Bollywood-Filme sind getrieben von der Muslimfeindlichkeit der Modi-Regierung
Indien So sehr sich die indische Filmindustrie auch bemüht: Modis quasi-faschistische Politik passt nicht zu flotter Musik und Helikopter-Stunts. Die Besessenheit mit Pakistan könnte schmeichelhaft sein, wäre sie nicht so niederträchtig
Shah Rukh Khan wird in Indien als Schauspieler verehrt. Als Muslim ist das für ihn ein gefährlicher Balanceakt
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Den jüngsten Bollywood-Filmen nach zu schließen ist die indische Filmindustrie von Pakistan besessen. Besessen! Wie jemand, der vor der eigenen Wohnung steht und mit einem Fernglas versucht, bei Nacht durchs Fenster zu gucken. Dermaßen besessen. Wären die Filme gescheiter oder wagemutiger, wäre Pakistan womöglich geschmeichelt. Stattdessen verwirrt uns langsam die ganze Aufmerksamkeit.
Unser gemeinsames Nachbarland China nahm sich – ohne besonders viel Kampf und unterstützt durch einen hilfreichen Blackout der indischen Medien – 38.000 Quadratkilometer indisches Staatsgebiet in Ladakh und baute dort Häuser und Brücken. Dennoch wird man in keinem Bollywood-Film chinesische Schurken oder Bösewichte finden. Nein, alle Bösen im
46;sen im indischen Kino sind Pakistanis. Sie tragen normalerweise Militäruniform und sind immer Muslime.Bollywood spiegelt seit jeher die politischen Trends im Land: Die Filme der 1950er Jahre passten zum Optimismus und der Romantik des gerade frisch unabhängigen Indiens. Der Held der 1970er Jahre war ein stolzer, aber seiner Rechte beraubter Mann, der gegen die Mächtigen und Korrupten kämpfte. In den 1990ern gab es dann endlos viele Filme über neo-liberale Yuppies, die in Dubai arbeiteten, in Londoner Discos tanzten und glänzende Mercedeswagen fuhren. Seit Ministerpräsident Narendra Modi und seine rechtskonservative Bharatiya Janata Party (BJP) vor fast neun Jahren an die Macht kam, hat Bollywood bereitwillig seine bedrohliche Politik übernommen.2018 spielte das Starlet Alia Bhatt die Hauptrolle in dem Film „Raazi“, in dem eine Frau während des Kriegs zwischen Indien und Pakistan im Jahr 1971 einen pakistanischen Armee-Offizier heiratet, um dessen Land auszuspionieren. 2019 veröffentlichte Bollywood den Militärstreifen „Uri“, in dem indische Spezialeinheiten nach einem angeblichen Terroranschlag einen „gezielten Schlag“ gegen Pakistan ausführen. Die Story hält sich nicht an Fakten, obwohl sie auf einem wahren Vorfall basiert, der fast zwei atomar bewaffnete Staaten in den Krieg getrieben hätte.Fakten brauchen die Filme nichtAll das ist besonders unschön, da viele Pakistanis traditionell ein begeistertes Bollywood-Publikum sind. Die indische Filmindustrie brachte uns Songs und Spaß und das tief gehende Wissen, dass unsere Nachbarn genauso aussehen und leben wie wir. Kurz, sie war ein Beweis für die enorme Kraft der Kultur, wenn sie richtig gemacht ist. Bollywoods größte Stars, die drei Khans mit Vornamen Shah Rukh, Aamir und Salman waren ebenso Muslime wie viele von Bollywoods frühesten Stars, darunter Dilip Kumar und Meena Kumari. Raj Kapoor, der erste große Frauenschwarm des indischen Kinos, ist in der pakistanischen Stadt Peshawar geboren.In seiner Anfangszeit feierte Bollywood Indiens vielfältige Religionen, Geschichten und Fabeln. Muslime waren nicht nur Schauspieler:innen und machten Musik für die Industrie, sondern wurden auf der Leinwand großartig dargestellt. Einer von Bollywoods beliebtesten und aufwendigsten Epen ist „Mughal-e-Azam“, ein Monumentalfilm, der am Hof von Moghul-Kaiser Jahangir spielt. Aber diese Zeiten sind lange vorbei. Heute ist offensichtlich, dass Indiens Pakistan-Faszination und Angst vor seinem Nachbarland dunkle politische Vorstellungen spiegelt.Placeholder image-1Kürzlich kehrte Sha Rukh Khan nach jahrelanger Pause mit einem neuen Film auf die große Leinwand zurück: Der Actionfilm mit dem Titel „Pathan“ bricht Rekorde an den Kinokassen. Der Film beginnt in Pakistans zweitgrößter Stadt Lahore, wo ein pakistanischer General nur noch drei Jahre zu leben hat. In der Praxis seines Krebsspezialisten erfährt er, dass Narendra Modis Regierung Artikel 370 der indischen Verfassung zurückgenommen hat, der Kaschmir, Indiens einzigem Bundesstaat mit einer muslimischen Mehrheit, Autonomie und einen Sonderstatus garantiert hatte. Der General beschließt, seine verbleibenden Jahre zu nutzen, um „Indien in die Knie zu zwingen” und wendet sich sofort an einen verrückten Terroristen, der das alles organisieren soll.Die Handlung des Films ist unsinnig. Die Leute, die darin vorkommen, tragen nicht viele Kleider, sondern tanzen in Bikinis und Shorts, während sie versuchen, Indien und damit die Welt zu retten. Dabei kümmert sich der Film natürlich nicht um Fakten. Artikel 370 ermöglichte den Beitritt Kaschmirs zur indischen Union; wenn er für null und nichtig erklärt wird, dann auch der Beitritt Kaschmirs zu Indien. Aber warum sollte man sich um Fakten kümmern oder darum, was echte Kaschmiris denken oder fühlen? In dem geistlosen Film kommt sowieso keiner vor.Die unbequeme Rolle des dankbaren MuslimsVor fünf Jahren interviewte ich Khan, oder SRK, wie er bei seinen hunderten von Millionen Fans auf der ganzen Welt bekannt ist, für ein Buch. Damals schon bemerkte ich, dass er sich in der unbequemen Rolle des ja so dankbaren Muslims befindet, der wirklich, wirklich, wirklich indisch ist. Da Indien der hinduistische Mehrheitspolitik der regierenden BJP-Partei folgt, werden prominente muslimische Persönlichkeiten wie Khan zunehmend als der Subversion verdächtig angesehen. Trolle und wütende Demonstrierende fordern muslimische Stars häufig auf, „zurück nach Pakistan“ zu gehen, obwohl sie keine Wurzeln dort haben. Überhaupt wird heute in Indien jeder, der die Regierung in Frage stellt oder vom allgemein herrschenden Diskurs abweicht, als „anti-national“ verleumdet und aufgefordert, doch nach Pakistan zu gehen.Khans Vater kämpfte in der indischen Freiheitsbewegung gegen die Briten. Und doch hat SRK nie ein Wort gegen Modis Regierung gesagt, die weltweit bekannt für ihre antimuslimische Verfolgen ist, nachdem sie Muslime ihrer Staatsbürgerschaft beraubte. Der ominöse National Registry of Citizenship Act (deutsch: Gesetz zur nationalen Registrierung der Staatsbürgerschaft) machte 700.000 indische Muslime zu illegalen Einwanderern. Anhänger:innen von Modis BJP und ihrer Politik lynchen Muslim:innen, filmen die brutalen Tötungen mit dem Handy und verbreiten sie als virale Trophäen über WhatsApp.Am Geburtstag des Premierministers twitterte Khan an Modi: „Ihr Engagement für das Wohl unseres Landes und seine Bürger ist hochgeschätzt. Mögen Sie die Kraft und Gesundheit haben, all Ihre Ziele zu erreichen.“ Ziemlich gewagt, das einem Mann zu wünschen, der als Regierungschef des Bundesstaats Gujarats angeblich während der Unruhen im Jahr 2002 den Mord an 2.000 Muslimen und die systematische Vergewaltigung hunderter Frauen verantwortete.Gegner von Modis Politik sind in Bollywood alle „Verrückte“Laut dem Autor Pankaj Mishra spielte Bollywood die „Stimmungsmusik“ für Modi lange bevor er die Macht im Land übernahm. Khans Film „Pathaan“ wirkt wie ein Deckmantel und dringend nötige Imageaufbesserung für den indischen Staat. Er verschleiert die groben Missstände, die der Widerruf von Artikel 370 brachte: die längste Abschaltung des Internets in einer Demokratie, die Verhaftung tausender Demonstrierender in Kaschmir, die Entsendung tausender paramilitärischer Kämpfer und zahllose andere Menschenrechtsverletzungen.In „Pathaan“ sind alle Gegner des Widerrufs von Artikel 370 gemeingefährliche Verrückte. Diejenigen, die diese Politik wie Khan verteidigen, sind dagegen tapfere, durchtrainierte Regierungsagenten. Ein Ereignis wie die Herabwürdigung Kaschmirs für eine amüsante Handlung zu benutzen, ist einfach ein Trauerspiel. Das politische Projekt von Modis quasi-faschistischer BJP lässt sich nicht mit lustiger Musik und Hubschrauber-Stunts untermalen, so sehr Bollywood sich auch bemüht. Und versuchen tut man es auf jeden Fall. Seit Januar ist der Film „Mission Majnu“ auf Netflix zu sehen, eine öde Geschichte um indische Spione, die Informationen über das pakistanische Atomprogramm herausfinden. Man stelle sich einen Spionagethriller mit „Dora the Explorer“ als Hauptfigur vor, also Dora, der Entdeckerin, einem kleinen Mädchen, das in der gleichnamigen US-Kinderzeichentrickserie die Welt entdeckt und meistens seinen Freunden hilft.In „Mission Majnu“ findet der Agent Tariq alias Majnu alias Romeo heraus, dass Pakistan eine Atombombe baut. Er tut das durch eine Reihe gewiefter Schachzüge wie etwa, einen General zu fragen, ob Pakistan eine Atombombe baut (der General antwortet ja und zwar ziemlich schnell). Der Agent kauft sich außerdem Bücher über Atomphysik an Ständen am Straßenrand, die scheinbar nur Bücher darüber verkaufen, wie man Atombomben baut, und besucht mehrmals die Rawalpindi-Bibliothek. Obwohl die Story lose auf wahren Begebenheiten beruht, ist sie rückwärtsgewandt und lächerlich. Dora lernte zu buchstabieren, während sie die Welt entdeckte. Aber „Mission Majnu“ ist nicht einmal in der Lage, Urdu richtig zu schreiben, die Amtssprache in Pakistan und Teilen Indiens mit hohem islamischen Bevölkerungsanteil. Vor Moscheen stehen Schilder, die direkt aus dem Englischen in Urdu übertragen sind.Modi und Benjamin Netanjahu: Zwei Prima-Donnas barfuß am StrandLassen wir mal die indischen Attentäter, die Halsketten mit der Aufschrift „LOVE“ in goldenen Druckbuchstaben tragen, beiseite. Merkwürdiger noch ist die latente Heldenverehrung Israels. Ein Nebenprodukt von Modis tiefverwurzeltem Hass gegenüber Muslimen ist eine Stärkung der Beziehungen zwischen Indien und Israel während seiner Amtszeit. 2017 besuchte Modi als erster indischer Premierminister Israel. Dort inszenierte er gemeinsam mit seinem Amtskollegen Benjamin Netanjahu die enge Beziehung zweier von ihrem Image besessenen Prima-Donnas, die gemeinsam barfuß am Strand posierten. Abgesehen von Fototerminen beläuft sich der Handel zwischen den beiden Ländern mittlerweile auf fast 7,5 Milliarden Euro, wobei Indien der weltweit größte Abnehmer israelischer Militärgüter ist.Placeholder image-2Pakistan ist von einer kränkelnden Wirtschaft, Jahrzehnten des Terrorismus und den Demütigungen durch den Krieg gegen den Terror gezeichnet. Dennoch argumentieren viele – darunter auch ich –, dass das Land derzeit eine kulturelle Renaissance erlebt. Pakistanische Filmemacher:innen machen Filme über Trans-Liebesgeschichten, weibliches Begehren und die toxische gesellschaftliche Macht der patriarchalen Fundamentalisten. Sie produzieren Musik, die die Spaltung und Trennung zwischen uns und unseren indischen Brüdern und Schwestern hinterfragen. Daher ist es doppelt merkwürdig, zu beobachten, was auf der anderen Seite der Grenze geschieht. Dort wird die Kultur nicht länger als Mittel dazu genutzt, den Dialog auszubauen, sondern ihn eher zum Ersticken zu bringen.Zur gleichen Zeit, da diese lächerlichen Filme produziert und vermarktet werden, wies die indische Regierung YouTube und Twitter an, die Links zu einem zweiteiligen BBC-Dokumentarfilm mit dem Titel „Indien: Die Modi-Frage“ herauszunehmen. Der Dokumentarfilm untersucht Modis Rolle bei den blutigen Ausschreitungen im Bundesstaat Gujarat im Jahr 2002, dessen Chief Minister er damals war, sowie seine beiden offen islamophoben Amtszeiten als Premierminister der größten Demokratie der Welt. Der Film ist erschreckend, selbst für diejenigen, die Modis unheilvollen, von religiöser Hetze und düsterer Aggression getragenen Aufstieg mitverfolgt haben. Angesichts der Doku fällt es wirklich schwer, sich nicht zu fragen, ob Modi nicht trotz, sondern wegen der Unruhen Premierminister wurde.Es überrascht nicht, dass über Indiens panikartiges Verbot eines zweistündigen Dokumentarfilms nur wenig berichtet wurde oder dass die Polizei in Neu-Delhi Studierende verhaftete, die versuchten, die BBC-Serie zu zeigen. Der angeschlagene Westen braucht Indien als Puffer gegen Chinas globale Ambitionen. Jahrzehntelang war Bollywood ein Medium, das dem südasiatischen Publikum – statt einer abwechselnden Wiederkehr von Schrecken und Langeweile – Freude und Grund zum Staunen brachte. Aber wenn das indische Mainstream-Kino nicht in der Lage ist, einen entschiedenen Kampf gegen die sich ausbreitende, erstickende Welle des Hasses zu führen, waren all diese Jahre umsonst.