Da kommen welche tief aus dem Berg

Südafrika Der opferreiche Streik der Bergarbeiter von Marikana hat einen sozialen Aufstand in den Platin-, Gold- und Kohleminen des Landes ausgelöst
Unter Tage herrschen 40 bis 45 Grad in der Platinmine Phokeng. Sie liegt 120 Kilometer nordwestlich von Johannesburg
Unter Tage herrschen 40 bis 45 Grad in der Platinmine Phokeng. Sie liegt 120 Kilometer nordwestlich von Johannesburg

Foto: Paballo Thekiso / AFP

Unten im Stollen herrschen Qual, Schinderei, Hitze und die kalte Angst, niemals zurückzukommen. Am schlimmsten aber – sagt der Driller Mbuzi Mokwane – sei der Tag, an dem man seinen Lohn erhalte. „Für mich ist das der elendeste Moment von allen. Wenn ich meinen Lohnzettel bekomme, auf dem 4.000 Rand (380 Euro – die Red.) stehen, fange ich an, meine Ausgaben zu berechnen und könnte verrückt werden. Man wird am helllichten Tag ausgeraubt.“ Mokwane schuftet in der Blyvooruitzicht-Mine bei Carletonville in einem Gebiet, das in der lokalen Sesotho-Sprache Ort des Goldes heißt. Hier fahren die Bergleute Tag für Tag mit der Angst in den Stollen, es könnte ihr letzter sein. Sie klagen über schlechte Bezahlung, schlechtes Essen, menschenunwürdige Behausungen und die Ignoranz ihrer Bosse, die sie immer noch behandeln wie Tiere. Ihr schwelender Groll kann sich jeden Augenblick entladen.

Südafrikas Minenarbeiter stehen im Kampf um soziale und ökonomische Befreiung an vorderster Front. Wenn es sein muss, stellen sie sich der Polizei mit Knüppeln in den Weg und lassen sich von Streiks in den großen Platin-, Gold- und Kohlebergwerken des Landes nicht abhalten. Gerade erst musste das Unternehmen AngloGold Ashanti einräumen, die meisten seiner etwa 35.000 Arbeiter hätten bei einem illegalen Ausstand die Arbeit niedergelegt. Zugleich gehen Arbeitskämpfe bei Gold Fields und Anglo American Platinum weiter, so dass in deren Rustenburg-Minen derzeit weniger als ein Fünftel der Belegschaft einfährt. Viele hat der Streik in Marikana angespornt, bei dem im August 46 Menschen von der Polizei getötet wurden, letztlich aber eine beachtliche Lohnerhöhung durchgesetzt werden konnte.

Moeletsi Mbeki, Ökonom und Bruder des früheren Präsidenten Thabo Mbeki, zufolge hat „Marikana gezeigt, dass es 1994 mit dem Ende der Apartheid offenbar nur darum ging, eine neue schwarze Elite in das sozioökonomische System zu integrieren, wie es die Weißen seit 1870 betreiben“.

Die Regierung scheint enttäuscht darüber, dass sich momentan nur neun, statt der angestrebten 15 Prozent der Minen in der Hand schwarzer Eigentümer befinden. Es hat kaum den Anschein, als würden die angestrebten 26 Prozent bis 2014 erreicht. 18 Jahre nach dem Abschied von der Apartheid ist jedoch die Geduld der Arbeiter am Ende. Von Julius Malema, dem hitzköpfigen Ex-Vorsitzenden der ANC-Jugend, hören sie: „Sie haben euch das Gold gestohlen. Jetzt seid ihr dran.“ Eine von extremer Ausbeutung geprägte Industrie am Kap, in der großer Reichtum und eben solche Armut aufeinanderprallen, durchlebt eine existenzielle Krise. In den tiefsten Stollen der Welt kamen im Vorjahr 123 Menschen ums Leben. Unter den Arbeitern ist die Tuberkulose sechsmal mehr verbreitet als in der Gesamtbevölkerung Südafrikas.

Fallende Steine

Der 33-jährige Mokwane erzählt, was passiert, wenn sich im Schacht Blyvooruitzicht die Tür des Förderkorbes schließt. „Für mich ist das Einfahren wie eine Folter. Ständig quält mich die Frage: Werde ich je wieder lebend herauskommen oder sterben? Herabfallende Steine können einen verletzten oder gar töten.“ Beim Bohren liegen die Männer in einer anderthalb Meter hohen Spalte, können also nicht aufrecht stehen, müssen knien oder kauern. Mokwane: „Die Schwierigkeit besteht darin, beim Bohren die Maschine im Gleichgewicht zu halten. Alles wackelt und kostet Kraft. Und dann der Rauch – man kann keine Atemmaske aufsetzen, denn die wird leicht nass. Also atmest du den Rauch ein. Nur wird es manchmal so heiß, dass du gar nicht mehr atmen kannst. Aber die Bosse verbieten, dass man sich im Frischluftstollen erholt.“ Im November sei ein Kollege so erschöpft gewesen, dass er nicht auf fallende Steine achtete und verschüttet wurde. Er habe überlebt, sitze jetzt aber im Rollstuhl. Bis heute warte er auf sein Schmerzensgeld.

Auch der Rassismus macht nicht an den Toren der Minen halt: „Die weißen Bosse respektieren uns nicht“, sagt Mokwane. „Sie respektieren sich nur gegenseitig. Es kümmert sie nicht, was unten im Schacht passiert. Unsere schwarzen Bosse sind nicht besser.“

Wie viele andere schickt Mokwane mehr als die Hälfte seines Lohns an die verarmte Familie, die weit weg im Dorf Mqanduli in der Provinz Eastern Cape lebt. Seine Frau, drei Kinder, die Mutter und drei Geschwister sind auf ihn angewiesen, um Nahrung, Unterkunft und Schulgebühren bezahlen zu können. Mokwane vermisst sie sehr, kann aber nur Weihnachten und Ostern nach Hause. Sein Zimmer in der Unterkunft für die Arbeiter riecht nach Schweiß. Fliesen sind gesprungen, die Wände schmutzig, in der Küche stehen leere Bierflaschen in einer Ecke, verwitterte, rot besprühte Schließfächer sollen den persönlichen Besitz der Männer sichern. „Wir leben und arbeiten hier wie Tiere“, stöhnt Mokwane. „Wenn man sich beschwert, sagen sie dir: Du wohnst hier nicht allein, also richte dich gefälligst ein.“

Das Essen, für das die Minengesellschaft aufkommt, hat mit Essen nur entfernt etwas zu tun. „Morgens bekommst du eine Tasse Tee und einen Viertellaib Brot, das manchmal schon alt und so hart ist, dass es keiner essen kann“, schildert Mokwane skandalöse Verhältnisse. „Das Mittagessen ist meist vom Vortag und der Reis so verkocht, dass er wie Brei schmeckt .“

Vergessenes Blut

Vor einer Woche ließen Mokwane und seine Kollegen die Gewerkschaft wissen, dass auch sie 12.500 Rand (1.190 Euro – die Red.) im Monat verdienen wollten wie ihre Kollegen in den Platinschächten von Marikana. „Wenn die Gewerkschaft das nicht herausholt, werden wir streiken. Ja, ich finde, wir sollten streiken und erst dann anfangen zu verhandeln. Niemand sollte wieder arbeiten gehen, solange unsere Forderungen nicht erfüllt sind.“

Der Frust über die dem ANC nahestehende Gewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) ist groß. Soto Maqundweni, einer von Mokwanes Zimmergenossen, meint: „Wir halten die meisten von denen für Betrüger. Sie sind schuld, wenn wir keine höheren Löhne kriegen, weil sie gar nicht daran denken, unsere Interessen zu vertreten.“ Andere Bergleute – zumeist Arbeitsmigranten vom Ostkap oder aus dem Nachbarland Lesotho – äußern sich ähnlich. Die von Arbeitslosigkeit und Armut ins Arbeitsjoch der Gruben Getriebenen sehen in den Ereignissen von Marikana – dem letzten Endes doch erfolgreichen Arbeitskampf – einen Wendepunkt im Verhältnis zwischen Unternehmern und Arbeitern. Was etwas damit zu tun haben dürfte, dass sie jedes Vertrauen in den NUM, aber auch den ANC verloren haben.

Mit einer Liste der Beschwerden von Arbeitern konfrontiert, antwortete vor Tagen eine Sprecherin von Village Main Reef, dem die Blyvooruitzicht-Mine gehört: „Ich glaube, dass es viel Unmut der Angestellten über die kollektiven Strukturen der Tarifpartner gibt. Das Management der Mine wird sich darum kümmern. Aber Beschwerden, von denen wir offiziell keine Kenntnis haben, können nicht durch die Medien auf die Agenda gesetzt werden. Seitdem Village Main Reef die Mine am 1. Juni 2012 übernahm, haben wir uns offen mit allen Anteilseignern wegen der Herausforderungen auseinandergesetzt, von denen die Zukunft des Unternehmens bedroht ist.“

In seinem Buch Der Weg nach Wigan Pier schrieb der Schriftsteller George Orwell 1937: Obwohl die Arbeit von Bergleuten überall auf der Welt so notwendig sei, bleibe sie der Wahrnehmung entrückt und in der Gesellschaft unsichtbar – als würde das Blut in unseren Adern vergessen.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Südafrika ist das Land mit der tiefsten sozialen Kluft im Bergbau weltweit. Die Mittelschicht will von den Arbeitsbedingungen unter Tage nichts wissen, obwohl die ihre Privilegien erst möglich machen. Charles Abrahams, ein Anwalt, der über 3.000 ehemalige, heute lungenkranke Kumpel vertritt, ist überzeugt: „Wir haben es mit der gleichen sozialen Ungleichheit zu tun wie zu Zeiten der Apartheid. Die oben wollen um Gottes willen nicht wissen, wie es unten aussieht.“

David Smith ist einer der Afrika-Korrespondenten des Guardian

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

David Smith | The Guardian

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