Bitte mit Stil!

Porträt Tyler Brûlé hat mit "Wallpaper" und "Monocle" die zwei einflussreichsten Magazine der internationalen Jetset-Bohème geschaffen. Was ist sein Erfolgsgeheimnis?

Der Mann, der in Zeiten der Medienkrise ein gedrucktes Magazin zum Erfolg geführt hat, blickt mich fassungslos an. Die Sonne scheint durch die Fenster seines Büros im Londoner Stadtteil Marylebone. "Worin liegt das Geheimnis?", habe ich Tyler Brûlé gefragt, den Chefredakteur von Monocle, und für einen Augenblick zeigt sich in seinem Blick sein Konkurrenzdenken ganz ungeschminkt. Warum in aller Welt sollte er sein Geheimnis verraten?

Brûlé sucht nach Worten. Dann hat er sie, und sie sitzen: "Die Leute müssen auf die Kleinigkeiten achtgeben", sagt er. "An Deck muss Ordnung herrschen. Jacketts werden nicht über Stuhllehnen gehängt."

Tyler Brûlé ist ein Mann, für den die Beschreibung "gepflegt" eine Untertreibung wäre. Seine starke physische Präsenz hat er wohl seinem Vater zu verdanken, der American Football spielte, und das mag einen Teil seines auratischen Auftretens erklären. Aber nur einen Teil: Seinen Stil, all das, wofür er steht, das hat er selbst entwickelt.

Brûlé ist ein Original. Ich mag ihn. Vor fast 20 Jahren sagte mir eine Redakteurin, er stelle für sie den idealen Auslandsredakteur eines Hochglanzmagazins dar: "Er hat keine Angst vorm Krieg und weiß, was eine gute Hose ist."

Nachdem er in Afghanistan zweimal angeschossen worden war, machte er im Krankenhaus eine Verwandlung durch. Er dachte darüber nach, was ihm wirklich wichtig war – und das waren Freunde, ein schönes Haus und Reisen. Aus dieser Vision seiner selbst, die er entwickelte, hat er mittlerweile zwei erfolgreiche Unternehmen gemacht, er gründete erst Wallpaper* und dann Monocle.

Kuchen für soziale Aufsteiger

Sein Assistent kommt herein und fragt, ob ich gerne deutschen Baumkuchen haben wolle. Brûlé fällt ihm ins Wort: "Eigentlich ist er aus Japan. In Deutschland würde man ihn kaum noch finden, aber die Japaner sind ganz verrückt danach." Natürlich weiß Brûlé, dass ich das in meinen Artikel schreibe. Selbststilisierung ist sein Geschäft. Art Directing ist sein Leben, sein Stil sein Geschäftsmodell. Und der Baumkuchen ist selbstverständlich entsprechend vorzüglich – ein Gebäck für Leute, die auf sozialen Aufstieg bedacht sind.

Wallpaper*, das Magazin mit dem Slogan "The stuff that surrounds you" – etwa: die Sachen, die uns umgeben –, war der Inbegriff des "Urban Dreaming". Das Magazin war eine Baumkuchen-Version des britischen Einrichtungsmagazins Homes Gardens. 1997, ein Jahr nach seiner Gründung, kaufte es das US-amerikanische Medienunternehmen Time Inc., Berichten zufolge für 1,63 Millionen Dollar. Ein paar Jahre lang lebte Brûlé das Leben eines Angestellten, aber es passte nicht zu ihm, und heute sagt er: "Die Berater und Werber machten sich unmerklich immer mehr in der Redaktion breit – das führte zu einer Vertrauenskrise."

Als es kam, wie es Brûlés Darstellung zufolge womöglich kommen musste und er sich mit den Amerikanern überwarf, verlegte er sich aufgrund einer Wettbewerbsverbotsklausel darauf, Werbung zu machen und gründete die Agentur Winkreative, bei der er seinen Sinn für Geschmack und Stil für so unterschiedliche Kunden wie Swissair oder Taiwan zum Einsatz brachte.

Aber sobald die rechtlichen Beschränkungen wegfielen, kehrte Brûlé ins Magazin-Geschäft zurück und gründete mit Monocle ein Kompendium von Goldstückchen, die im Reportageton verfasst sind und sich an der Nachrichtenlage der Welt orientieren. Nichts scheint Monocle so zuwider wie Promiberichterstattung. Es beschäftigt sich mit Waffengeschäften Saudi-Arabiens und Modeshootings in Tokios Herrenfriseursalons gleichermaßen, angereichert mit einer obsessiven Faszination für Flugzeuge. Alles dreht sich um die Infrastruktur des internationalen Lebens. Die Monocle-Redaktion will ernsthaft, aber nicht ohne Witz, mit dafür sorgen, dass wir uns in Flugzeugen, Hotels und U-Bahn-Netzen wohl fühlen. Aber sie würde einem nie dazu raten, sich die Kleider vom Leib zu reißen und in den nächsten Bach zu springen.

Brûlé sagt, Monocle verkaufe mehr als 70.000 Exemplare pro Ausgabe. Das Magazin kostet sechs Pfund (zwölf Euro in Deutschland). Nach Angaben des Auflagenkontrollverbandes Audit Bureau of Circulations gehen allein in Großbritannien 11.000 Exemplare an den Kiosken weg. Hinzu kommen 2.000 Abos. Der Rest geht ins Ausland.

Das Brûlé-Imperium

Und Brûlé erweitert das Angebot laufend: Im vergangenen Jahr gründete er eine Radiostation, die 24 Stunden täglich auf Sendung ist. Sie scheint eine Baumkuchen-Version des BBC-Senders Radio 4 werden zu wollen. Auch wenn sie bei Weitem noch nicht dessen Tiefe erreicht hat, kann man den Anspruch doch heraushören. Zählt man noch eine zweimal im Jahr erscheinende Zeitung und eine weltumspannende Kette mit Geschäften hinzu, in denen Accessoires für ein Leben im Monocle-Stil verkauft werden, erhält man eine Vorstellung von der Größe des Brûlé-Imperiums.

Das basiert übrigens auf einer Philosophie, die innerhalb der Medienbranche besonders ist, auch wenn nach und nach andere Medien sich anschließen: „Es ergab für uns keinen Sinn, unseren Journalismus kostenlos wegzugeben“, sagt Brûlé. „Aber wir mussten uns überlegen, wie wir online einen Mehrwert hinzufügen. Wir begannen mit Videos, und dann wurde daraus Radio. Was wir in Print machten, konnten wir damit allerdings nicht wiederholen.“

Dann ist Morgenkonferenz. Brûlé führt mich hinunter. Die Redaktion ist gerade erst von einer Feier zum fünften Geburtstag des Magazins aus Budapest zurückgekehrt; sie hat auch mit ihren Abonnenten in Tokio, Seoul und Berlin gefeiert und ist auf dem Sprung nach New York. Während der Sitzung verbringen die Redakteure viel Zeit damit, über die verschiedenen Airlines zu reden, mit denen sie geflogen sind. Männliche Faszination für Wegbeschreibungen klingt an – Monocle-Redaktionssitzungen scheinen diese zu befördern.

Zurück in seinem Büro frage ich Brûlé dann, wie er seinen perfekten Leser beschreiben würde. Er holt sein Handy aus der Tasche. „Diese E-Mail habe ich gerade eben erst erhalten“, sagt er und liest vor: „‚Ich bin 21 und studiere in Australien Wirtschafts- und Politikwissenschaften. Ich habe noch nicht die Mittel, um die Vorstellungen, die von Ihrem Magazin vertreten werden, auch zu leben. Ich möchte Ihnen lediglich danken, dass Ihr Magazin so viel Fantastisches bietet.‘ Würde ich ihn bei einem Treffen mit Werbekunden als repräsentativ für unsere Kernleserschaft bezeichnen?“, fragt Brûlé. „Vielleicht nicht. Dann aber wieder doch, da es sich um jemanden handelt, der uns noch lange begleiten wird und einer anderen Generation von Mediennutzern angehört.“

Brûlé selbst ist mit Magazinen und Nachrichtensendungen aufgewachsen. Er ist halb estnischer Abstammung, verbrachte seine Kindheit aber in Kanada. „Ich wuchs in einer Reihe von Städten von Ottawa über Montreal bis Toronto auf, in einer Zeit, in der die amerikanischen Sender noch nicht über die Grenze sendeten. Schon in jungen Jahren war ich fasziniert von den großen Abendnachrichtensendungen“, sagt er. „Ich wollte immer aufbleiben, um diese Männer und Frauen zu sehen, die aus der ganzen Welt berichteten. Gleichzeitig wuchs ich in einem Magazin-Haushalt auf, mit Forbes und den Deko-Magazinen meiner Mutter. Und wenn ich dann meine Verwandten in Estland besuchte, die aus Deutschland geflohen waren, hatten sie immer Ausgaben des Spiegel oder Stern zu Hause. Die deutschen Reportagen hatten immer auch etwas Schauriges. Ich fand das alles unglaublich aufregend.“

Teil des Brûléschen Gesamtkonzepts ist die moderne Ästhetik seiner Medien, die oft auf Ablehnung stößt. Die Programme seines Radiosenders und die Überschriften in seinem Magazin spiegeln, was dieser Mann ist: ein Urbanist und bedingungsloser Globalist, der gerne aus der Perspektive der ersten Klasse einer Interkontinental-Maschine schreibt. Wenn er dort sitzt, verzweifelt Brûlé erst einmal an der mangelnden Innovationsfähigkeit seiner Wahlheimat Großbritannien. „Es gibt so viele Architekten und Grafikdesigner aus vielen Ländern in London“, sagt er. Das liege allerdings daran, dass man dort Englisch spreche und Großbritannien Teil der EU sei – deshalb zögen so viele dorthin. „In New York kannst du nicht einfach auftauchen und einen Job als Grafikdesigner bekommen – hier ist das möglich“, sagt er. Dass die Zusammenarbeit von Regierung und Privatwirtschaft das Land für diese Leute attraktiv mache, könne man aber wahrlich nicht behaupten.

Würde er mit seinem Unternehmen also woanders hingehen? „Wir hatten diese Diskussion. Die Frage ist nur: wohin? Das ist das ganze Problem.“ Wie wäre es mit Skandinavien? Schließlich behauptet Monocle doch ständig, in Kopenhagen oder Helsinki lasse es sich am besten leben. Brûlé blickt mich bestürzt an: „Die Skandis sind mir ein wenig zu sozialistisch.“ Er zeigt mit der Hand im Raum umher. „Alles in diesem Zimmer kommt aus Skandinavien, aber der Mutterschutz dort würde uns umbringen.“ Der beste Ort zum Leben ist also, so kann man es zusammenfassen, nicht geeignet, um dort ein Unternehmen zu führen.

Er hat den absoluten Blick

Unsere Zeit läuft ab. Zeit für einen Rundgang und letzte schnelle Fragen: „Wird Ihnen das Fliegen nicht fad?“, frage ich. Er antwortet: „Ich neige inzwischen eher zu langen Flügen als dazu, ständig hin und her zu fliegen.“ Aber sein Partner hasse es doch bestimmt, dass er so viel unterwegs ist? „Er reist oft mit mir.“ Gibt es Pläne für Kinder? Unterdrücktes Lachen. „Noch nicht.“ (Was im Übrigen ein Jammer ist: Seine strikten Vorstellungen von Ästhetik wären auf den Elternforenseiten bestimmt ein Renner.)

Dann führt mich Brûlé durch die Räumlichkeiten – Magazin, Radio und die Beratungsfirma logieren je auf einer eigenen Etage. „Es ist wie ein cooles Architekturbüro, in dem alle demselben Kult anhängen“, sagt er. „Alle müssen auf einer Wellenlänge liegen – ich bin kein großer Freund kreativer Konflikte.“ Was aber wohl nach Harmonie klingen soll, macht einem auch ein wenig Angst, der Blick hinter diesen dick gerahmten Brillengläsern ist schließlich absolut. Dennoch ergibt es Sinn, was er sagt: Die Antwort auf meine Eingangsfrage nach dem Geheimnis seiner Publikation lautet somit, dass die Leserinnen und Leser „eine einzigartige Vision kaufen“.

Auf dem Weg nach draußen kann ich nicht umhin zu versuchen, seine Inszenierung als Perfektionist ein wenig aufzubrechen. „Tyler, da drin hatte einer sein Jackett über die Stuhllehne gehängt“, sage ich. Kurz macht er einen betroffenen Eindruck und murmelt etwas von Praktikanten. Am nächsten Tag erzähle ich diese Geschichte einem seiner Angestellten. „Oh, deswegen wurde der also gefeuert“, scherzt er.

Zumindest hoffe ich, dass es ein Scherz war.

Ruaridh Nicoll ist Redakteur des Observer-Magazins und Autor zweier Romane.

Vater Footballspieler, Mutter Künstlerin

Was Tom Ford für die Mode ist Tyler Brûlé in der Welt der Hochglanzmagazine: Er setzt seit Jahren den Standard of Cool. 1968 in Kanada als Sohn estländischer Immigranten geboren, ging Brûle mit 19 Jahren nach Großbritannien. Nach einer Journalistenausbildung bei der BBC schrieb er als freier Reporter für den Guardian, Stern und Vanity Fair.

1994 wurde Brûlé während einer Recherche für den Focus in Afghanistan angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Während der Rekonvaleszenz kreierte er das Lifestyle- und Designmagazin Wallpaper*, das 1996 erstmals erschien und sich an die modernen Nomaden richtete: die Klasse der mobilen Arbeitnehmer, die weltweit unterwegs sind, kein Zuhause brauchen, dafür aber umso mehr Rat in Lebens- und Stilfragen.

Wallpaper* avancierte zu einem der einflussreichsten Magazingründungen der neunziger Jahre. Brûlé blieb bis 2002 Chefredakteur, widmete sich dann seiner Werbeagentur und arbeitet als TV-Moderator ein alter Jugendtraum.

2007 erschien die erste Ausgabe von Monocle, die nächste Gründung Brûlés. Das Luxusmagazin ist eine Mischung aus Foreign affairs und Vanity Fair. Zielgruppe sind moderne Nomaden, die zu Geld gekommen sind. Seit 2010 schreibt Monoclé, das zu Beginn ein Gegenentwurf zur Digitalisierung der Medienwelt war, schwarze Zahlen. Es verkauft weltweit 80.000 Exemplare. Inzwischen bloggt aber auch Tyler Brûlé. JK

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Ruaridh Nicoll | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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