Über dem Tor von Auschwitz standen die Worte „Arbeit macht frei“. Über dem Tor des Solowezki-Lagers in Lenins Gulag: „Freiheit durch Arbeit“. Über dem Tor des Internierungslagers Ngenya, das die Briten in Kenia betrieben: „Arbeit und Freiheit“. Die Entmenschlichung scheint einem beinahe unaufhaltsamen Kurs zu folgen.
Vergangene Woche setzten drei ältere Kenianer das Recht durch, die britische Regierung zu verklagen für die Folter, die sie in deren Kikuyu-Internierungslagern in den fünfziger Jahren erlitten hatten, darunter Kastrationen, Schläge und Vergewaltigungen.
Mehrere Zehntausend wurden in den Lagern inhaftiert und gefoltert. Ich werde Ihnen die Details nicht ersparen: Wir haben uns die Details viel zu lange erspart. Eine große Zahl von Männern wurde mit Zangen kastriert. Andere wurden vergewaltigt, zuweilen unter Einsatz von Messern, zerbrochenen Flaschen, Gewehrläufen und Skorpionen. Frauen wurden ähnliche Instrumente in die Vagina gezwängt. Die Wächter und Beamten schnitten Ohren und Finger ab, stachen Augen aus, verstümmelten die Brüste von Frauen mit Zangen, übergossen Menschen mit Paraffin und setzten sie in Brand. Unzählige Tausende starben.
Gewalt und Willkür
Das in diesem April enthüllte geheime Regierungsarchiv zeigt, dass der Generalstaatsanwalt, der Kolonialgouverneur und der Kolonialminister wussten, was geschah. Der Gouverneur stellte sicher, dass die Täter rechtliche Immunität genossen. Das schloss jene britischen Beamten ein, die ihm gemeldet worden waren, weil sie Gefangene lebendig verbrannt hatten. Der Kolonialminister log fortwährend öffentlich.
Wenig unterscheidet das britische imperiale Projekt von allen anderen. In allen Fällen bestand der Zweck des Imperiums in Plünderung, Land und Arbeit. Wenn Menschen Widerstand leisteten (wie es einige Kikuyu während der Mau-Mau-Rebellion taten), war die Antwort überall dieselbe: extreme und willkürliche Gewalt, die der Öffentlichkeit durch Distanz und offizielle Lügen verborgen blieb.
Mehrere Regierungen in Folge haben versucht, den Kikuyu Gerechtigkeit zu verwehren. Sie zerstörten die meisten Dokumente, logen über die Existenz der restlichen und versuchten, den Fall aus formalen Gründen abweisen zu lassen.
Ihr Umgang mit dieser Angelegenheit und die weit verbreitete britische Verleugnung der Geschehnisse in Kenia spiegeln wider, wie dieses Land durch seine Kolonialgeschichte brutalisiert wurde. Das Empire fügte den imperialen Nationen beinahe ebenso viel Schaden zu wie den unterworfenen Völkern.
Ausgewachsener Rassismus
Sven Lindqvist zeigt in seinem Buch Durch das Herz der Finsternis, wie die Ideologie, die zu Hitlers Krieg und dem Holocaust führte, von den Kolonialmächten entwickelt wurde. Der Imperialismus bedurfte eines Entlastungsmythos’. Er wurde hauptsächlich von britischen Theoretikern geliefert.
Im Jahr 1799 begann Charles White die Europäer als anderen Völkern von Natur aus überlegen auszuweisen. Bis 1850 hatte der in Ungnade gefallene Anatom Robert Knox dieses Motiv zu einem ausgewachsenen Rassismus entwickelt. Sein Buch The Races of Man behauptet, dass dunkelhäutige Menschen dazu bestimmt wären, von den „helleren Rassen“ versklavt und dann ausgelöscht zu werden. Mit dunkel war fast jeder gemeint: „Welch ein Feld der Ausrottung liegt vor den sächsischen, keltischen und sarmatischen Rassen!“
So merkwürdig sie klingen mag, dominierte diese Sicht doch bald das britische Denken. Gemeinsam mit der Mehrheit der politischen Klasse betrachteten W. Winwood Reade, Alfred Russell Wallace, Herbert Spencer, Frederick Farrar, Francis Galton, Benjamin Kidd und sogar Charles Darwin die Ausrottung dunkelhäutiger Menschen als ein unabwendbares Naturgesetz. Einige von ihnen argumentierten, die Europäer hätten eine Pflicht, das zu beschleunigen: sowohl um die Integrität der Art zu bewahren, als auch um die unterlegenen „Rassen“ aus ihrem Elend zu befreien.
In Deutschland aufgegriffen
Diese Motive wurden von deutschen Theoretikern aufgegriffen. Im Jahr 1893 behauptete Alexander Tille, indem er sich auf britische Autoren stützte, „es ist das Recht der stärkeren Rasse, die niedrigere zu vernichten.“ Friedrich Ratzel argumentierte 1901 in Der Lebensraum, Deutschland habe, wie die Europäer in den Amerikas, das Recht und die Pflicht, die „primitiven Völker“ zu vertreiben.
In Mein Kampf erklärte Hitler, die Ostausdehnung des Deutschen Reiches würde die Erweiterung britischer Interessen nach Westen und Süden spiegeln. Er systematisierte und industrialisierte, was imperiale Nationen seit fünf Jahrhunderten getan hatten. Der Maßstab war größer, der Schauplatz ein anderer, die Ideologie weitgehend dieselbe.
Ich glaube, die Brutalisierung des Empire machte auch das sinnlose Gemetzel des Ersten Weltkriegs möglich. Eine herrschende Klasse, die ihre Gefühle in einem solchen Maße abgeschaltet hatte, dass sie in den 1870er Jahren eine Hungersnot in Indien herbeiführen konnte, bei der zwischen zwölf und 29 Millionen Menschen starben, war zu beinahe allem fähig. Das Empire hatte nicht nur die Langstreckenwaffen erprobt, die in Nordfrankreich eingesetzt werden würden, sondern auch die Ideen.
Koloniales Erbe
Auch haben wir sie nicht völlig aufgegeben. In einem Kommentar zum Kikuyu-Fall in der Daily Mail griff Max Hastings die Kläger an, sie seien nach London gekommen, „um unser geistesschwaches Justizsystem auszubeuten.“ Sie anzuhören „stellt eine Übung in staatlichem Masochismus dar.“ Ich vermute, wären Mitglieder von Hastings Club so behandelt worden wie die Kikuyu, würde er von den Dächern nach Wiedergutmachung schreien. Aber Kenianer bleiben, wie es die koloniale Logik verlangte, die Anderen, bar jener Eigenschaften und Gefühle, die unsere gemeinsame Menschlichkeit begründen.
In den Augen weiter Teile der Elite gilt das auch für Sozialhilfeempfänger, „Problemfamilien“, Muslime und Asylbewerber. Der für das koloniale Projekt so notwendige Prozess der Entmenschlichung verlagert sich nach Innen. Bis diese Nation bereit ist, zu erkennen, was geschah und wie es gerechtfertigt wurde, wird Großbritannien genau wie die Länder, die es besetzte, vom Imperialismus verschandelt bleiben.
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