Plakate werden entworfen, Foto-Shootings organisiert. Eine Koalition aus Lobby-Gruppen, Gewerkschaften und NGOs stellt eine Liste von Forderungen zusammen. Ja, die Vorbereitungen für die Proteste anlässlich der Pleite von Lehman Brothers vor zehn Jahren laufen auf Hochtouren – der Bankrott der US-amerikanischen Investmentbank markierte den Höhepunkt der globalen Finanzkrise.
Aber dass in allen Finanzzentren der Welt Veranstaltungen stattfinden, ist kein Grund zum Feiern. Im Gegenteil zeugt es von Versagen. Die Banken wurden niemals in Sparten aufgebrochen, um das Risiko zu senken. Pläne für eine Steuer auf Finanztransaktionen verstauben im Regal. Die Politiker spielten mit der Idee eines Green New Deal mit dem Ziel, eine ökologische Wende des Kapitalismus einzuleiten, und vergaßen die Sache prompt wieder. Es gab nie eine große Bewegung des Pendels weg von der herrschenden Orthodoxie, nur einen kurzen Ausschlag in eine Richtung, der dann schnell wieder rückgängig gemacht wurde. Die brutale Tatsache ist, dass die Linke ihre Chance bekommen, aber nichts daraus gemacht hat.
Der nächste Crash – Die Serie
10 Jahre nach Lehman Brothers versuchen wir aufzuklären, was passiert ist und in Zukunft passieren wird. Lesen Sie mehr zum Thema in unserer Serie
Zehn Jahre später ist die internationale Finanzwelt so mächtig wie eh und je. Reformen der Bankbranche waren kosmetischer Natur. Die Unternehmensmacht ist konzentriert wie nie. Von der schwächsten globalen Erholung von einer Rezession seit Menschengedenken profitiert nur eine winzige Minderheit. Für die Mehrheit der Menschen in Entwicklungsländern sind Löhne, Gehälter und Lebensstandard nur mäßig gestiegen, wenn überhaupt.
Im September 2008 erlebte der globale Kapitalismus so etwas wie eine Nahtoderfahrung. Es gab einen Zeitpunkt, als um das gesamte westliche Bankensystem gebangt wurde. Am schlimmsten Zeitpunkt der Rezession brach die industrielle Produktion schneller zusammen als in den frühen Stadien der Weltwirtschaftskrise nach 1929. So schlimm war es. Der Moment war reif für Politiker, die den Mut hatten, das Offensichtliche auszusprechen: Die Krise war das Ergebnis einer Politik, die alle Einschränkungen des globalen Finanzkapitalismus aufgehoben hatte, welche in den 1930ern mit gutem Grund eingeführt worden waren. Aber die sozialdemokratischen Parteien versagten kläglich darin, eine progressive Antwort auf die Krise zu präsentieren, die eine Wiederherstellung des Gleichgewichts von Kapital und Arbeitskraft hätte beinhalten müssen. Sie zauderten, als Mut gefragt, und haben dafür einen hohen Preis gezahlt. Die Mainstream-Parteien flickten das System und beachteten nur wenig die Wut derer, die sich übergangen fühlten. Die Bitterkeit brodelte vor sich hin und fand schließlich andere Wege, um sich Ausdruck zu verleihen.
Den Status Quo sichern
Im Winter 2008/09 herrschte in der Linken die naive Vorstellung, der Schock durch die Lehman-Pleite sei so stark gewesen, dass er unvermeidlich zum Wandel führen würde. Wie die Öl-Schocks der 1970er die Machtübernahme durch eine konservative politische Agenda ausgelöst hatten, würde die Subprime-Hypotheken-Krise einen ähnlichen Wandel für die Linke bringen. Aber ganz so einfach war es nicht. Diejenigen, für die es in den Jahrzehnten nach der Thatcher-Reagan-Revolution gut gelaufen war, nutzten all ihre Macht, ihren Einfluss, ihre finanzielle Schlagkraft und List, um einer Veränderung zu widerstehen. Es wurden nur ein paar taktische Rückzüge gemacht, um den Status Quo zu sichern.
Der Unterschied zwischen Franklin Roosevelt in den 1930ern und Barack Obama ist bezeichnend. Beide kamen in Zeiten der Verzweiflung ins Weiße Haus. Beide hatten ein Mandat für den Wandel. Roosevelt war überzeugt, dass Reformen notwendig waren, um den Kapitalismus vor sich selbst zu retten. Dieses intellektuelle Konzept führte zum Glass-Steagall-Act, der die Trennung von Investitionssparte und Kundengeschäft in den Banken regelte. Es wurden staatliche Arbeitsprogramme für die Arbeitslosen eingeführt und Gesetze, die es den Gewerkschaften erleichterten, sich zu organisieren.
Obama dagegen war – wie die meisten seiner Mitte-Links-Politiker-Kollegen vor zehn Jahren – ein Technokrat, der im Großen und Ganzen den Status Quo akzeptierte und niemals ernsthaft darüber nachdachte, das Finanzsystem zu verändern. Die Wall Street hasste Roosevelt. Obama fand sie deutlich zugänglicher.
Dabei verdient Obama ein gewisses Verständnis. Jede radikale Periode erfordert einen Philosophen-König, der ein politisches Rahmenwerk bereit stellt, nach dem sich das Handeln richten kann. Die Gurus der ersten Generation der Wirtschaftsliberalen waren Adam Smith und David Ricardo. Für Lenin war es Karl Marx. In den 1930ern war es John Maynard Keynes. Und in den 1970ern gab es Milton Friedman und Friedrich Hayek. Vor zehn Jahren war hier eine Leerstelle.
Das Ende vom Lied
Für Schritte gegen das Business-as-usual fehlte eine einigende Analyse dessen, was die Krise verursacht hatte. Es gab eine grüne Interpretation der Dinge, eine keynesianische und eine marxistische. Alle hatten ihre Berechtigung und alle hatten ihre Anhänger. Das Ende vom Lied aber war, dass alle Linken in unterschiedliche Richtungen strebten. Das machte den Weg frei für eine Erklärung, von der die wenigstens geglaubt hätten, dass sie im September 2008 triumphieren würde: die These, dass für die Krise die zu hohen Ausgaben der Regierungen verantwortlich seien.
Es sind noch zahlreiche Lektionen zu lernen. Eine ist, dass die Linken den Kampf der Ideen gewinnen müssen. Dazu müssen sie die Kontrolle darüber zurück gewinnen, wie Volkswirtschaft gelehrt wird. Einige Schritte in diese Richtung sind seit der Finanzkrise schon getan worden. Etwa finanziert der US-amerikanische Investor George Soros mit dem Institute for New Economic Thinking ein Forum für heterodoxe Denkansätze. Doch obwohl der Kollaps im Jahr 2008 das Ergebnis gescheiterter Wirtschaftswissenschaft war, bleiben die für die wertlosen Theorien Verantwortlichen an den Universitäten fest verwurzelt. Der Fortschritt geht schleppend voran.
Zweitens ist zu berücksichtigen, dass eine erfolgreiche progressive politische Agenda mit einer übergreifenden Kritik ganz oben ansetzt und sich dann nach unten in die spezifische Politik weiterarbeitet. Das hat in den 1940ern funktioniert, als der Nachkriegskonsens auf einem ganz schlichten Konzept aufgebaut war: nie wieder. Daraus entsprangen die Kontrolle der „Kommandohöhen der Wirtschaft“ (die wichtigen Schaltstellen einer Volkswirtschaft) und das Management der Nachfrage.
Drittens müssen sich die Linken darüber klar werden, was sie wollen. Die Linke bleibt geteilt in diejenigen, die – wie Bill Clinton und Tony Blair – überzeugt sind, dass es keine andere Wahl gib, als innerhalb der Regeln des globalen Kapitalismus zu arbeiten. Dann gibt es die Linken, die wie Roosevelt eine Reform an Rumpf und Gliedern fordern. Und dann wieder diejenigen, die glauben, dass der Kapitalismus so verkommen ist, dass er nicht zu retten ist.
„Den progressiven Kräften ist es nicht gelungen, die Krise auszunutzen“
Eine vierte Lektion ist, dass ein wenig Bescheidenheit vonnöten ist. Ohne Frage hat sich die Art der Diskussion seit der Finanzkrise verändert, zum Teil wegen der Sparpolitik, zum Teil wegen einer übermäßig milden Haltung gegenüber den Banken. Aber es gibt Aspekte des modernen Lebens, die die Menschen mögen: die unkomplizierten Möglichkeiten der Kommunikation und des Reisens etwa oder die Tatsache, dass sie für dasselbe Geld im Vergleich zu vor zehn Jahren ein viel besseres Handy oder ein besseres Essen im Restaurant bekommen. Wenn die radikale Linke tatsächlich an der Macht war, hat sie sich nicht immer mit Ruhm bekleckert.
David Hillman, der Direktor der Organisation „Stamp out Poverty“ und einer der Organisatoren der britischen Proteste in London im kommenden Monat, formuliert es so: „Es gab eine sehr kurze Phase, in der die an der Macht geschwächt waren. Den progressiven Kräften ist es nicht gelungen, das auszunutzen. Es hat sich nichts Wesentliches verändert, und wir schlafwandeln in eine neue Krise.“
Das fasst das Ganze ziemlich gut zusammen. Die politische Linke verdient eigentlich keine zweite Chance, aber sie könnte dennoch wieder eine präsentiert bekommen. Die Frage ist, ob sie diesmal besser vorbereitet ist.
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