Brad der Baumeister

Häuser bauen Nach den Verwüstungen durch Katrina wollte Hollywood-Star Brad Pitt in New Orleans nachhaltige und architektonisch anspruchsvolle Häuser bauen. Was ist daraus geworden?

Debra Dupar sitzt vor ihrem neuen Haus. Die Mittagssonne hat die Frau, die ihr fünftes Kind erwartet, müde gemacht. Dupar nippt ab und zu an einem rötlichen Getränk und quatscht mit ihren Freundinnen. Nur wenige Meter weiter baut ein Kamerateam seine Ausrüstung auf, die Männer prüfen das Licht und reden mit möglichen Interviewpartnern. Sie arbeiten für den Regisseur Spike Lee, der eine Doku über den Ort dreht, an dem Debra Dupar lebt.

Brad Pitt hatte die Bewohner des Bezirks Lower Ninth Ward in New Orleans gewarnt, er werde ihr Viertel „in einen Zirkus“ verwandeln. Das war 2007, als dort im Rahmen des „Pink Project“ hunderte pinke Stoffhäuser aufgestellt wurden – Gespenster der Häuser, die nach dem Hurrikan Katrina verschwunden waren und Platzhalter für die Häuser, die gebaut werden sollten. Nun, da 23 Gebäude fertig sind, ist das Viertel ein Zirkus geblieben. Die Mischung aus Katastrophe und prominenten Helfern wirkt auf Medien und Touristen wie ein Magnet.

Das Projekt des Schauspiel-Stars Brad Pitt heißt „Make It Right“. Er selbst hat fünf Millionen Dollar beigesteuert. Sein Ziel: Dort, wo der Sturm und die Flut die schlimmsten Schäden angerichtet haben, mindestens 150 Häuser wieder aufzubauen und „aus der Tragödie als Sieger hervorzugehen“. Um zu beweisen, wie ernst es ihm damit ist, zog er mit seiner Familie nach New Orleans. Er nahm an langen und zähen Gemeindeversammlungen teil, um über den besten Weg des Wiederaufbaus zu debattieren.

Woher kommt sein Engagement? Pitt scheint als Prominenter ernsthaft Verantwortung übernehmen zu wollen, aber es geht auch um seine Liebe zur Architektur, die älter als Katrina ist. Der Schauspieler ist mit Stararchitekten wie Frank Gehry, Rem Koolhaas und Zaha Hadid befreundet. Er verbrachte viel Zeit in ihren Studios, insbesondere bei Gehry. Und er versuchte sich auch selbst an Entwürfen.

Geht es wirklich um die Opfer?

Es ist ein heroisches Projekt, aber auch eines, das Fragen aufwirft. Geht es wirklich um Hilfe für die Opfer des Hurrikans, oder doch nur darum, Brad Pitt eine Bühne zu geben, auf der er sich gut fühlen und gut aussehen kann?

Am 29. August 2005 verwandelte sich der Flecken Erde, auf dem Debra Dupar nun sitzt, in die Hölle auf Erden. Die Fluten strömten ungehindert durch Lower Ninth, ein Viertel mit rund 14.000 Einwohnern, die meisten davon Schwarze. Über 1.000 der 1.800 Todesopfer, die Katrina forderte, kamen von hier. In den malerischeren Stadtteilen wie dem French Quarter und dem Garden District, die über dem Meeres-spiegel liegen und weniger betroffen waren, sind heute kaum noch Spuren der Kata­strophe zu erkennen. Im Gegensatz dazu sieht ein Großteil von Lower Ninth noch immer wie eine Wildnis aus.

Auf den leeren, rechteckigen Feldern, wo einst die Häuserblocks standen, sprießt Unkraut aus Betonplatten. Die wenigen Häuserruinen sind vernagelt oder ihre Türen stehen sperrangelweit offen. Bei einigen kann man noch ein X an der Wand erkennen, das die Rettungskräfte in den Tagen nach Katrina dort hingesprüht haben. In dem X wurde nach einem damals benutzten Code vermerkt, wieviele Personen und Haustiere dort gefunden worden waren – lebendig oder tot.

Aufgeben oder zurückgehen?

Direkt nach der Flut fragten sich viele laut, ob es nicht besser wäre, New Orleans einfach aufzugeben. Die Bevölkerungszahl war vorher bereits rückläufig gewesen, von den 625.000 Einwohnern, die New Orleans 1960 zählte, waren 2005 noch 450.000 übrig geblieben. Bis auf ein paar tausend Einwohner wurden nach der Flut alle vorübergehend in andere Teile der USA evakuiert. Die glücklicheren unter ihnen bekamen einen Scheck von der Versicherung. Warum also sollten sie heimkehren wollen?

„Es sieht ganz so aus, als könnten wir einen Großteil der Stadt platt machen“, erklärte der Republikaner Dennis Hearst, damals Sprecher des US-Repräsentantenhauses. Doch wenn die Menschen in erdbebenanfälligen Städten wie Los Angeles und San Francisco wohnen bleiben, warum sollten sie nicht auch nach New Orleans zurückkehren? Würde man sich allein der Vernunft beugen und nur über dem Meeresspiegel bauen, müsste man dann nicht auch fast die ganzen Niederlande evakuieren? New Orleans blieb bestehen, was auch zeigt, dass Städte weit mehr sind als rein funktionale Zweckgebilde.

Für die schwarze Community ist Lower Ninth ein geschichtsträchtiger Ort. Früh schon konnten afro-amerikanische Familien hier Häuser erwerben. Der legendäre Rhythm-and-Blues-Sänger Fats Domino weigerte sich, trotz Millionen verkaufter Platten, irgendwo anders zu leben – bis Katrina ihn aus seiner Villa vertrieb.

Die internationale Hilfsorganisation „Habitat for Humanity“ hat in vier US-Bundesstaaten, in denen Katrina am stärksten wütete, nach eigenen Angaben über 1.300 „einfache, anständige und erschwingliche Häuser“ gebaut. Die Organisation Global Green baut in dem Teil von Lower Ninth, der am schlimmsten betroffen war, eine Siedlung, die in Sachen Nachhaltigkeit vorbildlich sein soll.

Brad Pitts Projekt ist also weder das größte, noch das schnellste, noch das nachhaltigste. Es herrscht eine gewisse Rivalität unter den unterschiedlichen Gruppen, die New Orleans’ Genesung vorantreiben. Wer nicht zu „Make It Right“ gehört, spricht über das Projekt mit einer Mischung aus Dankbarkeit für die Aufmerksamkeit, die der Filmstar dem gemeinsamen Anliegen beschert, und Neid. Global Green waren Pitts erster Kontakt in New Orleans. Auch wenn sie dort zu höflich sind, um es laut auszusprechen, so spürt man doch, dass es ihnen lieber gewesen wäre, wenn er seine Anziehungskraft in den Dienst ihres Projekts gestellt hätte, anstatt mit einem eigenen auszuscheren.

Alleinstellungsmerkmal Design

Das Alleinstellungsmerkmal von „Make It Right“ ist dabei die Betonung des Designs. Die Häuser der Organisation sollen nicht nur – wie jene von Global Green – neue Maßstäbe in Sachen Nachhaltigkeit und Hochwasserschutz setzen. Sie sollen eine gewisse Magie haben, und hier kommen die Stararchitekten ins Spiel. Ein Team von 21 Architekten wurde zusammengestellt, die ersten, die zusagten, waren die Architektengesellschaft GRAFT, die in Los Angeles und London aktiv ist – und ein einheimisches Büro. Dann zogen Morphosis aus Los Angeles nach, das provokante niederländische Büro MVRDV und Shigeru Ban, ein japanischer Architekt, der sich mit seinen Kartenhauskonstruktionen als Antwort auf das Erdbeben 1995 in Kobe einen Namen gemacht hatte.

Alle Entwürfe der Architekten basierten auf Leitlinien, die der traditionellen Architektur New Orleans’ entlehnt sind. Dazu zählen zum Beispiel die in New Orleans allgegenwärtigen Veranden, die Schutz vor Sonne und Regen bieten. Die Architekten entwarfen 28 Prototypen und stellten sie der Öffentlichkeit vor. Die Bewohner des Viertels konnten Entwürfe auswählen und diese ihren Wünschen anpassen lassen. Die meisten wollten möglichst hoch bauen – allerdings nicht nur, um bei zukünftigen Fluten möglichst weit vom Erdboden entfernt zu sein, sondern auch, um Platz für Auto-Parkplätze unter dem Haus zu haben.

Pitts Projekt-Häuser sind für Anwohner gedacht, die vor dem Sturm Hausbesitzer waren und bis auf den matschigen Grund, auf dem ihr Heim stand, alles verloren haben. Der Deal sieht so aus, dass die Familien ihre Finanzen offen legen und so viel beitragen, wie sie können. Die Lücke zwischen diesem Betrag und den realen Kosten soll durch ein „rückzahlungsfreies Darlehen“ geschlossen werden, das nur erstattet werden muss, wenn ein Haus wei-terverkauft wird.

Zu Gast im "Space House"

Das Haus von Debra Dupar wird das „Space House“ genannt, weil es mit seiner steil abfallenden Sonnenjalousie sehr futuristisch anmutet. Im Innern sieht es schlichter aus. Das Wohnzimmer wird von einem großen, Flachbildschirm-Fernseher beherrscht, auf einer Tischdeko aus Bronze steht in großen Lettern das Wort HAPPINESS. Design sei für sie Nebensache, sagt Dupar. Wichtig ist für sie vor allem, wieder hier zu leben. Sie hat die vergangenen vier Jahre 150 Meilen von New Orleans entfernt auf einem Wohnwagenplatz gelebt.

Die meisten Bewohner von Lower Ninth haben sich nicht für die traditionellsten Entwürfe entschieden – aber auch nicht für die der Stararchitekten. So stammte der einzige Entwurf, der von allen abgelehnt wurde, von MVRDV. Er sieht aus, als sei eine traditionelle Häuserform durch einen Karateschlag oder eine Naturkatastrophe zu einem gigantischen V verbogen worden. Für die Opfer von Katrina sah das Haus wie ein schlechter Witz aus.

Die Architekten von Morphosis steckten mehr Zeit und Geld in ein Haus, das nach niederländischem Vorbild im Falle einer Flut auf dem Wasser treiben soll. Zwei Metallstangen sorgen dafür, dass es nicht abdriftet. Daran gibt es an sich nichts auszusetzen, doch die Architekten haben es mit so vielen seltsamen Winkeln und auffallenden Details überladen, dass es sehr erdrückend sein muss, darin zu leben.

Ein großangelegtes Forschungsprojekt

Nicht immer erschließt sich, welchen Beitrag Stararchitekten leisten können, der über praktische Dinge wie Nachhaltigkeit (um die Nebenkosten der Bewohner zu senken), Hochwasserschutz und effizientere Bauweisen hinausgeht. Ommeed Sathe, ein junger Anwalt, der für die Behörde arbeitet, die für den Wiederaufbau der Stadt verantwortlich ist, meint: „Viele denken, ‚Make It Right‘ sei skurril oder unsinnig. Manche werfen dem Projekt vor, man könne mit der gleichen Menge Geld 500 Häuser bauen. Aber ich glaube, dass es einen anderen Wert hat. Am Tag kommen zehn bis 20 Busse in diese Gegend, in der es sonst wenig Energie und Elan für einen Wiederaufbau gegeben hätte. Und es ist ein großangelegtes Forschungs- und Entwicklungsprojekt, in dessen Rahmen neue Techniken getestet werden, die auch an anderen Orten angewandt werden können.“

Ganz ähnlich klingt das, was Louis Jackson sagt, ein Bauunternehmer, der für „Make It Right“ arbeitet. „Die große Herausforderung für die Architekten ist es, zu erkennen, dass sie keine Fünf-Millionen-Dollar-Villa entwerfen. Einige dieser Typen waren sehr engstirnig. Sie sagten: ‚Ich bin der Architekt, ich habe das Sagen und du machst es auf meine Art.‘ Aber wenn man an das große Ganze denkt – und das muss ich manchmal, wenn ich hier nicht verrückt werden will – dann ist es ein Lernprozess und wir sind heute schon wesentlich weiter als vor einem Jahr.“

„Make It Right“ ist gewiss kein Ego-freies Projekt, das gilt sowohl für die Architekten als auch für Brad Pitt. Für ihn bot Lower Ninth einen guten Rahmen, um zu zeigen, was er und sein wohltätiges Projekt drauf haben – und Schauspieler sind es gewohnt, sich nach der idealen Bühne umzusehen.

Doch man muss schon ziemlich abgehärtet sein, um von dem, was „Make It Right“ auf dieser Bühne veranstaltet, nicht bewegt zu sein. Die Beteiligten haben Zerstörung und Elend in etwas Hoffnungsvolles verwandelt, und man spürt eine Energie, die es bei anderen Wiederaufbauprojekten in New Orleans so nicht gibt. Die Angeber-Architektur trägt ihren Teil dazu bei. Selbst wenn es nur darum geht, zu zeigen, dass das alles niemanden kalt lässt.

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Übersetzung der gekürzten Fassung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Rowan Moore | The Guardian

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