Während Gerüchte die Runde machten, dass ihre innerparteilichen Gegner ihren Kopf fordern, trat Theresa May allein vor die Presse. Nach fünf zermürbenden Stunden, in denen sie ihr Kabinett zu überzeugen versucht hatte, hielt eine bedrängte Premierministerin an ihrem unbeliebten Deal fest. Festhalten, das kann sie am besten.
Jetzt hat das Armdrücken, das Erpressen und das Beschwatzen der Abgeordneten begonnen: Es ist doch zum Wohle des Landes! Nun müssen alle Farbe bekennen. Einige werden an ihren Prinzipien festhalten, andere nicht. Die Tories müssen sich überlegen, ob die Zukunft Theresa May und ihrem Deal gehört oder doch eher den Brextremisten. Jeder potenzielle Labour-Überläufer muss sich fragen, ob sein Ortsverband ihm jemals vergeben könnte, wenn er diese Regierung mit seiner Stimme im Amt hält.
Unterdessen wird der Brexit weiter als etwas verkauft, was er nicht ist: In ihrer Erklärung von Mittwochabend erklärte May, ihr Deal würde den Briten „die Kontrolle über unser Geld, unsere Gesetze und unsere Grenzen“ zurückgeben und gleichzeitig Wirtschaft und Arbeitsplätze sichern. Nichts davon ist wahr. In dem ganzen langen Dokument finden sich jedenfalls keine Hinweise darauf.
Auf absehbare Zeit verbleibt Großbritannien in der Zollunion, die es ohne die Zustimmung der EU nicht verlassen kann, und seine Grenzen werden für EU-Bürger auch weiter geöffnet bleiben. Das Vereinigte Königreich zahlt gut 44 Milliarden Euro, die Wirtschaft hat keine Gewissheit; und was Zukunftsinvestitionen und Jobs angeht, bleibt den Briten nichts weiter, als die Daumen zu drücken und das Beste zu hoffen. Theresa May tut so, als würde eines Tages aus der politischen Erklärung, die dem Deal zur Seite gestellt ist, ein Handelsabkommen erwachsen. Aber niemand weiß, ob dies in zwei Jahren, in zehn, irgendwann oder niemals wirklich passiert.
Unmöglichkeiten bleiben unmöglich
Die teuflischen Zwickmühlen bleiben bestehen. Alle Unmöglichkeiten sind noch genauso unmöglich wie am Tag des Referendums – doch nun wurden sie feierlich auf Papier festgehalten: Ohne Zollunion kann es keinen reibungslosen Handel mit der EU geben, diese Zollunion aber hält Großbritannien davon ab, auf dem Rest des Globus nach exklusiven Abkommen mit Mauretanien oder wem auch immer zu suchen. Auch in Bezug auf Irland hat sich nichts geändert: Eine offene Grenze zu gewährleisten, wie dies im Karfreitagsabkommen ermöglicht wurde, bedeutet, dass das Vereinigte Königreich für immer eng an die EU gebunden sein wird. Schottland begehrt zu Recht auf; seine Erste Ministerin, Nicola Sturgeon, protestiert dagegen, dass Schottland der Wettbewerbsvorteil verweigert wird, den Nordirland mit dem De-Facto-Verbleib im Binnenmarkt genießt – ein Sonderstatus, den die DUP, auf welche die Tories im Parlament angewiesen sind, ebenfalls ablehnt. Der heutige Tag bringt uns einem Bruch zwischen den Ländern des Vereinigten Königreichs ein Stück weit näher.
Fürs Erste viel Exit
Als Reaktion auf den Brexit-Entwurf haben mehrere Mitglieder das Kabinett Theresa Mays verlassen. Brexit-Minister Dominic Raab gab am Vormittag seinen Rücktritt bekannt. Er könne, so erklärte Raab auf Twitter, den Deal nicht guten Gewissens unterstützen. Auch Arbeitsministerin Esther McVey hat ihr Amt niedergelegt. Zudem sind Suella Braverman, Staatssekretärin im Brexit-Ministerium, und der britische Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara zurückgetreten
Bemerkenswerterweise hat der Deal die Erzfeinde aus dem Remain- und dem Leave-Lager vereint: die European Research Group, Labour, SNP, DUP und die beiden Johnson-Brüder brüllen alle dasselbe Lied: Gebt uns die Kontrolle zurück! Es ist gut, zu hören, wie Jeremy Corbyn sich jetzt endlich lauthals gegen den Deal ausspricht. Das erinnert uns daran, wie stark Labours Stimme sein kann, wenn sie sich einmal wirklich ernsthaft in die Auseinandersetzung um den Brexit einmischt. Welche Opposition würde diese Gelegenheit nicht ergreifen, um die Regierung zu stürzen?
Corbyn hat seine bislang beste Brexit-Performance abgeliefert, als er Mays falsche Alternative zwischen einem „verpfuschten Abkommen und gar keinem Abkommen“ zurückwies. Der Vorgeschmack darauf, was in der Abstimmung im Unterhaus bevorsteht, lautet: Kontrollverlust.
Kein Ende in Sicht
Diejenigen, die sich nach einem Ende des Alptraums dieser obsessiven Brexitologie sehnen, haben großes Pech: Es handelt sich hier weder um den Anfang vom Ende noch um das Ende des Anfangs. Wenn das Parlament dem Abkommen zustimmt und Großbritannien am 29. März die EU verlässt, beginnen die Gespräche über ein Handelsabkommen und derselbe Boden wird noch einmal von vorne beackert. Die elastische Übergangsperiode wird am Horizont in immer weitere Ferne rücken, während die Brexit-Verrückten noch immer behaupten, ein sauberer und sofortiger Bruch mit der Union würde alle Probleme lösen. Wenn die Wirtschaft dabei ins Stocken gerät, werden sie das „Vasallentum gegenüber Brüssel“ dafür verantwortlich machen, während die Remainer auf den Brexit verweisen werden. Der Streit darum, wer es schon immer gewusst hat, wird nie enden.
Sollte es May auf der anderen Seite nicht gelingen, eine Mehrheit zusammenzubringen, wird die Vertrauensfrage gestellt werden. Ein so kolossales Scheitern einer Politik sollte doch dafür gut sein, eine Regierung zu Fall zu bringen und Neuwahlen zu erzwingen. Doch solange die Tories an ihrer Spaltung nicht verrückt werden (was passieren kann), werden sie sich zusammentun: Egal, wie das Schicksal ihrer glücklosen Vorsitzenden aussehen wird, wird es zu keiner Neuwahl kommen und die Fraktionen werden stattdessen alle anderen Optionen zur Wahl stellen – Kanada, Norwegen, Schweiz und ein harter No-Deal-Brexit. Doch nichts davon findet eine Mehrheit.
Die Geduld der Öffentlichkeit könnte über alle Maßen strapaziert werden, doch immerhin wird dann jeder wissen, dass die Versprechungen, die einst vor dem Referendum gemacht worden waren, gelogen waren. Was ist aus “Take back control” geworden? Ja, David Davis hat wirklich einen Brexit mit „exakt denselben Vorteilen und keinen Nachteilen“ versprochen. Liam Fox hat wirklich versprochen, ein Freihandelsabkommen wäre „eines der einfachsten in der Geschichte“ und John Redwood and Michael Gove haben beide gesagt, das Vereinigte Königreich halte „die meisten Karten in der Hand“. Bei Licht betrachtet, hat das tatsächliche Abkommen diese Fantasien hinweggeblasen.
Was dann? Da jede Option zerpflückt wird, halten die Leute es den Umfragen zufolge für das Beste, wenn sie noch einmal gefragt werden. Der sardonische alte Ken Clarke hatte heute den besten letzten Satz zu bieten: „Ich wünsche der Premierministerin viel Glück dabei, eine Mehrheit für einen Kurs zu finden, der im nationalen Interesse liegt.“
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