Class Pay Gap: Wenn die Klassenherkunft über den Lohn entscheidet

Meinung Britische Fachkräfte, die aus der Arbeiterklasse kommen, verdienen fast 8.000 Euro jährlich weniger als ihre Kollegen. Das ließe sich leicht ändern. Der Kampf gegen den Gender Pay Gap hat es vorgemacht
Wissen Sie eigentlich, wie viel weniger oder mehr Ihre Kolleg:innen verdienen?
Wissen Sie eigentlich, wie viel weniger oder mehr Ihre Kolleg:innen verdienen?

Foto: -/AFP via Getty Images

Viele professionelle Arbeitsplätze in Großbritannien teilen ein beschämendes Geheimnis. Arbeitnehmer:innen aus der Arbeiterklasse erhalten im Durchschnitt 6.718 Pfund (7.680 Euro) pro Jahr weniger als Arbeitnehmer:innen aus besser gestellten Schichten, selbst wenn sie die gleiche Arbeit verrichten.

Diejenigen, die von diesem Lohngefälle betroffen sind, werden doppelt getroffen, da die Lebenshaltungskostenkrise auch ihr Einkommen auffrisst. Arbeitgeber und die Regierung müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass Hunderttausende von Arbeitnehmer:innen unterbewertet und unterbezahlt werden.

Die Daten könnten nicht krasser sein. Eine von der Stiftung für soziale Mobilität, deren Vorsitzender ich bin, geförderte Studie hat die Arbeit der Wissenschaftler Sam Friedman und Daniel Laurison aufgegriffen und das Lohngefälle zwischen den Klassen auf 13 Prozent berechnet. Mit anderen Worten: Menschen aus unterprivilegierten Verhältnissen, die es ins Berufsleben geschafft haben, arbeiten vielleicht 13 Prozent des Jahres umsonst. Das ist fast ein Tag für jede Sieben-Tage-Woche.

Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass seit Samstag, dem Class Pay Gap Day, Fachkräfte aus der Arbeiterklasse für den Rest des Jahres praktisch nichts mehr verdienen. Die Kluft ist sogar noch größer – mehr als 8.000 Pfund (9.146 Euro) – für Geschäftsführer, Finanzmanager, Unternehmensberater und Anwälte.

Das Lohngefälle schadet der Wirtschaft

Bedrückenderweise ergab die Untersuchung, dass bei Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen und ethnischen Unterschiede die Angehörigen der Arbeiterklasse doppelt benachteiligt sind. Frauen aus der Arbeiterklasse erhalten 9.450 (10.804 Euro) Pfund weniger als ihre männlichen Kollegen, selbst wenn sie beide in höheren beruflichen Positionen tätig sind. Die Studie ergab auch, dass Menschen mit einer Herkunft aus Bangladesch oder einem schwarz-karibischen Hintergrund 10.432 Pfund (11.927 Euro) bzw. 8.770 Pfund (10.027 Euro) weniger verdienen als ihre weißen Kolleg:innen in den gleichen Positionen.

Dieses Lohngefälle ist nicht nur ein Armutszeugnis für professionelle Arbeitgeber. Es ist moralisch ungerecht und wirtschaftlich unvernünftig. Die Fachberufe in Großbritannien sind ein Eckpfeiler der modernen Wirtschaft. Im Jahr 2021 trugen die Dienstleistungsbranchen 1,7 Billionen Pfund zur Bruttowertschöpfung (BWS) der britischen Wirtschaft bei, das sind 80 Prozent der Gesamtzahl. Der Erfolg Großbritanniens in der globalen Wirtschaft hängt davon ab, dass die besten Leute, unabhängig von ihrem Hintergrund, von der Arbeit in diesen Berufen angezogen und nicht abgeschreckt werden.

Ein angemessener Tageslohn für einen angemessenen Arbeitstag ist das Mindeste, was jeder erwarten sollte. Wenn dieser fortschrittliche Grundsatz untergraben wird, haben die Menschen das Gefühl, dass ihre Anstrengungen nicht belohnt werden, der Unmut wächst und damit auch die Gefahr einer weiteren sozialen Spaltung.

Zum Glück ergreifen einige Arbeitgeber vorbeugende Maßnahmen. Unternehmen wie Clifford Chance, KPMG und PwC veröffentlichen inzwischen alle ihre Daten zum Lohngefälle zwischen den Klassen. Einige setzen sich Ziele, um ihre Fortschritte voranzutreiben, da sie die positiven Auswirkungen erkennen, die eine Verringerung des Lohngefälles auf die Unternehmenskultur und letztlich auf die Geschäftsergebnisse haben kann. Doch im Moment sind sie noch in der Minderheit. Viele weitere Unternehmen sollten diesem Beispiel folgen. Hier kann die Regierung helfen.

Inspiration für Veränderung: der Gender Pay Gap

Die Einführung der Anerkennung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles in das britische Recht war ein historischer und wirksamer Moment im Kampf der Frauen für die Gleichstellung der Geschlechter. Seit April 2017 sind Organisationen mit 250 oder mehr Beschäftigten in England, Schottland und Wales verpflichtet, ihre Zahlen zum geschlechtsspezifischen Lohngefälle jährlich zu veröffentlichen.

Die Veröffentlichung dieser Daten hat die alarmierende, inakzeptable Kluft zwischen den Durchschnittsverdiensten von Männern und Frauen aufgezeigt. Sie hat das Thema auf die Tagesordnung der Unternehmen gesetzt und die leistungsschwächsten Arbeitgeber ins Rampenlicht gerückt. Die Rechtsvorschriften scheinen eine positive Wirkung zu haben. Bei allen Beschäftigten ist das geschlechtsspezifische Lohngefälle von 17,4 Prozent im Jahr 2019 auf 14,9 Prozent im Jahr 2021 gesunken.

Es ist an der Zeit, dass derselbe Ansatz auch bei der Beseitigung des Lohngefälles zwischen der Klassenherkunft verfolgt wird. Genau wie bei den geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden sollte die Regierung eine Konsultation zur Schaffung eines gesetzlich verankerten Registers für die Meldung von Lohnunterschieden nach Berufsgruppen einleiten. Die Tatsache, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und den Ethnien nach wie vor ein großes Problem darstellt, sollte weder die Arbeitgeber noch die Regierung darüber hinwegtäuschen, dass auch bei der Beseitigung des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen Handlungsbedarf besteht.

In einer Zeit, in der die Einkommen immer knapper werden, kann eine solche Gesetzesänderung ein Teil der Lösung sein, um die Krise der Lebenshaltungskosten zu bekämpfen. Sie wäre ein wichtiger Schritt zur Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen für Menschen aus benachteiligten Verhältnissen. Das Lohngefälle zwischen den Klassen ist ein großes Hindernis für Ungleichheit und soziale Mobilität. Es ist an der Zeit, sie zu schließen.

Alan Milburn ist Vorsitzender der Stiftung für soziale Mobilität

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Übersetzung: Alina Saha
Geschrieben von

Alan Milburn | The Guardian

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