Blackstone-Gesetz: Dänemark wehrt sich erfolgreich gegen Immobilienspekulation
Finanzindustrie Wohnraum wird Spekulationsobjekt: Der US-Konzern Blackstone wollte diese Strategie auch in Kopenhagen umsetzen. Doch der Widerstand der Mieter findet Widerhall in der Politik
Dänemark hat gezeigt, wie sich Mieter:innen erfolgreich gegen Immobilienkonzerne wehren können
Illustration: der Freitag
Blackstone ist ein stiller Riese. Auf leisen Sohlen hat sich das Unternehmen in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine schwindelerregende Zahl von Mietshäusern, Büros, Pflege- und Studentenwohnheimen, Hotels und Lagerhäusern einverleibt. In der New Yorker Zentrale von Blackstone an der Park Avenue in Manhattan versammeln sich jeden Montag der Firmengründer Steve Schwarzman, sein Chief Operating Officer Jon Gray und die Seniorpartner von Blackstone an einem großen Konferenztisch, um die Memos zu besprechen, die von den Angestellten der 26 Niederlassungen des Unternehmens in den USA, Europa und Asien vorbereitet wurden. Dann werden die Investitionsentscheidungen von Blackstone getroffen.
Im vergangenen Jahr erhöhte die 1985 gegründete Investmentgesellschaft d
llschaft den Gesamtwert der von ihr verwalteten Vermögenswerte auf 974 Milliarden Dollar – das ist mehr als das Schweizer Bruttoinlandsprodukt (BIP) und mehr als das Doppelte des dänischen. Blackstone ist nicht zu verwechseln mit der früheren Tochterfirma Blackrock, die 1988 von Larry Fink gegründet wurde und für die Friedrich Merz vor seiner Zeit als CDU-Chef Aufsichtsratschef in Deutschland war. 1994 spaltete sich Blackrock von der Muttergesellschaft Blackstone ab und übertraf deren Umsatz um ein Vielfaches. Aber wenn es um Immobilien geht, ist und bleibt Blackstone vorn. Sein 326-Milliarden-Dollar-Immobilienportfolio ist mehr als sechsmal so groß wie das von Blackrock. Immobilien sind Blackstones Goldesel.Wie jedes andere nach kapitalistischen Prinzipien agierende Unternehmen ist Blackstone darauf bedacht, Renditen für seine Investoren zu erzielen. Zu diesem Zweck hat das Unternehmen in rasantem Tempo Häuser und Wohnungen auf der ganzen Welt erworben. An den meisten Orten, an denen Blackstone Einzug hielt, gab es kaum Widerstand dagegen. Bis Blackstone nach Dänemark kam. Denn Dänemark, dieses kleine Land, dessen BIP nicht einmal halb so groß ist wie Blackstones Kapitalfülle, entschied, dass Blackstone zu weit gegangen war. „Blackstone war wie ein Boxer, der voll in einen Kinnhaken reinläuft“, sagt der dänische Immobilienexperte Curt Liliegreen. „Sie haben echt nicht kommen sehen, was da auf sie zukam.“Rendite, Rendite, RenditeBlackstone begann kurz nach der Finanzkrise 2008, in Wohnimmobilien zu investieren. Als in den USA immer mehr Menschen ihre Immobiliendarlehen nicht mehr bezahlen konnten, wurden Tausende von Häusern zu reduzierten Preisen angeboten. Die Folgen waren katastrophal, aber nicht für Blackstone. Im Frühjahr 2012 schwärmten Blackstone-Mitarbeiter aus, um solche Immobilien aufzukaufen. Die Firma gründete eine Tochtergesellschaft, Invitation Homes, um ihr neues Reich aus Wohnungen und Häusern zu verwalten. Bald gab das Unternehmen jede Woche bis zu 125 Millionen Dollar für Häuser aus.Placeholder image-1Nicht alle Bewohner aber war von ihrem neuen Vermieter begeistert. Einige Mieter der Wohnungen von Invitation Homes berichteten, dass das Unternehmen die Mieten in die Höhe trieb, bei den Instandhaltungskosten knauserte und den Mietern hohe Gebühren auferlegte. Das Geschäftsmodell des Unternehmens schien darauf zu beruhen, Mieten und Gebühren zu maximieren und die Instandhaltungskosten zu senken. Blackstone erklärte auf Anfrage, alle Beschwerden der Mieter beruhten auf einer „falschen Darstellung der Fakten“ .Zur gleichen Zeit, als Blackstone in den USA auf Einkaufstour ging, nahm das Unternehmen auch Spanien in den Blick und kaufte 2013 ein Paket von 1.860 Wohnungen von der Stadt Madrid. Die Geschichte war die gleiche wie in den USA: Auch in Madrid berichteten Mieter, dass ihre Mieten nach der Übernahme durch Blackstone steil anstiegen, während ihre Gebäude verfielen. Im Jahr 2019 besaß Blackstone fast 30.000 Mietwohnungen in Spanien und war damit der größte private Vermieter.Dann beschloss das Unternehmen, seine Strategie zu verändern: Anstatt Bestandsimmobilien zu Schleuderpreisen zu kaufen, wollte Blackstone Wohnungen in ausgewählten Top-Städten erwerben, die die „Industrien der Zukunft“ beherbergen würden: Wissenschaft, Technologie und Kreativindustrie. Stockholm war die erste nordische Stadt, in der Blackstone aufschlug. Im Jahr 2016 erwarb es eine Mehrheitsbeteiligung an Schwedens größtem Immobilienunternehmen mit 16.000 Wohnungen, die meisten davon in Stockholm. Im selben Jahr renovierte das Unternehmen mehr als 1.000 Wohnungen und erhöhte dann die Miete um 42 Prozent. 2019 besaß es bereits 21.000 Wohnungen in Stockholm.In einem vernichtenden Bericht vom Sommer 2019, kurz bevor Blackstone seine schwedische Tochterfirma verkaufte, schrieb die schwedische Mietervereinigung, dass die Eingänge zu den Blackstone-Immobilien „heruntergekommen“ und „schmutzig“ seien. „Blackstone kam, erhöhte die Mieten, nahm das Geld und machte sich aus dem Staub“, sagt der sozialdemokratische Abgeordnete Ola Möller. „Das sind wir in Schweden nicht gewohnt.“Aber da hatten James Seppala, Blackstones Head of Real Estate für Europa, und seine Kollegen ihre Aufmerksamkeit bereits auf das Nachbarland gerichtet. In Dänemark hatte das Unternehmen begonnen, mit einem Partner zusammenzuarbeiten, um Wohnungen aufzukaufen. Doch Dänemark sollte sich für den Konzern als weitaus schwierigeres Pflaster erweisen.Ende 2018 begann sich der Posteingang von Claus Højte mit aufgeregten Nachrichten zu füllen. Højte ist der Vorsitzende der Kopenhagener Mietervereinigung, er und seine 33 Mitarbeiter vertreten fast 40.000 Mieter in der Stadt. In allen E-Mails, die Højte bekam, ging es um das Gleiche: Ein neuer Vermieter hatte damit begonnen, Immobilien in Kopenhagen aufzukaufen. Einige Mieter berichteten, sie seien nach Hause gekommen und hätten ihren Wohnblock eingerüstet vorgefunden. Eine Mieterin schrieb an Højte, sie habe fünf Mahnungen wegen Mietrückständen erhalten, obwohl sie jeden Monat pünktlich gezahlt habe. Andere Mieter glaubten, dass der Vermieter die Gebäude kosmetisch an Treppenhäusern und Fassaden luxussanieren und dann teuer verkaufen wolle.Der neue Vermieter war eine kleine dänische Firma namens 360 North. Hinter ihrer Fassade verbarg sich aber der Riese Blackstone. 360 North kaufte in seinem Namen Wohnblöcke auf und erschwerte es so, zu verstehen, wie viele Wohnungen Blackstone in Kopenhagen genau besaß. Wenn Blackstone ein Gebäude kaufte, gründete das Unternehmen eine eigene Immobiliengesellschaft, eine „PropCo“. Jeder Wohnblock gehörte einer anderen „PropCo“, die wiederum einer Holdinggesellschaft, einer „HoldCo“, gehörte, die wiederum einer anderen Holdinggesellschaft, einer „TopCo“ gehörte. Um die Sache noch zu verkomplizieren, war diese TopCo im Besitz einer anderen Holdinggesellschaft, die ihren Sitz in Luxemburg hatte. „Es ist wie ein Spinnennetz“, sagte Claus Højte über seine Versuche, herauszufinden, welche Häuser Blackstone gehörten.Kopenhagen ist eine kleine Stadt. Schon bald begannen die Medien, sich für die Geschichten der Mieter zu interessieren. Eine Mieterin erzählte dem dänischen Fernsehen, dass es in ihre Wohnung hineinregnete, nachdem Arbeiter Teile des Daches entfernt hatten. Die Mieter vermuteten, dass diese und ähnliche Vorfälle Teil einer Strategie waren, um die Mieter zum Auszug zu bewegen. 360 North bot einigen Bewohnern hohe Ablösen, wenn sie auszogen. Sobald die Firma eine Wohnung renoviert hatte, verdoppelte sie die Miete; das ging auch bei alten, mietgebundenen Wohnungen.In Kopenhagen wurde die Taktik unter dem Namen „ryste bygningen“ bekannt, „Gebäudeschütteln“. „Stellen Sie sich einen Apfelbaum vor, bei dem man am Stamm rüttelt, bis die Äpfel herunterfallen“, schrieb ein Journalist. „Die Bewohner sind die Äpfel, die Wohnungen die Äste, und wenn ein Vermieter am Gebäude ‚rüttelt‘, dann um die Mieter rauszukriegen.“Placeholder image-2Fast überall, wo sich die Mieter über Blackstone beschwerten, war derselbe Mann im Spiel. Er umkreiste die Gebäude, inspizierte Höfe und Treppenhäuser und trieb Bauarbeiter an. Er schien unter Strom zu stehen, trug eine dicke schwarze Brille und sprach schnell. Dieser Mann war Nils Jansson. In Dänemark sollte er Blackstone zum Verhängnis werden.„Blackstone go home“Nils Jansson war ein seltsamer Geschäftspartner für eine Wall-Street-Firma, die sich als sorgfältiger Verwalter von Rentenfonds gibt. Im dänischen Immobiliengeschäft war er ein Außenseiter, ursprünglich aus der Hafenstadt Holbæk und eigentlich Landwirt. Er arbeitete als Manager in einer Baufirma, bis er im Boom vor der Finanzkrise in Kopenhagen groß rauskam. Jansson – Spitzname „Speedy“ – kaufte damals heruntergekommene Gebäude, sanierte sie und verkaufte sie weiter. Die Eik Bank, eine färöische Bank, gab ihm Kredite auf der Grundlage, dass sie nach Verkauf Boni abgriff. Das war zwar legal, aber äußerst riskant. Jansson wurde ein wichtiger Kunde der Eik Bank. Als sich der Immobilienmarkt 2009 abschwächte und die Banken ihm kein Geld mehr liehen, ging er in Konkurs. Ein Jahr später meldete die Eik Bank Insolvenz an und wurde vom Staat übernommen, Jansson zog auf einen Bauernhof und hielt Rinder. Für viele blieb er aber ein Sinnbild für die Risiken und Exzesse, die die dänische Finanzkrise mitverursacht hatten.Die Entscheidung von Blackstone, mit Jansson zusammenzuarbeiten, war ein gewagter Schritt. Aber er hatte, was Blackstone brauchte. Nur wenige kannten den Markt besser, er war unerbittlich und arbeitete 18 Stunden am Tag. Er machte sich Feinde, wo immer er hinkam. Blackstone war nicht der einzige große Immobilieninvestor in Kopenhagen und auch nicht der größte. Dennoch hatte das Unternehmen ein Problem. Es war ein amerikanischer Konzern, der den Bestand an billigem Wohnraum aushöhlte. Und es kooperierte mit einem Geschäftsmann mit dubiosen Methoden.Bald begann sich Widerstand zu formieren. In Frederiksberg, wo Blackstone 300 Wohnungen kaufen wollte, starteten die Bewohner eine Kampagne und malten „Blackstone go home“-Transparente. Nachdem er die Staatsarchive in Kopenhagen durchforstet hatte, fand ein in Frederiksberg lebender Anwalt eine fast 100 Jahre alte Urkunde, aus der hervorzugehen schien, dass ein Verkauf an einen privaten Investor nicht zulässig sein würde.Es half, dass einige Bewohner gut vernetzt waren. Einige verfassten einen Meinungsartikel für eine große dänische Zeitung, andere organisierten ein Treffen mit einem Minister. Die Medien stürzten sich auf ihre Geschichten. „Was im Fall von Blackstone geschah, war, dass die Mittelschicht entdeckte, dass ihre Wohnungen in Gefahr waren“, sagt Claus Højte.An einem Abend im April 2019 berief Højte eine Versammlung der Mietervereinigung ein. Es kamen so viele Leute, dass man nur noch stehen konnte. Kaare Dybvad, ein Abgeordneter der Sozialdemokraten, war da, ebenso zwei Abgeordnete der linken Partei Enhedslisten und der rechtsextremen Dänischen Volkspartei. Die Atmosphäre war angespannt. „Die Mieter erzählten von Mieterhöhungen von bis zu 250 Prozent“, erinnert sich Dybvad. „Und von Bauarbeitern, die morgens um sechs Uhr ankamen und ohne Vorankündigung ihre Zimmer betraten.“Von der Wut zur TatDie Mietervereinigung versuchte die Wut in konkrete Maßnahmen zu lenken, die den Mietern dauerhaften Schutz bieten würden. Zwei Monate nach dem Treffen fanden Parlamentswahlen statt. Die Sozialdemokraten gewannen die Mehrheit, Dybvad wurde zum Wohnungsbauminister ernannt. Mette Frederiksen, die neue Premierministerin, griff das Unternehmen in einer Rede an. „Ein amerikanischer Private-Equity-Fonds kauft unsere Häuser auf“, sagte sie. „Kennt die Gier keine Grenzen?“ Dybvad arbeitete ein Gesetz aus, das Blackstone und andere daran hindern sollte, mit dänischem Wohnraum zu spekulieren. Vermietern sollte nach Sanierungen für bis zu zehn Jahre verboten werden, die Miete zu erhöhen. Der dänische Vermieterverband und die Pensionsfonds waren über den Vorschlag empört. Dybvad gab sich pragmatisch und verkürzte die Regelung auf fünf Jahre. Im Juli 2020 verabschiedete das dänische Parlament schließlich das Blackstone-Gesetz. Das Gesetz verbietet es neuen Vermietern auch, Mietern Geld für ihren Auszug anzubieten.Das Blackstone-Gesetz ist einer der wenigen Fälle, bei denen sich ein Land erfolgreich gegen die Umwandlung von Wohnraum in ein Spekulationsobjekt für die Finanzindustrie gewehrt hat. Aber es gab auch andere Versuche: Spanien verbietet den Verkauf von Sozialwohnungen an Investmentfonds. In Berlin, wo Blackstone 2.500 Wohnungen besitzt, führte der Senat im Januar 2020 einen Mietendeckel ein, der für 90 Prozent aller Wohnungen galt. Allerdings kippte das Bundesverfassungsgericht ihn nur ein Jahr später.Blackstone hat in Dänemark vielleicht einen Rückschlag erlitten, aber an seinem Geschäftsmodell hält es nach wie vor fest. Im Jahr 2009, kurz nach der globalen Finanzkrise, hatte Schwarzman an seine Aktionäre geschrieben: „Wir sind langfristige Investoren, und wir sind geduldig.“ Anfang 2022, als die Inflation viele Mieten in die Höhe schnellen ließ, meldete Blackstone die höchsten Gewinne seiner Geschichte. Das Unternehmen sagt, dass die Mieten aufgrund von Angebot und Nachfrage steigen – wegen Wohnungsmangel. Inzwischen präsentiert sich Blackstone als Antwort auf die Wohnungsknappheit sowohl in den USA als auch in Großbritannien.Pensionsfonds streben nach langfristigen, stabilen Erträgen, so dass die fünfjährige Verzögerung, die das dänische Blackstone-Gesetz einführt, sie nicht davon abhalten wird, in Kopenhagener Wohnungen zu investieren. Das ist ja die Krux an der Sache: Der Pensionsfonds des einen Landes ist die Heuschrecke des anderen. Seit Inkrafttreten des Blackstone-Gesetzes haben dänische Pensionsfonds in Wohnimmobilien in Belgien und Berlin investiert, wo der dänische Pensionsfonds PFA zur Zielscheibe einer Mieterkampagne wurde. Das Geld, das diese Konzerne in Wohnungen investieren, garantiert den Anlegern stetige Renditen, aber es garantiert auch, dass die Mieten steigen, weil die Fonds versuchen, ihre Profite zu maximieren. „Wir müssen uns also entscheiden“, sagt der dänische Mietervertreter Højte: „Wollen wir höhere Renten? Oder wollen wir Wohnraum für alle?“Placeholder infobox-1