Brückenkopf auf dem Balkan

China Eine kraftvolle Intervention in Griechenland hat das geplagte EU-Führungspersonal daran erinnert, wie Peking die Euro-Krise nutzt, um mehr Einfluss zu gewinnen

Vizepremierminister Zhang Dejiang handelte während des zweiten Athen-Besuches eines hohen chinesischen Offiziellen innerhalb von vier Wochen Kooperationsabkommen in der Schifffahrt, im Tourismus und in der Telekommunikation im Volumen von mehreren Milliarden Euro aus. Die größte Investition, die von der Volksrepublik bislang in Europa getätigt wurde, kam den Finanzen der stark unter Druck stehenden griechischen Regierung zugute.
Westliche Beobachter, wie der Kommentator von Radio Free Europe, Breffni O’Rourke, stellen die weiterreichende Bedeutung für Europa als Ganzes heraus: „Die Chinesen erkennen in Griechenland das ideale Portal für Exporte auf den Balkan. Sie haben sich entschlossen, dort zu einem günstigen Zeitpunkt einen Brückenkopf zu errichten.“

Einen weiteren Beleg für Chinas Aktionsradius stellt die Nachricht dar, das staatlich-kontrollierte Unternehmen PetroChina könnte mit dem Gedanken spielen, BP zu übernehmen, dessen Aktienkurse wegen der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko abgestürzt sind. Eine solche Übernahme würde ein gigantisches Unternehmen entstehen lassen, dessen Ölreserven die von ExxonMobil um 73 und die von Shell um 187 Prozent übersteigen. Diese ökonomische Engagement wird durch die strikte Weigerung Chinas ergänzt, politische Maßnahmen zu unterstützen, die seiner ökonomischen Entwicklung und seinem geopolitischen Einfluss schaden könnten: Die schärferen Sanktionen, die gerade von der EU gegen Iran beschlossen wurden, untersagen neue Investitionen in den Energiesektor und Verkäufe in diesem Bereich. Deutsche Hersteller sagen allerdings voraus, dass chinesische Firmen, die bereits stark im Iran aktiv sind, die Europäer einfach ersetzen werden.

Wenn Peking eines ist, dann konsequent. Es hat den UN-Sicherheitsrat erfolgreich gezwungen, die jüngsten Sanktionen gegen Iran abzuschwächen und drängt ungeachtet westlicher Bedenken auf den Bau von zwei Nuklearreaktoren in Pakistan. Darüber hinaus weigert es sich beharrlich, Nordkorea für die Versenkung des südkoreanischen Frachtschiffs zu verurteilen.
Ein in der vergangenen Woche von der regierungsunabhängigen Denkfabrik European Council on foreign Relations veröffentlichter Bericht warnt, Chinas werde Europa vor eine „schwere Prüfung“ stellen. Es sei an der Zeit, dass führende Politiker der EU das Ausmaß und die zunehmende Ernsthaftigkeit dieser globalen Herausforderung erkennen.

Wertfreie Außenpolitik

„Chinesische Außenpolitiker sahen den Crash der US-Bank Lehman Brothers nicht als eine einmalige Krise, sondern als Zeichen eines strukturellen Wandels in der globalen Machtverteilung. Seitdem legt China größeres Beharrungsvermögen an den Tag. Es hat die Europäer wegen Tibet wiederholt brüskiert, noch weniger als ohnehin schon versucht, seine Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen und die wirtschaftlichen Kontakte zu Nordkorea intensiviert. Bei der Klimakonferenz in Kopenhagen verhinderte es mit einer harten Haltung eine Übereinkunft über verbindliche Anstrengungen der Entwicklungsländer ... Kurz, China hat die Hoffnungen auf eine größere Verteilung der internationalen Verantwortung enttäuscht, während es gleichzeitig seine eigenen ökonomischen und strategischen Interessen verfolgte“, heißt es in besagtem Report.

China verfolge eine norm- oder wertfreie Außenpolitik mit minimalem Engagement zur Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung. Es sei nicht sonderlich an durch die UNO oder das internationale Handelssystem ausgehandelten Abkommen interessiert, sondern vielmehr an subregionalen und bilateralen Vereinbarungen im Interesse nationaler Ziele.
Ein Beispiel hierfür ist das vor Wochenfrist mit Kasachstan abgeschlossene Abkommen zum Bau einer Gas-Pipeline, das einen Teil der äußerst ambitionierten chinesischen Energiestrategie in Zentralasien darstellt. Es ließen sich noch weitere Beispiele nennen, wie die Projekte zum Bau von Tiefwasserhäfen in Sri Lanka, Bangladesch und Pakistan, Wirtschaftsabkommen in Südostasien und zahlreiche bilaterale Projekten zur Ressourcen-Gewinnung in afrikanischen Ländern.


Die EU sollte dem Bericht zufolge China mit einer gemeinsamen und an Bedingungen geknüpften Strategie gegenübertreten, um bei den für sie wichtigen Themen, wie Klimawandel, Transfer von Kernwaffen, Menschenrechte sowie Handel und Investitionen standhaft bleiben zu können. Abgesehen davon scheint immer klarer zu werden, dass Europa, wie auch die USA, sich auf den Tag vorbereiten müssen, an den China mit physischen Mitteln versucht, seine wachsenden Interessen zu beschützen. US-Kommentatoren behaupten, dies sei mit dem Versuch, das Südchinesische Meer zu dominieren, bereits heute der Fall.

„China hat keinen Generalplan in Sachen Weltherrschaft. Wie bei allen aufstrebenden Mächten, etwa dem Amerika des 19. Jahrhunderts, verlangt die Logik seines Wachstums, dass es eine stärkere internationale Rolle spielt“, schrieb Daniel Blumenthal für das Magazin Foreign Policy. Griechenland dürfte für den Augenblick wohl sicher sein. Selbstzufriedenheit sei aber nicht angebracht.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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