Das Ende eines ethischen Dilemmas

Stammzellenforschung Britischen und kanadischen Wissenschaftlern ist es gelungen, eine sehr große Menge von Stammzellen herzustellen, ohne dafür menschliche Embryonen zerstören zu müssen

Sie reprogrammierten die Hautzellen von Erwachsenen und verwandelten sie zurück in eine Stammzelle. Die als „Durchbruch“ gefeierte Forschungsleistung begrüßten auch Pro-Life-Organisationen und forderten gleichzeitig, umgehend alle Experimente mit embryonalen Stammzellen einzustellen.

Ian Wilmut, der Schöpfer des Klonschafs „Dolly“, leitete die am MRC Centre for Regenerative Medicine der Universität Edinburgh durchgeführten Versuche .„Dies ist ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung. Das Team hat großartige Fortschritte erzielt. Wenn man die Ergebnisse mit anderen Arbeiten zur Ausdifferenzierung von Stammzellen verbindet, besteht die Hoffnung, dass die Versprechen der regenerativen Medizin bald eingelöst werden können.“

Stammzellen besitzen die Möglichkeit, in Körpergewebe jedweder Art umwandelt zu werden, was zu der Hoffnung veranlasst hat, mit ihrer Hilfe „Ersatzteile“ herzustellen, um kranke oder beschädigte Organe zu ersetzen. Damit stünde eine Therapie für Krankheiten wie Parkinson, Diabetes und Rückenmarksverletzungen zur Verfügung. Weil es sich dabei um Zellen der betroffenen Patienten mit derselben DNA handelt, besteht kein Risiko, dass das Gewebe vom Immunsystem abgestoßen wird.

Schon im Jahre 2007 gelang es Wissenschaftlern in Japan und den USA, durch die Injektion eines Virus Hautzellen zu Stammzellen zurück zu verwandeln. Dabei setzten sie Viren als Genfähren ein, die die vier für die Reprogrammierung notwendigen Gene in die Hautzelle einschleusten. Allerdings barg dieses Verfahren ein erhebliches Krebsrisiko und schien für die Anwendung beim Menschen ungeeignet.

Dieses Hindernis haben die Forscher nun überwunden. In Wissenschaftsmagazin „Nature“ beschrieben Keisuke Kaji (Edinburgh) und Andras Nagy (Toronto), wie sie die Zellen mittels einer Technik namens „Elektroporation“ neu programmierten. Statt mittels viraler Genfähren brachten sie die Gene mit Hilfe eines DNS-Stranges in die Zelle ein. Nachdem diese dort ihre Arbeit verrichtet hatten, schnitten die Wissenschaftler sie mit einer natürlichen Genschere wieder heraus, ohne die Zellen zu beschädigen. Damit ist die so genannte induzierte pluripotente Stammzelltherapie zu einer realistischen Perspektive geworden.

Bei Versuchen mit den Körperzellen von Menschen und Mäusen zeigte sich, dass sich die Zellen ebenso verhielten wie embryonale Stammzellen. „Ich war sehr aufgeregt, als ich stammzellähnliche Zellen in den Reagenzgläsern mit meinen Kulturen entdeckte. Niemand hätte das für möglich gehalten, auch ich nicht!“, sagte Kaji. „Das ist ein Schritt hin zur praktischen Anwendung reprogrammierter Zellen in der Medizin, durch den es vielleicht sogar überflüssig wird, auf menschliche Embryonen zurückzugreifen, um Stammzellen zu gewinnen. Wir hoffen, dass auf Grundlage dieser Stammzellen viele Krankheiten behandelt werden können, die gegenwärtig noch unheilbar sind. Wir haben eine hocheffiziente und sichere Methode gefunden, neue Zellen für den menschlichen Körper herzustellen, die nicht Gefahr laufen, vom Immunsystem abgestoßen zu werden.“

Ian Wilmuts zufolge könnte es noch einige Zeit dauern, bis solche Zellen bei Patienten eingesetzt werden können, denn noch müssen verlässliche Methoden entwickeln werden, um aus den gewonnenen Stammzellen unterschiedliches Gewebe herzustellen.


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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Ian Sample, The Guardian | The Guardian

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