Bohemian Rhapsody zum Frühstück

Rock'n'Roll-Kind Es begann mit einer Anzeige. Tiffany Murrays Mutter vermietete in den siebziger Jahren ihr Landhaus an Rockbands. Erinnerungen an eine Kindheit mit Queen und Led Zeppelin

Ich stand splitternackt in unserem Fischteich, als der Laster in unsere Einfahrt bog. Ich war sechs Jahre alt, ein Kind vom Land – nackt im Fischteich zu stehen war für mich das Normalste von der Welt. Weniger normal war der Laster, der sich da mit einer Limousine im Schlepptau durch unsere gotische Toreinfahrt zwängte. Normal waren auch nicht die Gitarren und die schwarzen Marshall-Verstärker auf der Ladefläche des Lasters. Und alles andere als normal waren die haarigen Männer, die in unser Haus kamen, um Krach zu machen.

Meine Mutter Joan versuchte uns beide durchzubringen, so gut es ging. Unser großes Haus gehörte ihrem Freund, sie hatte nur ein kleines Einkommen. Eines Morgens setzte sie sich deshalb an den Küchentisch und schrieb eine Anzeige für die Times: „Landhaus verfügbar. Proberaum für Bands. Kein Heavy Rock.“

Mum hatte es schon mit Austauschstudenten versucht, aber die bezahlten nie. Der nächste logische Schritt war für sie, dass wir in die Scheune zogen und das Haus an Bands als Proberaum vermieteten. Für sie erschien das sinnvoll.

Viele Ratten und eine Dogge

World of Interiors

Die Band hatte sich in unserer großen Eingangshalle eingerichtet. Männer rannten mit Verstärkern und Kabeln herum. Die Halle war gigantisch und reichte bis in den Dachgiebel. Auf der einen Seite war sie von einer Galerie eingerahmt. Ich kauerte des Öfteren dort und ließ meine Füße über dem sechs Meter tiefen Abgrund baumeln. Am liebsten mochte ich an der Halle die gewundene Eichentreppe, deren Stufen so breit waren, dass sie mir wie Boote aus Eichenholz vorkamen. Bis man oben auf dieser Treppe ankam, war man vollkommen außer Puste. Der Grund, weshalb die Band sich für die Halle entschied, hatte mit etwas zu tun, das sie Akustik nannten. Trotzdem blieb es mein Haus und meine Eingangshalle und mir gefiel diese Invasion nicht. Männer, die Roadies genannt wurden, schliefen in meiner Dachkammer. Diese Männer sangen nicht, sie schleppten Zeugs. Ich wollte mit dem Finger auf sie zeigen und brüllen: „Was macht dieser haarige Mann in meinem Bett?“

Am nächsten Morgen hörte ich das Scheppern des Schlagzeugs und Gitarrenlärm. Ich stapfte zu unserem Haus und stieß die schwere Eichentür auf. Ich marschierte in die Eingangshalle, stieg die Treppe halb hoch, ließ mich auf eine der Stufen fallen und da saß ich dann, mit verschränkten Armen, die Lippen zu einem Schmollmund verzogen.

Die Band hörte auf zu spielen. Sie starrten mich an. Ein außergewöhnlich großer Mann mit einem Kranz aus dunklen Locken und ein Mann am Klavier, mit fleischigen Lippen und abstehendem schwarzem Haar, grinsten. Ich hörte, wie meine Mutter hereinschlich: „Entschuldigt bitte – habt ihr meine Tochter gesehen?“ Der Riese mit der Gitarre zeigte in Richtung Treppe. „Oh, das tut mir wahnsinnig leid“, entschuldigte sich meine Mutter. Der Mann schüttelte den Kopf: „Sie stört nicht. Lass sie sie ruhig.“

Jahre später erzählte mir meine Mutter: „Du warst total verrückt nach dieser Treppe und saßt immer dort auf halber Höhe. Du hast nicht kapiert, warum du nicht in deinem eigenen Bett schlafen durftest, aber die Musik hast du geliebt.“

Dort saß ich dann, Tag für Tag. Die Band gewöhnte sich an mich. Ich schaute durch das Eichengeländer herunter auf die Männer, die Rock ’n’ Roll spielten. Lauten Rock ’n’ Roll. Tagsüber hörte ich so aus nächster Nähe das Jaulen der Gitarren, nachts klingelten mir die Ohren auf meinem Kopfkissen.

Freddie fand "Bohemian Rhapsody" noch zu lang

"Es ist fantastisch", erwiderte meine Mutter. "Es ist etwas lang“, meinte er und spielte weiter. Es war "Bohemian Rhapsody". Meine Mutter beschrieb Freddie Mercury als einen liebenswürdigen, aber schüchternen Mann, dem es nichts ausmachte, wenn unsere Katzen durch die Halle streiften.

Mum kochte für Queen und in den folgenden Jahren für viele andere Bands. Sie hat echte Stars und Eintagsfliegen verköstigt. Sie tischte wilde Brunnenkresse auf und briet Hechtquenelles. So sah die klassische Rock ’n’ Roll-Küche in Herefordshire in den Siebzigern eben aus. Für mich galt eine feste Regel: Wenn ich die Bands nervte, musste ich raus. Die nächste Truppe kam in einem Mercedes-Konvoi. Die Autos hatten merkwürdige Nummernschilder. „Iren“, erklärte mir meine Mutter. Als aus den Autos langhaarige Typen kletterten fragte sie: „Ihr macht nicht etwa Heavy Rock, oder?“ „Aber nein“, sagte einer der Männer. „Wir sind eine kleine Folkband.“ Die anderen lachten.

Horslips waren damals Irlands größte Rockband. Sie ließen die Fenster offen stehen und drehten voll auf. Das ging eine Woche lang gut, dann klopfte die Polizei an unsere Tür. Die Verbindung aus elektrischen Gitarren und irischen Nummernschildern in Sichtweite der Basis der Speziallufteinheit SAS hatte die Behörden in Alarmbereitschaft versetzt und so musste meine Mutter die Polizisten davon überzeugen, dass es sich bei den Männern um Musiker handelte, die keinerlei Verbindungen zur IRA unterhielten. Die Tatsache, dass überall Gitarren und Verstärker herumstanden und der Lärm der Band selbst schienen für die Polizisten keine ausreichenden Indizien zu sein.

Ich mochte Horslips. Sie waren für mich wie eine Familie und nannten mich „Tiff“. Ich liebte es, einem Mann namens Jimmy dabei zuzusehen, wie er in der Galerie auf und ab ging und dazu Flöte spielte. An dem Tag als Horslips zu uns kamen, trottete ein schwarz-weißer Hund in unsere Scheune, hob sein Bein und pinkelte auf Mums Zwiebeln. „Wem gehört der Scheißhund?“, kreischte sie. Ein bärtiger Mann in Jesuslatschen steckte seinen Kopf durch unser Scheunentor: „Tut mir leid.“ Fritz Freyer war der Produzent der Band. Ich war hingerissen von seinem Hund und sein Hund war von meiner Dogge hingerissen. Mum musste fast jeden Morgen mit dem Gartenschlauch auf ihn losgehen.

Die Bands kamen und gingen

Als der Freund meiner Mutter verschwand, sah es so aus, als würden wir auch das Haus verlieren. Zum Glück war das Essen meiner Mutter so beliebt, dass uns die Bands ins Schlepptau nahmen. Wir zogen in die heute legendären Rockfield Studios in Monmouth. Rockfield war für mich ein Abenteuerspielplatz. Außer uns lebten dort zwei andere Familien mit Kindern. Wir gruben Tunnel in die Strohballen und schlitterten im Winter auf Müllsäcken die Hänge hinab. Wenn Mum lange arbeiten musste, sahen wir uns Horror-Filme an. Ich liebte meine temporäre Großfamilie.

Und Mum kochte weiter: Spanferkel, Spare Ribs, Chili con Carne, Taramasalata. Sie verköstigte auch Motörhead. Die schwierigste Herausforderung, erzählte sie später, sei gewesen Lemmy zum Essen zu zwingen. Mum kochte für Robert Plant, für Squeeze und die Simple Minds, für Adam and the Ants, Bad Manners, Bauhaus und meine Lieblingsband Showaddywaddy. Eine kanadische Band nannte sogar eines ihrer Alben meiner Mutter zu Ehren Cordon Bleu.

Meine Kindheit war einsam. Ich lebte auf dem Land und war ein Einzelkind. Doch sie wurde durch die eher zufällig aufgegebene Anzeige meiner Mutter in der Times aufregend und schließlich auch geborgen. Im Nachhinein denke ich, dass es durchaus riskant war, Fremde ins Haus zu lassen mit einer kleinen Tochter. Aber so verhielten sich Eltern in den Siebzigern nun mal: Es gab weniger Ängste, weniger Was-wäre-wenn? Meine Mutter malte sich niemals aus, dass etwas Schreckliches passieren könnte. Die Welt, die sie für mich erschuf, hatte vielleicht feuchte Wände, aber sie war stabil, weil meine Mutter immer da war. Heute sehe ich dieses Haus, das zwei Sommer lang von halbnackten Männern mit Instrumenten und Mikrofonen bevölkert wurde, für die meine Mutter kochte, als ein Haus voller verschiedener Väter.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Tiffany Murray | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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