcam-Business mehrere zehn Millionen US-Dollar verdiente? „Oh!“, sagt sie überrascht. „Wenn er das behauptet, hätte ich gern, dass er kommt und mir zeigt, wie man das macht. Wir schaffen das nicht.“ Dann, mit mehr Nachdruck. „Es ist nicht realistisch, mit nur wenigen Models in dieser Branche so viel Geld zu verdienen.“

Tate hat aber noch weitere Unternehmen. Vielleicht hat er seine Billion ja in einem anderen Bereich verdient. Während wir beim Handelsregister anrufen, halten wir in einem schicken Bukarester Café. Dort sitzt eine Gruppe wohlhabender Jungs im Teenageralter aus einer nahegelegenen renommierten Oberschule. Ob sie von Tate gehört haben? Die Aufregung ist groß. „Der Top G!“ Ein 16-Jähriger mit einer Bücherwurm-Ausstrahlung macht sich zum Wortführer. „Wir lieben Andrew Tate“, sagt er lächelnd. „Er lehrt uns wichtige Lektionen über das Leben und Dinge, die man uns nicht in der Schule beibringt.“

Was zum Beispiel?

„Was man tun muss, um ein Unternehmen zu gründen.“

Der Vollständigkeit halber ist zu sagen, dass Tates Lehren mehr beinhalten als flotte Dreier und Wodka. Einige der Unternehmenstipps auf seiner Webseite sind relativ orthodox. Aber es ist schwierig, an dem Frauenhass vorbeizukommen.

Ich frage die Jugendlichen, ob sie denken, es sei okay, Frauen einzuschüchtern und zu etwas zu zwingen. „Das hängt von der Frau ab“, schreit einer. Es gibt Gelächter und ein paar anfeuernde Ausrufe. „Bei einem wohlerzogenen Mädchen würde man das nicht tun … aber wenn man mit einer Hure spricht …“ Der Junge zuckt mit den Schultern und schickt ein „Du-weißt-schon“-Grinsen in meine Richtung.

Sexualstraftaten haben traditionell keine Priorität in Rumänien

Rumänien ist meine spirituelle Heimat. In Bukarest traf ich vor fast 30 Jahren meine Frau. Damals war Intoleranz aller Art weit verbreitet. Homosexualität konnte einen ins Gefängnis bringen. Seither wurden große Fortschritte gemacht, insbesondere seit dem EU-Beitritt des Landes im Jahr 2007. Aber traditionelle Ansichten über Geschlechterrollen bestehen weiter. Es ist nicht ungewöhnlich und für die meisten auch nicht anstößig, wenn man sagt, Frauen sollten zu Hause bleiben und die Kinder aufziehen. Ehefrauen kochen; Ehemänner bekommen Essen. Von Männern wird erwartet, dass sie hart sind und Beschützer. Sie sollen auch wie Männer aussehen. Lange Haare werden nicht gern gesehen.

Traditionell haben Sexualstraftaten für die rumänischen Gerichte keine Priorität. Das gilt auch für Menschenhandel und vor allem, wenn der Angeklagte einen hohen sozialen Status hat und die Klägerin nicht. Das ist dabei, sich zu ändern. Aber würden die rumänischen Strafbehörden diesen Fall so eifrig verfolgen, wenn die erste Klägerin gegen die Tate-Brüder eine arme Rumänin gewesen wäre?

Tatsächlich war sie US-Bürgerin. Im April 2022 wurde das Haus der Brüder Ziel einer Polizeirazzia, nachdem die US-Botschaft den Hinweis geliefert hatte, dort werde eine 21-jährige US-Amerikanerin gegen ihren Willen festgehalten. Die Polizei nahm die Tates zur Befragung mit. Sie wurden bald wieder entlassen, aber die Razzia und die gesammelten Informationen waren Auslöser für die Verhaftung der Brüder kurz nach Weihnachten.

Die Suche nach dem Geld läuft ins Leere

In Bukarest suchen wir weiter nach Tates Geld. Wir nehmen Kasinos ins Visier, weil Top G behauptet, eine Kette von ihnen zu besitzen. Das passt zu Tate. „Die Geschichte ist folgende“, erzählt er seinen Anhängern in einem Videoclip, „es gab da drei Brüder, Mafia-Typen (natürlich!), die 400 Kasinos in ganz Osteuropa besaßen. Ich bin zu denen gegangen ...“ Er behauptet, er habe sich beteiligt. Ein Vermögen gemacht. Ein Geschäftsmodell entworfen.

Tate gibt an, eine Kette von 15 Kasinos zu besitzen, die ihm eine Million US-Dollar monatlich bringen. Aber dem ist nicht so, jedenfalls laut dem Bukarester Handelsregister. Obwohl wir überall suchen, findet sich kein Beleg dafür, dass er auch nur ein einziges Kasino besitzt. Auf jeden Fall keins der Bond-und-Martini-Sorte. In der Vergangenheit findet sich eine schwache Verbindung zu einer Kette, die Spielautomatenhallen betreibt. Ja, in Rumänien werden sie Kasinos genannt. Aber sie sind keine. Gegen das Unternehmen wird zudem derzeit wegen mutmaßlicher Erpressung und organisierter Kriminalität unter Beteiligung der rumänischen Mafia ermittelt.

Tate sprach schon früher davon, dass er in Rumänien als Geschäftspartner eines Unternehmens für Spielautomatenhallen selbst einige besitzt. Bei einer seiner Spielhallen verfolgte er die Taktik, die Warteschlangen vor einem nahen Starbucks-Café umzuleiten. Er bot kostenlosen Kaffee an, um die Leute anzulocken. Dann warfen sie ihr Lunch-Geld in seine einarmigen Banditen. Geschäftstüchtig. Aber genug, um damit eine Million US-Dollar im Monat zu verdienen?

Kurz nachdem die Polizei vergangenen April an Tates Tür geklopft hatte, scheint er merkwürdigerweise die rumänische Business- und Management-Beratungsfirma Groundbreaking Developments abgegeben zu haben. Er überschrieb sie einer Frau, die wegen des gleichen Vorwurfs von Menschenhandel verhaftet wurde. Die Firma wurde an eine weitere Frau übergeben, die sich als Porno-Schauspielerin aus der englischen Stadt Grimsby herausstellte. Mittlerweile wurde die Firma nach Dubai verlegt und es lässt sich nicht einsehen, wie viel Geld auf ihren Konten übrig ist.

Es ist schwer herauszufinden, wie viel Tates rumänische Unternehmen tatsächlich wert sind. Wir können nur für eine einzige Firma Angaben zur Steuererklärung finden: Talisman Enterprises, aufgeführt als Webportal-Unternehmen. Das Unternehmen hat Schulden in Höhe von 1,36 Millionen Euro.

Kürzlich twitterte ich einen Beitrag zu Tates Finanzen, in dem ich vermutete, er habe weniger Geld, als er angibt. Der Beitrag erhielt 2,3 Millionen Aufrufe und lebhafte Reaktionen von jungen Männern mit Maga-Baseballcaps. Sie meinten, die „Hand der Matrix“ zu erkennen. Ich wurde als Idiot, Parasit, Fake-Journalist und noch viel Schlimmeres bezeichnet.

Die Krypto-Investitionen bleiben verborgen

Eine von Tates Unternehmungen sticht als wahrscheinliche Quelle seines Einkommens hervor. (Es ist ja nicht so, dass er am Existenzminimum lebt; irgendetwas muss die Superautos und Uhren im Wert von 3,6 Millionen Euro erklären, die die rumänische Polizei angeblich in seinem Haus beschlagnahmt hat.) 2021 gründete Tate die Coaching-Plattform Hustlers University, die finanzielle Freiheit durch Online-Tutorials mit Professoren verspricht, die „Weltklasse-Multimillionär-Experten“ sind. Die Webseite sieht aus wie ein Vin Diesel-Film. Explosionen. Feuerbälle. Driftende Ferraris. Aber wenn man zu den Inhalten kommt, scheint es einige gute Investitionsempfehlungen zu geben. Die Dozenten sehen aus wie Bond-Bösewichte. Aber sie befinden sich an der Hustlers University, übersetzt: Abzocker- oder Ganoven-Uni. Was erwartet man da? Bei einem Dozenten ist das Gesicht verpixelt.

Die Hustlers University arbeitete mit einer unorthodoxen Anwerbungsmethode. Mitglieder erhielten für jeden neuen Studierenden, den sie anwarben, einen Teil der Abonnementgebühr. So hatte Tate über Nacht eine hoch motivierte Verkäufertruppe. Wer denkt, das klinge wie ein Schneeballsystem, wäre nicht der Erste. Laut Tate ist es keins.

Ein Abonnement kostete monatlich 49,99 US-Dollar (47,40 Euro). Tate behauptet, er hätte mehr als 100.000 zahlende Mitglieder. Das wirkt ein bisschen übertrieben – laut einem Studierenden liegt die Zahl eher bei 30.000. Aber selbst das hätte Tate reich gemacht. Die Hustlers University wurde erfolgreich umgestaltet und als The Real World wiedereröffnet.

Sollte Tate wirklich immensen Reichtum besitzen, fällt es mir jedenfalls schwer, ihn zu finden. Es gibt einen Ort, an dem wir allerdings nicht gucken konnten, und das ist die Blockchain. Tate spricht in den sozialen Medien regelmäßig über Kryptowährungen. In einem Podcast vom Oktober 2022 erzählte er den Zuhörern, er habe im März 2020 eine Investition von 600.000 US-Dollar in Bitcoin in einen Gewinn von 12 Millionen Dollar verwandelt.

Er scheint mindestens eine digitale Geldbörse zu besitzen, aber wir können nicht hineinschauen. Auch die rumänischen Strafverfolger können das nicht. Aber sie können Transaktionen verfolgen, die herein- oder herausgehen. Immerhin gibt es einen rechtlichen Präzedenzfall, der ihnen erlaubt, einzufrieren, was auch immer da ist.

Die Brüder bleiben in Untersuchungshaft

Zurück auf Tates Grundstück in Bukarest: Die schnellen Autos sind längst verschwunden. Sie wurden von den Behörden in Zusammenhang mit der Untersuchung des Vorwurfs wegen Menschenhandels konfisziert. Ein mit Einkäufen beladener Nachbar läuft vorbei. „Die haben nie etwas Falsches getan“, sagt er und zeigt auf Andrew Tates Haus. „Da stecken die Politiker dahinter. Sie versuchen, ihn davon abzuhalten, an sein Geld zu kommen.“ Dem würde Tate zweifellos zustimmen.

Er und sein Bruder werden wohl noch eine Weile nicht nach Hause kommen. Die Gerichte haben bis Ende Juni Zeit, einen Prozess zu eröffnen oder sie freizulassen. Laut einem Insider aus der rumänischen Staatsanwaltschaft geht man davon aus, dass der Prozess schneller anberaumt wird. Dann werden die Tate-Brüder von der Untersuchungshaft in eine Strafvollzugsanstalt verlegt, vermutlich unter härteren Haftbedingungen. Im Januar verlängerte der Richter die U-Haft der Tates mit dem Hinweis auf ihre „Fähigkeit und Versuche, permanente psychische Kontrolle auf die Opfer auszuüben … unter anderem durch ständige Gewaltausübung“.

Wenn sie verurteilt werden, könnte das für die Tate-Brüder viele Jahre in einem rumänischen Gefängnis bedeuten. Tate, ein im Cyberspace erschaffener Mann, müsste zusehen, wie sein Geld zu einem binären Code reduziert wird, der in einer virtuellen Geldbörse eingeschlossen ist, an die kein Mensch herankommt.

Auf eine Anfrage, sich zu diesem Artikel zu äußern, reagierte Andrew Tate nicht. Ein Sprecher von Andrew Tate hat sich nach der Veröffentlichung mit dem Guardian in Verbindung gesetzt und erklärt, dass Tate alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestreitet.

Paul Kenyon ist Journalist und Autor des Buches Children of the Night: the Strange and Epic Story of Modern Romania. Die Untersuchung seines Teams über Tate, Living With Andrew Tate, ist auf BBC File on 4 und BBC Sounds zu hören.

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Paul Kenyon | The Guardian

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