Das Familien-Kreuz

Wahlverhalten Sozialwissenschaftler wollen herausgefunden haben: Wer viele Töchter hat, wählt eher linksorientierte Parteien. Seltsam, dass dem ausgerechnet Biologen widersprechen

Lange bevor er selbst ein ganzes Rudel Kinder hatte, brach der Schauspieler Brad Pitt einmal zur besten Sendezeit im amerikanischen Fernsehen in Tränen aus, als er darüber sprach, wie sehr er sich eine Tochter wünschte: „Kleine Mädchen haben es mir einfach angetan – sie brechen mir das Herz,“ schluchzte er.

Mit nunmehr drei Töchtern – und drei Söhnen – hat Pitt seinen Traum allemal wahr gemacht und wird nun reichlich Gelegenheit haben, mit der Macht kleiner Mädchen über ihre Väter Bekanntschaft zu machen. Auch der maskulinste Mann wird lernen, die Farbe rosa zu lieben, endlos „Verkleiden“ und „Schönmachen“ zu spielen und sogar zuckergussüberzogene Törtchen zu backen, wenn es das ist, was seine kleine Prinzessin begehrt.

Neuen Untersuchungen zufolge üben Töchter aber noch tiefgreifenderen Einfluss auf ihre Papis aus. Väter, so sagen Andrew Oswald von der britischen Warwick University und Nattavudh Powdthave von der York University, ändern für ihre Töchter ihre politische Orientierung. Anhand der Ergebnisse der "British Household Panel Survey" sind die beiden Ökonomen zu dem Schluss gekommen, dass Väter umso wahrscheinlicher die britische Labour-Partei oder die Liberal Democrats wählen, je mehr Töchter es in ihrem Haushalt gibt.

Frauen-Überschuss

In einem bislang unveröffentlichten Artikel, den die beiden bei einem Wirtschaftsjournal eingereicht haben, schreiben sie: „Das Papier bietet Belege, dass Töchter Menschen nach links tendieren lassen, Söhne hingegen nach rechts.“ Weiterhin spekulieren die Akademiker, dass die politische Ausrichtung links gesinnter Familien sich aus einer über mehrere Generationen hinweg bestehenden Überzahl weiblicher Familienmitglieder ergebe.

Im Vergleich zu Männern neigten Frauen eher zu einer Befürwortung höherer Steuern zur Finanzierung von Einrichtungen wie dem staatlichen Gesundheitswesen. Von höheren Steuern sind sie weniger betroffen, da ihr Einkommen meist niedriger ist. „Männer, die Kinder weiblichen Geschlechts bekommen“, so Oswald, „ändern allmählich ihre politische Einstellung und werden empfänglicher für den „weiblichen“ Wunsch nach [...] der Bereitstellung höherer Summen für das Allgemeinwohl. Sie werden „linker“. Genauso werden Mütter mit Söhnen empfänglicher für die „männliche“ Forderung nach niedrigeren Steuern und geringerer Unterstützung öffentlicher Versorgung. Politische Einstellungen entstehen viel weniger aufgrund unabhängiger Entscheidungen als die Leute meinen“, schreibt der Wissenschaftler.

Nun wird den Forschern vorgeworfen, geschlechtsspezifische Stereotype zu propagieren und die Vorstellung zu vertreten, Frauen unterstützten eher eine „weichere“ Politik als Männer. Doch entsprechen ihre Befunde Ergebnissen amerikanischer Forscher, die das Wahlverhalten amerikanischer Kongressabgeordneter unter die Lupe nahmen, bevor und nachdem diese Kinder bekommen hatten. In einem gemeinsamen Papier stellten die Soziologin Rebecca Warner von der Oregon State University und die Ökonomin Ebonya Washington von der Yale University fest, dass eine Politik, die auf eine Gleichberechtigung der Geschlechter ziele, unter Eltern mit Töchtern auf größere Unterstützung stoße. Dies treffe besonders auf Väter zu.

Mögliche Erklärungen

Die Autorinnen sehen eine mögliche Erklärung für diesen Umstand darin, dass die Eltern erheblichen Anteil am Leben und der Zukunft ihrer Kinder nehmen. Die erwarteten und tatsächlichen Schwierigkeiten, die auf ihre Kinder zukommen, sowie politische Programme, die sich mit diesen beschäftigen, erlangten für Eltern zunehmende Bedeutung.

Warner und Washington führen an, dass Eltern, die nur Töchter haben, eher feministische Ansichten verträten. Kongressabgeordnete mit Töchtern neigten dazu, bei Themen wie Reproduktionsrechten, Erhältlichkeit von Verhütungsmitteln für Teenager, flexiblen Arbeitszeiten für Familien mit berufstätigen Eltern und Bildung ein liberaleres Abstimmungsverhalten zu zeigen. Oswald sagt hierzu: „Ich behaupte, dass diese Ergebnisse sich auf die Wahl von Parteien übertragen lassen. Wir dokumentieren Belege, dass Töchter Menschen dazu bringen, mehr mit linken Parteien zu sympathisieren, wohingegen die Geburt von Söhnen die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen scheint, dass die Leute eine Partei aus dem rechten Flügel wählen.“

Oswald fand heraus, dass unter den Eltern, die links (Labour oder Liberal Democrats) gewählt hatten, die durchschnittliche Anzahl von Töchtern höher war, als die durchschnittliche Anzahl der Söhne. Unter den Eltern mit drei Söhnen und keinen Töchtern, wählten 67 Prozent links. In Haushalten ohne Söhne und mit drei Töchtern, lag der Anteil bei 77 Prozent.

Biologie und Stereotypen

Margaret McAllister, die sich als Psychologin in den zurückliegenden 25 Jahren auf die kindliche Entwicklung und das Funktionieren von Familien spezialisiert hat, meint, solche Studien offenbarten, dass bei der Entstehung der persönlichen und politischen Ansichten eines Menschen der häuslichen Umgebung mehr Bedeutung zukomme, als dem Arbeitsumfeld oder sozialen Einflüssen. „Es macht Sinn, dass Eltern, die Kinder eines bestimmten Geschlechts haben, Themen, die dieses Geschlecht betreffen, eher mit erhöhtem Bewusstsein und erhöhter Empfänglichkeit und Sensibilität gegenüber stehen.“

Der Biologe Arthur Mayne, selbst Vater dreier Söhne im Alter von 12 bis 18 Jahren, ist da jedoch anderer Meinung: „Es handelt sich hierbei um einen simplifizierenden wissenschaftlichen Ansatz, dem man eine Stereotypisierung der Geschlechter vorwerfen könnte. Besonders wenn es um die Vorstellung geht, Frauen seien politisch „softer“ als Männer“, hält er entgegen. „Während es stimmt, das Männer biologisch das Geschlecht ihrer Kinder bestimmen, scheinen aktuelle Studien zu belegen, dass Frauen mit einem höheren Testosteronspiegel – die eher dominantes und aktives Verhalten aufweisen – mehr Söhne als Töchter zu gebären scheinen.“

„Frauen mit niedrigerem Testosteronspiegel, die mit größerer Wahrscheinlichkeit einfühlsam sind und besser zuhören können, neigen dazu, mehr Töchter zu produzieren. Es könnte sein, dass Frauen, die mit größerer Wahrscheinlichkeit Töchter produzieren, eher einen Partner wählen, der ihrer einfühlsamen Herangehensweise an das Leben näher steht. Somit zeugen Menschen, die ohnehin eher liberal sind, mehr Töchter und Menschen, die sowieso eher konservativ sind, mehr Söhne.“

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Gekürzte Fassung. Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Amelia Hill, The Observer | The Guardian

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