Eine Reihe potenziell gefährlicher Streitigkeiten mit Nachbarländern, den USA und Europa haben aufs Neue gezeigt, dass die Kräfte, die China antreiben, vom Westen größtenteils schlecht verstanden werden. Wenn die USA der Weltpolizist sind, so ist China auf internationaler Ebene ein gewiefter, jugendlicher Rabauke, der gegen das etablierte internationale System aufmuckt, an dessen Einrichtung er keinen Anteil hatte.
Die wütende Reaktion auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Dissidenten Liu Xiaobo hat diese kulturelle Kluft nochmals unterstrichen. Sie schmeckt nach verletztem Stolz und Unsicherheit. China Daily schrieb, der Preis sei „Teil der Verschwörung, um Chinas Entfaltung einzudämmen“ und komme einer gewaltigen Einmischung in seine inneren Angelegenheiten gleich. Er sei zu wenig mehr nutze, als „die tiefe und weite ideologische Kluft zu verdeutlichen, die zwischen diesem Land und dem Westen besteht“, so das Blatt.
Dass die amerikanischen und chinesischen Unterhändler beim Klimagipfel vom Dezember 2009 in Kopenhagen bei ihren Verhandlungen in eine Sackgasse gerieten, machte die grundsätzlich verschiedenen Ansätze deutlich. Ähnlich wie bei den Meinungsverschiedenheiten in Sachen Menschenrechte, verteidigte Peking auch hier sein Recht, bei der Wirtschaftsentwicklung einen eigenen Weg zu beschreiten. Mit anderen Worten, die chinesische Position erinnert an das Insistieren des Iran auf „atomaren Rechte“. Diese auf Souveränität bedachte Perspektive erklärt zum Teil auch Chinas Haltung in einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Westen über seine „unterbewertete“ Währung, die Gegenstand eines ergebnislosen IWF-Treffens war. Die chinesische Führung gibt routinemäßig zu Protokoll, sie lasse sich die Wechselkurse nicht diktieren. Man fürchte „soziale Unruhen“, sollten die Preise zu stark ansteigen, so Premier Wen Jiabao.
Souveränität zuerst
Chinesische Spitzenpolitiker geben bereitwillig zu, dass ihr Land an einer Art historischer Paranoia leidet, die sein Verhalten beeinflusst. „Der kontinuierliche Verlust von Territorium versetzte der chinesischen Psyche in den Jahrzehnten nach dem Opiumkrieg von 1840 tiefe Wunden“, sagt Qingli Dai, ein chinesischer Diplomat in London. Man tue sich deshalb sehr schwer damit zu akzeptieren, dass ein chinesischer Fischer auf eigenem Territorium von einem fremden Land festgenommen wurde. Es geht um die jüngste Eskalation im schon lange schwelenden Streit mit Japan über den Anspruch auf die Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer (in Japan heißen sie Senkaku-Inseln), nachdem der Kapitän eines chinesischen Trawlers verhaftet worden war. Der Zusammenstoß führte zu großem Unmut und nationalistischen Aufwallungen, von denen die chinesisch-japanischen Beziehungen in regelmäßigen Abständen erfasst werden. Fürs Erste scheinen sich im konkreten Fall die Gemüter wieder beruhigt zu haben. Aber wie auch bei anderen internationalen Streitigkeiten, in die China verwickelt ist, sind die zugrunde liegenden, weiter fortwirkenden Spannungen ebenso offenkundig wie der Mangel an langfristigen Lösungen.
Beim ersten gemeinsamen Treffen der Verteidigungsminister des Asien-Pazifikraumes vor kurzem in Hanoi, bei dem auch US-Verteidigungsminister Robert Gates zugegen war, brachten viele Nachbarn Chinas – unter ihnen Indonesien und Vietnam – ihre Sorgen über das immer selbstbewusstere Auftreten und die immer größere physische Präsenz des Reiches der Mitte im Ost- wie auch im Südchinesischen Meer zum Ausdruck. China betrachtet diese Gewässer nach dem Eindruck seiner Nachbarn zunehmend als Hinterhof, wie es die USA einst mit Lateinamerika hielten.
Minister Gates trat in Hanoi mit dem Appell hervor, die Staaten sollten ihre Differenzen multilateral beilegen – ein Verlangen, was in Peking als grobe Einmischung in seine souveränen Rechte gedeutet wird.
Neuer Kalter Krieg
Der militärische Dialog zwischen China und den USA kommt nach einem Streit um Taiwan langsam wieder in Fahrt: Gates wurde für 2011 zu einem Besuch eingeladen. Indem sich die US-Regierung aber öffentlich mit Chinas Nachbarn solidarisiert, diese aufrüstet und auf „einer Führungsrolle in Asien“ besteht, riskiert sie, die Konfrontation Chinas mit dem Westen auf asiatischem Boden zu wiederholen. Dies veranlasste Time Magazine in der Vorwoche dazu, vor dem „neuen kalten Krieg“ in Asien zu warnen, der sich im Zuge des militärischen, ökonomischen und politischen Machtzuwachses Pekings ergeben und in regionalen Stellvertreterkämpfen zwischen China und den USA Gestalt annehmen könne.
Ein Punkt, der immer stärker für Bedenken sorgt, ist der zunehmende Gebrauch ziviler Schiffe als „Kommando-Milizen“, die in umstrittenen Gewässern auf Geheiß der chinesischen Marine vorgehen. 2009 wurden zwei US-Kriegsschiffe – die Victorious und die Impeccable – von zivilen Schiffen bedrängt, die Berichten zufolge koordiniert mit der chinesischen Marine handelten.
Nichts davon sollte Francois Goldement zufolge überraschen, wie er in seinem im European Council on Foreign Affairs Relations veröffentlichten Artikel Geopolitics on Chinese Terms schreibt, die etablierte Sicht des Westens, China verfolge eine vollständig defensive Außenpolitik, sei mittlerweile obsolet.
Übersetzung: Holger Hutt
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