Bei einem Besuch der kalifornischen Landeshauptstadt Sacramento vor acht Jahren fiel dem Gartenbauexperten Tom Ogren auf, dass der Boden um das Regierungsgebäude mit dicken gelben Pollen bedeckt war. Er nahm sein Fernglas und betrachtete die Bäume in der Straße: Es waren ausschließlich Deodara-Zedern, und zwar alles männlich gezüchtete Exemplare. In der Natur ist die Deodara-Zeder einhäusig (monözisch), was bedeutet, dass auf demselben Baum weibliche und männliche Zapfen wachsen. Durch Züchtung entstanden männliche Bäume, die von Stadtplaner*innen bevorzugt werden, weil sie weder Samen noch Hülsen besitzen und abwerfen, sondern nur Pollen. So war es auch in Sacramento.
Mit den männlichen Deodora-Zedern schufen die Zü
ie Züchter*innen „etwas, das in der Natur gar nicht existiert“, betont Ogren. Dabei sind ihm ähnliche mit Pollen überzogene Stadtlandschaften in der neuseeländischen Stadt Christchurch ebenso untergekommen wie in London und in ganz Kanada. „Überall die gleiche Situation.“Für Stadtplaner*innen sind Bäume mit weiblichen Blüten auch deshalb weniger attraktiv, weil sie neben Samen und Hülsen Früchte abwerfen können. Allerdings haben zweihäusige (diözische) Bäume, bei denen weibliche und männliche Blüten nicht auf demselben Baum wachsen, auch Nachteile: Sie verstärken die Auswirkung von Pollenallergien. Weltweit leiden mehr als 400 Millionen Menschen an Heuschnupfen. Mehr als 300 Millionen haben Asthma, das häufig eine Folge von Heuschnupfen ist. Zudem wird damit gerechnet, dass diese Zahl bis 2025 um eine weitere Million steigt. Zu den größten Auslösern von Heuschnupfen und Asthma gehören wiederum allergene Baumpollen, und deren Vorkommen ist in den vergangenen 15 Jahren angestiegen. Angesichts der Größe dieses Gesundheitsproblems wird erstaunlich wenig dagegen getan. Dabei gäbe es eine einfache Lösung, nämlich eine stärkere Mischung männlicher und weiblicher Bäume in Stadtgebieten. Einige Städte haben schon reagiert, berichtet Ogren, aber zu erreichen, dass die Methode weitverbreitet umgesetzt wird, bleibe ein harter Kampf. Bereits seit über 30 Jahren erforscht der Gartenbauexperte allergieauslösende Pflanzen und Bäume. Damals war er mit seiner Frau nach San Luis Obispo in Kalifornien gezogen, wo sie starke Allergien entwickelte. Deshalb untersuchte er die Flora in der Nachbarschaft und erkannte die Ursache: Alle Bäume waren männlich.Drei BaumgeschlechterBäume können eins von drei Geschlechtern haben – einhäusig, zweihäusig männlich oder zweihäusig weiblich. In der Natur kommen diese drei Varianten relativ gleichmäßig vor, sodass die Menge an Pollen, die in die Luft abgegeben werden, reguliert wird. Doch pflanzt man, wie es häufig in städtischen Räumen der Fall ist, männliche Exemplare unabhängig von weiblichen Exemplaren, werden deren Pollen nicht durch weibliche Blüten eingefangen und in Schranken gehalten. Entdeckt hat Ogren das Pflanzungsmuster auf Landschaftsbauplänen von Städten überall in den USA. Als er weiterforschte, fand er im Yearbook of Agriculture des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) von 1949 eine Notiz: „Für die Bepflanzung an Straßen sollten nur männliche Bäume gewählt werden, um die Belästigung durch Samen zu vermeiden.“ Ogren nennt das „botanischen Sexismus“.Als das Ulmen-Sterben Ende der 1960er einen Teil der Ulmen in den USA vernichtete, bestellten Städte- und Landschaftsplaner mehr als 100 verschiedene Sorten männlicher geklonter Ahornbäume. Da Klonen schneller ging, als darauf zu warten, dass Bäume sich durch Bestäubung fortpflanzen und natürlich wachsen, begannen männliche Bäume auch die Baumschulen zu dominieren. Und das nicht nur in den USA. Ogren beobachtete den Trend, wohin er auch reiste.Im Jahr 2000 hatte er so viele Daten zu Baumarten gesammelt, dass er in der Lage war, die Ogren-Pflanzenallergie-Skala (Einheit: Opals) zu schaffen, das erste numerische Ranking-System für Pflanzenallergien. Heute wird es vom Urban and Community Forestry Program des US-Landwirtschaftsministeriums genutzt, um in großen Städten in den USA Allergie-Rankings zu entwickeln.Bei einem Pflanzenseminar in Guernsey lernte Nigel Clarke, einer der größten Lieferanten weiblicher Bäume in Großbritannien, Ogren kennen. Beide taten sich für eine Mission zusammen: den Baumpollenflug in Städten abzuschwächen. „Wenn Pflanzenhändler durch die Wahl ihrer Verkaufspflanzen für die steigende Zahl der Allergieleidenden in urbanen Gebieten verantwortlich sind, dann können wir durch die richtige Wahl der Pflanzen zumindest die Menge der Pollen in der Luft reduzieren“, erklärt Clark. Um Kund*innen besser zu informieren, ist er dazu übergegangen, die allergieauslösenden Eigenschaften seiner Bäume zu kennzeichnen.Ogrens Arbeit hat auch in mehreren Städten Kanadas Wirkung gezeigt, wo er beauftragt wurde, eine Baumallergie-Überprüfung durchzuführen. Die Stadt Hamilton zum Beispiel hat allergikerfreundlichere städtische Bepflanzungsrichtlinien verabschiedet, was vor allem dem Gartenbauexperten Peter Prakke zu verdanken ist, der sich seit zehn Jahren für allergiefreie Schulhöfe und öffentliche Parks einsetzt und dabei Ogrens Arbeit als Leitfaden nutzt. „Lange Rede, kurzer Sinn: Die Schulbehörde hat das Opals-Konzept angenommen“, sagte Prakke stolz, „als erste Schulbehörde in Kanada.“ Auch Vancouver, Edmonton und Halifax arbeiten daran, die Ausgeglichenheit ihres Baumbestands zu verbessern, um Allergien zu reduzieren.Angesichts des Problems sind das allerdings nur kleine, punktuelle Erfolge. Clifford Bassett, Gründer von „Allergy and Asthma Care“ in New York, beobachtet einen Anstieg der Allergien: „Jedes Jahr haben wir mehr Patienten, die an saisonal bedingten Allergien leiden. Wärmere Temperaturen, eine längere Pollensaison und der Anstieg des CO2-Gehalts in der Luft tragen wahrscheinlich zur wachsenden Überempfindlichkeit auf Pollen bei.“ Studien haben ergeben, dass Luftverschmutzungspartikel sich an Pollenkörner binden, was dazu führt, dass die pulverförmige Substanz in noch winzigere Partikel zerspringt. „Wenn das passiert, wird das Innere des Pollenkorns freigelegt, und das ist zehnmal so allergieauslösend wie die Außenseite“, erklärt Ogren.Höhere CO2-Level bringen Pflanzen zudem dazu, mehr zu blühen, das bedeutet: Wo männliche Bäume stehen, gibt es eine noch größere Pollenmenge. Machen die Städte nichts, um diesen Schneeballeffekt zu verlangsamen, ist laut Ogren „eine katastrophale Entwicklung der Allergien in der Zukunft programmiert“. Ginge es nach ihm, sollten sich alle betroffenen Allergiker*innen zusammentun und „Schutz einfordern“ im Sinne eines „grundlegenden Menschenrechts“: „Wir könnten pollenfreien Rasen haben, pollenfreie Hecken, Bäume – das ist alles machbar. Aber nur wenn genügend Menschen informiert sind und die richtigen Leute genug Wirbel darum machen.“Placeholder authorbio-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.