Bye bye Noma: Ein Restaurantkritiker weint der Spitzengastronomie keine Träne nach
Sterneküche 26 Gänge, 500 Euro für ein Mittagessen, absurde Kellnerparaden: Restaurantkritiker Jay Rayner hält Sternerestaurants nicht für zeitgemäß. Das gilt auch für das Noma mit seinem nachhaltigen Ansatz. Denn was ist mit der CO₂-Bilanz der Gäste?
Rene Redzepi, Chef und Miteigentümer des Noma, will sein Restaurant in Kopenhagen Ende 2024 schließen
Foto: Thibault Savary/AFP/Getty Images
2007 unternahm ich für ein Buch über die weltweite Luxusrestaurant-Ökonomie einen Versuch, den ich die Luxusversion von Super Size Me nannte. In diesem Dokumentarfilm von 2004 aß Morgan Spurlock einen Monat lang jeden Tag bei McDonald’s, um zu sehen, wie sich das auf seinen Körper auswirken würde. In der High-End-Version aß ich eine Woche lang jeden Tag in Paris in einem Restaurant mit drei Michelin Sternen. Damals fühlte es sich angeberisch an, wenn ich über diesen Stunt sprach; jetzt fühlt es sich wie ein Geständnis an.
Ich werde nicht behaupten, alles sei schrecklich gewesen. Im Restaurant Guy Savoy gab es ein außergewöhnliches Erbsengericht, das die bescheidene Hülsenfrucht in den Rang einer Gottheit erhob; im w
ottheit erhob; im winzigen L'Astrance gab es die spektakulärste gekühlte Tomatensuppe. Doch neben all diesen Lichtblicken gab es auch Katastrophen: Langusten am Spieß, eingewickelt in brackigen Meerwasserschaum im Ledoyen, eine entsetzliche Artischocken-Crème-brûlée im Le Grand Véfour, die geteilt wurde. Aber was mir von diesem grotesken Kraftakt wirklich im Gedächtnis blieb, ist die Unwirklichkeit dieser Spitzenrestaurants: Ihre trostlose, aufgeplusterte, ungenießbare Künstlichkeit. Und wenn es keine Freude bringt, Essen zu gehen, wozu soll es dann gut sein? Meine Liebe zur gehobenen Küche begann zu bröckeln.Letzte Woche kündigte René Redzepi, der vielgepriesene Chefkoch des Drei-Sterne-Restaurants Noma in Kopenhagen an, er werde sein Restaurant Ende 2024 schließen. Ein Abendessen im Noma kostet mehr als 450 Euro, ohne Wein. „Es ist nicht mehr tragbar“, sagte Redzepi der New York Times. „Finanziell und emotional, als Arbeitgeber und als Mensch, es funktioniert einfach nicht.“ Ich aß 2009 im Noma und hatte eine herrliche Zeit. Sein Bekenntnis zum nordischen Regionalismus war faszinierend, die Ablehnung von Zutaten wie Olivenöl und Zitronen, weil sie von weit her kamen, spornte an. Trotzdem trauere ich ihm nicht nach, denn Redzepi hat recht.Selbst 500 Euro reichen nicht, um den Aufwand zu bezahlenErstens, wie Redzepi zugibt, geht das finanzielle Modell nicht mehr auf. Ein Abendessen in diesen Lokalen kann leicht 500 Euro oder mehr pro Person kosten, aber zu oft ist das nicht genug, um den absurden Aufwand für die Zubereitung zu bezahlen. Zu viele dieser Restaurants leben seit langem von einem Heer unbezahlter Praktikanten, von denen erwartet wird, dass sie dankbar für die Möglichkeit sind, unentgeltlich niedere Arbeiten zu verrichten, damit sie dies in ihrem Lebenslauf angeben können. Nachdem die Financial Times im vergangenen Jahr über das System der unbezahlten Praktikanten im Noma geschrieben hatte, kündigte das Unternehmen an, dass diese nun bezahlt werden. Vielleicht trug das einfach zum Mangel an finanzieller Tragfähigkeit bei.Dann ist da noch, was man am besten als Problem der „Vision“ bezeichnen könnte. Redzepi und das Noma wurden für ihr offensichtliches Engagement für Nachhaltigkeit gefeiert, weil sie sich weigerten, ihre Zutaten einzufliegen. Ethische Werte wurden zu einem Schlagwort unter Spitzenköchen, die auch Redzepis scheinbare moralische Glaubwürdigkeit haben wollten. Sie tauchten auf internationalen Symposien auf, um Vorträge über regenerative Landwirtschaft, Futtersuche und Ähnliches zu halten. 2011 veröffentlichten einige von ihnen, darunter Redzepi, Dan Barber vom Blue Hill at Stone Barns im Bundesstaat New York und Ferran Adrià vom El Bulli in Spanien auf einer Konferenz in Lima, Peru, in einem atemberaubenden Akt der Selbstherrlichkeit die „G9-Erklärung der Spitzenköche“. „Wir träumen von einer Zukunft, in der sich Chefköche sozial engagieren und sich ihres Beitrags zu einer gerechten und nachhaltigen Gesellschaft bewusst sind“, heißt es in der Erklärung, in der nicht erwähnt wird, dass ihr Job darin besteht, Essen für reiche Leute zu kochen. In Wahrheit kann man sich noch so sehr um die Nachhaltigkeit seines Restaurants bemühen, es bleibt sinnlos, wenn die meisten Kunden in der Business Class herbeifliegen oder in Limousinen mit Chauffeur aus Manhattan anreisen, weil nur sie es sich leisten können. Der CO₂-Fußabdruck der Menschen, die das Unternehmen anzieht, wird Teil seines CO₂-Fußabdrucks.Und dann ist da noch das Erlebnis selbst. Die Leute, die sich 500 Euro pro Person oder mehr für ein Mittagessen leisten können, sind in der Regel so anspruchsvoll, dass der Service extrem manieriert ist, um ihren Erwartungen zu entsprechen. Im Le Cinq in Paris gehören dazu Speisekarten ohne Preisangabe für Frauen, unabhängig davon, ob sie den Tisch reserviert haben. Im Manresa, einem kalifornischen Drei-Sterne-Restaurant, das ebenfalls kürzlich geschlossen wurde, erlebte ich das bizarre Schauspiel von Kellnern, die darauf abgerichtet waren, in einer Kolonne zu unserem Tisch zu marschieren, einen Arm hinter dem Rücken verschränkt, um uns zu bedienen. Als ob diese lächerliche Vorstellung das Essen wirklich verbessern würde.Nach 26 Gängen bellte der Küchenchef: „Habe ich gewonnen?“Schließlich ist da noch das Essen selbst, oder genauer gesagt, die Menge des Essens. Restaurants wie das Noma haben schon vor langer Zeit die Auswahl à la carte aufgegeben. Unvorhersehbares auf so hohem Niveau zu servieren, ist unmöglich. Also gibt es nur noch Degustationsmenüs: neun Gänge, 12 Gänge oder noch mehr. Ein Küchenchef hat mir einmal 26 Gänge serviert, dann kam er heraus und bellte: „Habe ich gewonnen?“ Ich vermute, dass die meisten Köche, die solche Menüs servieren, noch nie an einem solchen Menü teilgenommen haben. Sie haben keine Ahnung, wie es ist, stundenlang mit kleinen Häppchen unterschiedlicher Qualität überschüttet zu werden.Natürlich wirkt es in Zeiten, in denen viele kaum ihre Lebenshaltungskosten stemmen können, unangebracht, über die Qualen eines 26-gängigen Degustationsmenüs zu lamentieren. Aber ist das nicht gerade ein weiterer Grund, den Niedergang dieser Lokalitäten zu begrüßen? Einst machten sie auf eine verrückte Art Sinn. Sie funktionierten wirtschaftlich. Sie waren unterhaltsam. Aber im Laufe der Zeit scheint vieles davon verloren gegangen zu sein. Also lebt wohl, Noma und Freunde. Es hat eine Zeit lang Spaß gemacht mit euch. Aber der Spaß ist vorbei.
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