Nicolas Cage ist der größte noch aktive amerikanische Schauspieler. Vor nicht allzu langer Zeit wäre man für eine solche Behauptung ausgelacht, für nicht zurechnungsfähig erklärt worden. Nur ganz große Cage-Fans sagten so etwas. In den Augen des Rests der Welt; nun ja, er konnte schauspielern – schließlich gewann er 1996 für Leaving Las Vegas den Oscar, doch er war zu exzentrisch. Zu übertrieben, um ernst genommen zu werden. Seit ich ihn in seinen Komödien aus den 80er Jahren gesehen habe, in denen er einen näselnden Teddy Boy, einen Bäcker mit einem Faible für die Oper und einen comic-haften Ex-Knacki spielte, bin ich ein ganz großer Cage-Fan.
Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so spielt wie er – äußerst gekünstelt, aber immer aufrichtig, der sich so furchtlos dem Lächerlichen annähert, um Einzigartiges zu erreichen. Als schüchternes Mädchen von zehn Jahren übte ich seine grandiosen Monologe und noch grandioseren Gesten aus Mondsüchtig vor dem Spiegel: „Ich bin kein verkrüppeltes Denkmal für Gerechtigkeit!“, schrie ich und reckte meinen Arm in die Höhe. Doch dank der endlosen billigen Horrorfilme, die er heutzutage macht, in Verbindung mit all diesen Internetzusammenschnitten seiner notorischen Cage Rage, Wutausraster aus verschiedenen Filmen, wird er als jemand angesehen, den gut zu finden man wenn auch nicht verleugnen, so doch zumindest ironisch brechen müsse.
Seit seinem Auftritt in Werner Herzogs Bad Lieutenant: Cop ohne Gewissen (2009) änderte sich der Blick. Es kamen nun Schlagzeilen wie: „Ist Nicolas Cage tatsächlich der brillanteste Schauspieler unserer Zeit?“ Die Journalisten, die sie verfassten, waren vermutlich zu jung, um sich zu erinnern, dass Cage dies schon vor langer Zeit in Filmen wie David Lynchs Wild at Heart (1990) bewiesen hat. Im Jahr 2013 erklärte der Schauspieler Ethan Hawke: „Er ist der einzige Schauspieler seit Marlon Brando, der wirklich etwas Neues mit der Kunst der Schauspielerei gemacht hat. Er hat uns erfolgreich von einer Obsession mit dem Naturalismus weggeführt, hin zu einer Art Vortragsstil des Schauspielens, der vielleicht bei den alten Minnesängern beliebt war.“
Cage und ich treffen uns an einem sonnigen Tag im Restaurant des Londoner Savoy Hotels. Er ist förmlich gekleidet, trägt einen grauen Anzug und Krawatte, sein Gesicht wirkt freundlich. „Was soll all die Sonne? Ich hatte gehofft, in London sei es düster“, sagt er. Dieser Tage lebe er „nun, romantisch ausgedrückt würde man wohl sagen in der Mojave-Wüste, aber plumper gesagt, lebe ich in Las Vegas“. Er ist vor zehn Jahren dorthin gezogen, und das aus einem eher ordinären Grund: Der Staat Nevada erhebe keine zusätzliche Einkommensteuer, „was stets recht hilfreich war“. Cage hat das Vermögen, das er in den 90ern mit Blockbustern wie The Rock – Fels der Entscheidung, Im Körper des Feindes und Con Air verdiente, unter anderem für einige exzentrische Immobilienkäufe auf der ganzen Welt ausgegeben, einschließlich eines Schlosses in Somerset. Das Schloss ist mittlerweile verkauft, aber er besitzt noch immer ein Landhaus in der Nähe von Glastonbury.
Eine Frau, die er seine „Philosophielehrerin“ nennt, habe ihn dazu gedrängt. „Sie meinte, ich hätte etwas sehr Arthurhaftes an mir – warum, weiß ich nicht –, ich ging hin, sah es mir an und verliebte mich in den Ort. Glastonbury ist, als würde man in einen Stapel von Tarotkarten hineinspazieren: Auf der einen Seite hat man sehr altes Christentum, auf der anderen heidnische Buchhandlungen, und mitten auf der Straßen bellt jemand über Gott. Es ist wie ein Film von Ingmar Bergman, und ich liebe es“, sagt er. Er trägt zwei klobige Ringe an seinen Fingern: einen Tansanit aus Somerset und einen Tiger aus Vegas. „So habe ich immer Glastonbury und Las Vegas bei mir.“
Wir reden über seinen neuesten Film, Mandy, und wenn Cage heute im Ruf steht, er vergeude sein Talent an Horrorfilme, die sich kaum jemand ansieht, dann ist dieser nicht angetreten, daran etwas zu ändern. Macht er diese kleineren Filme, weil sie ihm den Raum geben, zu experimentieren? „Absolut. Ich mag es, Formen zu brechen, verschiedene Dinge auszuprobieren, und ich denke, die Studios mögen das nicht. Aber in einem Film mit unabhängigem Geist kann ich das machen. Davon abgesehen: Wenn ich morgens nichts habe, wo ich hingehen kann, um eine Aufgabe zu erledigen, kann ich ziemlich selbstzerstörerisch sein. Dann sitze ich nur da, bestelle mir zwei Flaschen Rotwein und zergehe. Und der Mensch will ich nicht sein, also muss ich arbeiten.“ Nach unserem Interview müsse er den Text für drei anstehende Filme lernen.
Anders als die meisten anderen Schauspieler, die schon seit vier Jahrzehnten im Geschäft sind, und trotz seines Rufs als Mann der Extreme, hat es nie Drogenskandale oder Burn-out-Gerüchte um ihn gegeben. „Mit Sicherheit habe ich ein Arbeitsethos, das würde ich schon sagen. Ich bin der Erste, der ankommt, und der Letzte, der geht. Aber ich denke, dass ich das auch meinen Kindern zu verdanken habe. Als Vater kann man sich nicht so benehmen“, sagt er. Cage hat zwei Söhne: Weston, 27, aus einer frühen Beziehung, und den 13-jährigen Kal-El (der Name, den Superman als Baby erhielt), aus seiner dritten Ehe mit Alice Kim.
Mandy handelt – auch wenn es ein überzogener Splatter-Film ist – von der Trauer eines Mannes, der die Liebe seines Lebens verloren hat. Kurz bevor die Dreharbeiten zu dem Film begannen, fand Cages Ehe mit Kim nach 14 Jahren ein jähes Ende. „Es war ein Schock für mich – ich habe es definitiv nicht kommen sehen, und diese Gefühle mussten irgendwohin, also flossen sie in meine Performance ein.“ Haben Kim und er es geschafft, Freunde zu bleiben? „Oh ja, das möchte ich. Sie war recht jung, als ich sie geheiratet habe, und ich hege wirklich keinen Groll.“
Kinskis Augen
Und jetzt? „Nun ist es wie, wow, ich bin 54 und wieder Single – ich habe das nicht kommen sehen. Es ist ziemlich bitter.“ Vermutlich kann er nicht tindern. „Nein, definitiv nicht. Ich bin nicht in den sozialen Medien unterwegs, aber alle anderen schon, was dazu führt, dass ich mich frage: Nun gut, was soll ich tun?“
Als eine Freundin ihn neulich zu Hause besuchte, zeigte er ihr Vampire’s Kiss, sein unbekanntes Horrorjuwel aus den 80ern über einen Mann, der glaubt, ein One-Night-Stand habe ihn in einen Vampir verwandelt. „Ich glaube, das hat ihr Angst gemacht. Sie ist gegangen“, sagt er und lacht.
Cage sehe überhaupt nicht aus wie ein Filmstar, wird oft behauptet. Dabei hat er das lange Gesicht und die lange Nase von Max Schreck aus Nosferatu von 1922, die hohe Stirn von Werner Krauss in Das Kabinett des Dr. Caligari von 1920 und die wilden, insektenhaften Augen von Klaus Kinski. Genauso wie diese Schauspieler wollte Cage immer sein, als er sich in seiner Kindheit und Jugend – zusammen mit seinem geliebten Vater, Augustus Coppola, die Klassiker ansah. Er lässt das, was er aus diesen Filmen gelernt hat, in seine eigenen Arbeiten einfließen; selbst die Gesten in Mondsüchtig, die ich früher nachgemacht habe, waren eine Anspielung auf Fritz Langs Metropolis.
Hat er Angst vor der Lächerlichkeit? „Ich kümmere mich nur um Transformation, daher denke ich nie ‚Ist das lächerlich?‘ Auch wenn es das manchmal ist!“ Seine Methoden, sich auf Rollen vorzubereiten, sind legendär: Bei Leaving Las Vegas heuerte er den damals ständig besoffenen Dichter Tony Dingman als „Trinkberater“ an. Für Bad Lieutenant schniefte er unablässig Saccharin, um sich in einen Drogenabhängigen hineinversetzen zu können. „Ich denke, ich habe Werner (Herzog) ein wenig um den Verstand gebracht, was mich dann wiederum wahnsinnig gemacht hat, denn man muss wirklich weit gegangen sein, um Werner so weit zu bringen.“
Exzentriker und Phantom
Oscar und Golden Globe und gleichzeitig zahlreiche Nominierungen für die Goldene Himbeere, u. a. für „Schlechtestes Leinwandpaar für Nicolas Cage und jeden, der mit ihm in einem seiner Filme von 2011 zu sehen war“: Der Schauspieler hat in seinem Leben kommerziell erfolgreiche Filme gemacht und von Kritikern brutal verrissene B-Movies.
Seit seinen Achtziger-Jahre-Komödien (Peggy Sue hat geheiratet, Mondsüchtig, Raising Arizona) über Neunziger-Jahre-Action-Filme bis zu Horrorfilmen im 21. Jahrhundert: Cage spaltet die Zuschauer und Kritiker. Dazwischen kamen dann Klassiker wie Wild at Heart und Bad Lieutenant oder der Thriller Adaption (2002). Nicolas Cages neuer Film Mandy, ein Action-Horror-Streifen (Start 1. November), ist die Geschichte eines am Boden zerstörten Holzfällers, der sich daranmacht, den Mord an seiner Freundin durch einen Sektenführer zu rächen. Kritiker bezeichnen ihn bereits als einen seiner besten Filme. In den sozialen Netzwerken wurde gefordert, Mandy in mehr US-Kinos laufen zu lassen, die Fans rotteten sich zusammen, um es möglich zu machen.
Regisseur und Drehbuchautor Panos Cosmatos hat schon über ein Sequel nachgedacht. Er habe sich aus Spaß eine Fortsetzung ausgemalt, in der Red Miller (Cage) in einer zerbombten Stadt gegen Nazi-Punks kämpft.
In Deutschland sorgte vor Kurzem ein Fahndungsbild der niedersächsischen Polizei für Wirbel, mit dem ein Falsch-geldbetrüger gesucht wird. Er ist Cage wie aus dem Gesicht geschnitten. Dem Polizeizeichner habe tatsächlich Nicolas Cage als Vorlage gedient, der Täter habe ausgesehen wie er, nur jünger, sagte die Zeugin.
Wenn Cage versucht, seine Art zu spielen zu erklären, verwendet er Begriffe wie German expressionist, western kabuki und nouveau shamanic. Sie können den Eindruck kaum zerstreuen, dass er zumindest ein bisschen verrückt ist. Zusammenschnitte im Netz reduzieren ihn unter dem Schlagwort „Cage Rage“ auf seine Ausraster. „Nun, das hat zwei Seiten. Sie haben mich einer Generation bekannt gemacht, bei der sich alles um Youtube dreht. Auf der anderen Seite werden diese überlebensgroßen Gesichtsausdrücke zu etwas gemacht, das Memes genannt wird“, sagt er und rollt das Wort „Memes“ spöttisch in seinem Mund. „Aber ich störe mich nicht daran. Ich gebe immer alles, was ich habe, und ich denke, die Leute wissen das“, sagt er. Tun sie das?
Die Coen-Brüder waren sich so unsicher, dass sie ihn für Raising Arizona zwanzig Mal vorsprechen ließen, bei Mondsüchtig wurde er beinahe gefeuert, weil er darauf beharrte, Anspielungen auf Jean Cocteau einzubauen. Bei Peggy Sue hat geheiratet, „da hatte ich Glück, dass mein Onkel Regie führte“. Es war Francis Ford Coppola.
Nicolas Coppola wuchs in Long Beach, Kalifornien, als Sohn von Francis Ford Coppolas Bruder auf. Als Kind vergötterte er seinen Onkel. „Ich war voller Ehrfurcht vor ihm und wollte seine Anerkennung. Ich liebte, wie er sein Leben lebte, immer die Beatles hörte und Gitarre spielte.“ Doch als Cage als Teenager mit der Schauspielerei anfing, wurde ihm schnell klar, dass er seinen Nachnamen würde ändern müssen, um nicht der Vetternwirtschaft bezichtigt zu werden.
Ehe und Extreme
Zwei seiner Ex-Frauen kommen ebenfalls aus berühmten Familien: Patricia Arquette, mit der er in Scorseses Bringing Out the Dead zusammen spielte, und Lisa Marie Presley. „Ich denke, ich habe da eine Verbindung gespürt, ein Verständnis für den Druck, einen berühmten Namen zu tragen. Eines der Dinge, die Lisa an mir liebte, war, dass ich meinen Namen geändert hatte – sie fand das sehr cool. Aber für mich zählen diese beiden Ehen nicht wirklich. Die wirkliche Ehe waren für mich die 14 Jahre, die ich mit Alice und unserem gemeinsamen Kind hatte.“ Cage und Presley sind immer noch befreundet, aber mit Arquette habe er schon lange nicht mehr gesprochen.
Machen die emotionalen Extreme, die er in seiner Arbeit auslotet, es schwer, eine Beziehung mit ihm zu führen? „Vielleicht. So habe ich noch nie darüber gedacht. Aber es stimmt, man muss es abstellen, wenn man nach Hause kommt, und ich habe ein Leben – nun, ich hatte eins …“ Er habe noch immer eins, sage ich.
Als Mensch macht er einen überraschend unexzentrischen Eindruck. Er wirkt vielmehr – „Langweilig, nicht wahr?“ Nein! „Das bin ich wirklich“, sagt er. Unsere Zeit ist fast vorbei, da höre ich mich sagen: „Ich habe als Kind einen Ihrer Monologe aus Mondsüchtig nachgespielt.“
„Das würde ich gerne sehen!“, sagt er und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Zwei Kellner sind in der Nähe, auch jemand aus der PR-Abteilung. Die Leute an den Nebentischen schauen zu uns herüber. „Machen Sie!“, sagt er. Und so nehme ich all das zusammen, was ich über die Jahre von Cage gelernt habe. „Ich bin kein verkrüppeltes Denkmal für Gerechtigkeit!“, rufe ich hier im Savoy Hotel und halte den ganzen verdammten Monolog. Auf halber Strecke fällt er mir ein. „Sie haben mich wieder daran erinnert! Das war fantastisch!“
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