Vitali Klitschko muss seit gut zwei Jahrzehnten Schläge und Hiebe abwehren. Meist gelingt ihm das mit Leichtigkeit. Doch sein aktueller Gegner, Ukraine-Präsident Viktor Janukowitsch, gebietet über ein paar Vorteile, die bisher keiner von Klitschkos Gegnern für sich geltend machen konnte: Eine unter seinem Kommando stehende Bereitschaftspolizei von 7.000 Mann und ein flexibles Gerichtssystem. Es kann trotz der jüngsten Entwicklung in Kiew, Klitschko immer noch daran hindern, den Ring überhaupt zu betreten.
Das feurige Charisma des geborenen Anführers mag dem Ex-Boxer zwar abgehen, in einem Land aber, in dem der Orangenen Revolution von 2004 die große Enttäuschung folgte, weil deren Führer, sich nicht an ihre Versprechen hielten, wirkt Klitschkos schwerfällige Aufrichtigkeit durchaus attraktiv. Im Gegensatz zu vielen ukrainischen Politikern haften ihm kein Korruptionsverdacht an – die teure Uhr an seinem Handgelenk und sein schickes Auto lassen sich durch die Millionen erklären, die er im Boxring regulär verdient hat.
Immerhin hat er 45 von 47 Profikämpfen gewonnen und wurde kein einziges Mal k.o. geschlagen. Boxexperten sagen zwar, Klitschko habe sich nie eines wahrhaft brillanten Herausforderers erwehren müssen, weshalb er einen Sieg nach dem anderen eingefahren habe, andererseits hätten nun einmal er und sein jüngerer Bruder Vladimir den Sport ein Jahrzehnt lang absolut dominiert.
Finger zur Faust
Klitschkos Vater war Pilot bei der sowjetischen Air Force, so dass der junge Vitali auf verschiedenen Militärbasen aufwuchs und die Familie aus den zentralasiatischen Steppen ins Baltikum zog, bevor sie sich 1984 in Kiew niederließ. Vitali war zu jener Zeit noch ein Teenager, dessen kantige Gesichtszüge und düsteren Blick von einem stalinistischen Poster sowjetischer Sporthelden stammen konnte. Die Aura eines moralischen Fundierten umgab ihn schon während seiner Boxkarriere. In einem Milieu, das für gewöhnlich eher mit infantiler Prahlerei in Verbindung gebracht wird, gab er eine ungewöhnlich höfliche Figur ab. „Ich versuche, abgedroschene Vergleiche zwischen dem Boxring und dem politischen Kampf in der Ukraine zu meiden“. Klitschko selbst bringt diese Metaphern immer wieder ins Spiel bringt und setzt damit Verhaltensnormen für seine Partei, die Ukrainische Demokratische Reformallianz (Udar), was deutsch so viel wie „Fausthieb“ bedeutet.
Auf die Frage, ob es ihm missfalle, das Podium mit Oleh Tyahnybok zu teilen, einem ukrainischem Hardcore-Nationalisten, der für seine antisemitischen Ausbrüche bekannt ist, hebt Klitschko eine riesige Hand und ballt sie zur Faust: „Um einen Treffer landen zu können, muss man die Finger zur Faust zusammenführen. Wir müssen all unsere Kräfte vereinen. Nur so können wir gewinnen.“ Klitschko und Tyahnybok angeschlossen hat sich Arsenij Jazenjuk, Ex-Außenminister und Galionsfigur der Vaterlands-Partei der inhaftierten Julia Timoschenko.
„Uns einen drei Dinge“, erklärt Klitschko die Troika der Oppositionsführer. „Das Erste ist die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage. Zweitens betrachten wir die EU-Integration als einzige Option, damit die Ukraine eine Zukunft hat. Schließlich ist es der Kampf gegen das autoritäre Regime in Kiew.“ Jazenjuk freilich mangelt es am Charisma eines Parteiführers. Mit seiner Brille und dem Rollkragenpullover wirkt er eher wie ein Linguistik-Professor denn ein mitreißender Führer .
Da sich Tyahnyboks Anziehungskraft auf den nationalistischeren Westen der Ukraine beschränkt, kann Klitschko allein darauf hoffen, bei einem breiteren Teil der Bevölkerung Anklang zu finden, sollte ihn die Opposition bei Wahlen als gemeinsamen Kandidaten gegen Janukowitsch aufstellen wollen. Regulär fällig wäre das Votum erst 2015.
Bis zum überraschenden Angebot in der vergangenen Woche, das Amt des Vizepremiers zu übernehmen, hatte die Administration in Kiew derweil den Versuch unternommen, Klitschko von jedem Wettbewerb um die Staatsführung auszuschließen. Es gab ein Gesetz, das ihn wegen der ausgedehnten Auslandsaufenthalte während seiner Boxkarriere disqualifizieren würde. Klitschko hatte jahrelang seinen Hauptwohnsitz in Deutschland, auch kursiert in der ukrainischen Presse das Gerücht, er habe ein US-amerikanische Sozialversicherungsnummer und zahle in den USA Steuern. Klitschko selbst verfällt bei diesem Thema in die dritte Person. „Der Gesellschaft wird bewusst falsch informiert. Klitschko könne nicht antreten, heißt es. Aber Klitschko ist immer Bürger der Ukraine gewesen. Jeder weiß, der Sport ist global, so dass man sich nicht auf ein Land beschränken kann. Die Behörden tun trotzdem alles, um dafür zu sorgen, dass Klitschko nicht antreten kann. Aber ich sage es noch einmal: Es gibt keinen Grund, mich von der Wahl auszuschließen.“
Warnung an Janukowitsch
Die Frage, was er tun werden, sollte er bei möglichen Neuwahlen suspendiert werden, beantwortet Klitschko ausweichend: Er werde seine „Position entschlossen verteidigen“, sagt er. „Und meine Position ist jedem klar. Aber ich bin mir sicher, dass sie so etwas Dummes nicht tun würden. Das wäre, als würde man sagen, Eis sei warm oder Wasser sei trocken.“ Und wenn ihn die Janukowitsch-Regierung doch nicht zulassen? „Dann werde ich kämpfen. Wir befinden uns in einer Schlacht und ich habe nicht vor, einfach aufzugeben.“
Die Frage, wie weit er zu gehen bereit ist, wenn es um einen gewaltsamen Widerstand gegen die Regierung geht, bleibt unbeantwortet. Klitschko beharrt darauf, dass jegliche Gewalt von den Behörden zu verantworten sei: „Die Proteststimmung ist aufgeheizter als je zuvor. Ein kleiner Funken genügt, und die Situation entwickelt sich derart, dass sie der Kontrolle der Behörden vollkommen entgleitet.“ Und dann gibt es eine Warnung von Klitschko an Janukowitsch, die aufhören lässt. Der Präsident solle „Stärke finden“ und „nicht die Fehler Ceausescus und Gaddafis wiederholen“. Was auch die Erinnerung daran nahelegt, dass der rumänische und libysche Diktator schließlich von ihren Gegnern umgebracht wurden.
Die zurückliegenden Tage haben gezeigt, die Mehrheit der Demonstranten verhält sich zwar weiterhin friedlich, aber die radikalen Elemente gewinnen an Stärke. Lange vor dem Kiewer Aufruhr hatte Klitschko erklärt, er ziehe sich aus dem Boxsport zurück, um sich auf eine politische Karriere konzentrieren zu können. Er hat daraufhin den Titel eines „Champion Emeritus“ erhalten, der es ihm erlaubt, einen neuen Weltmeister jederzeit herauszufordern.
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