Ein feuerroter Elektrozug rattert zwischen Paris, Verona und Grenada hin und her. Dann saust er über die Budapester Freiheitsbrücke bis zum Heidelberger Schloss, quer durch das 120 Hektar große Fantasie-Gewerbegebiet, das sich der chinesische Milliardär Ren Zhengfei erträumt hat.
Der 74-jährige Ren, ehemals Ingenieur der Roten Armee, hat 1987 das Telekommunikationsunternehmen Huawei gegründet und hält heute noch immer einen Anteil von 1,14 Prozent daran; er beauftragte den japanischen Architekten Kengo Kuma, in Dongguan im Süden Chinas, eine Art Euro-Disney-Themenpark mit Nachbauten der bekanntesten europäischen Wahrzeichen und Kulturdenkmäler zu errichten. Der Zweck des Ganzen? Die 25.000 Forschungs- und Entwicklungsmitarbeiter von Huawei dazu zu motivieren, mit Apple, Google und Samsung gleichzuziehen.
Während Huaweis amerikanische Konkurrenten ihre Forschungseinrichtungen abschirmen, um sich gegen Unternehmensspionage abzusichern, deren sie China des Öfteren bezichtigen, hat Huawei Medienvertreter in seine Labore und Fabriken eingeladen. Ziel: Die Anschuldigungen der US-Regierung zu zerstreuen, das in Privatbesitz befindliche Unternehmen sei in Wahrheit ein williges Werkzeug der chinesischen Regierung, die sich seiner Technologie bediene, um westliche Regierungen und Unternehmen zu hacken.
US-Politiker warnen davor, dass die bald kommenden 5G-Mobilfunknetze Huaweis von chinesischen Spionen gehackt werden könnten, um Telefongespräche abzuhören, Zugang zu Staatsgeheimnissen zu erhalten – und möglicherweise sogar Zielpersonen dadurch zu töten, dass sie in selbstfahrenden Autos verunglücken. Verbündete der USA, die in ihren 5G-Netzwerken Huawei-Technologie zulassen, warnte man, dass sie nicht mehr mit der Weitergabe von Geheimdienstinformationen aus den USA rechnen können.
Ein Handy pro Sekunde
Ende 2018 wurde Rens Tochter Meng Wanzhou – sie ist Finanzvorstand bei Huawei – auf Betreiben der USA in Vancouver verhaftet, weil Huawei gegen die US-Sanktionen gegen Iran verstoßen haben soll. Sie steht bis zu einer Entscheidung über ihre Auslieferung an die USA unter Hausarrest. Huawei bestreitet die Anschuldigungen.
„Wir haben mehr als ein Jahrzehnt lang versucht, mit der US-Regierung zu kommunizieren und ihr zu zeigen, was für ein Unternehmen Huawei wirklich ist“, sagt Catherine Chen, Aufsichtsratsvorsitzende und Senior Vice President bei Huawei. „Jetzt ist es an der Zeit, dass die US-Regierung die Beweise und Fakten vorlegt, auf die sich ihre Behauptungen gründen.“
Chen, die seit 25 Jahren für Huawei arbeitet, sagt, die Firma habe versucht, einen öffentlich ausgetragenen Konflikt mit der US-Regierung zu vermeiden, sei aber bereit, zu kämpfen, wenn es sein müsse. „Die US-Regierung bedient sich ihrer Ressourcen, politisch wie diplomatisch, um Huawei schlechtzumachen“, sagte sie, „das ist geschäftsschädigend. Es ist ziemlich selten, dass Firmen so behandelt werden.“
Die Taktik von Huawei ist recht unchinesisch: Dutzende ausländische Medienvertreter einzuladen, sich bislang geheime Büros anzusehen und Huaweis Führungskräfte zu befragen. Zusätzlich ließ es sich das Unternehmen Hunderttausende Euro kosten, Dutzende von Journalisten aus Europa, Australien, Indien, Afrika und Südamerika zu einer Konferenz einzufliegen.

Foto: Kevin Frayer/Getty Images
Huaweis neuer Dongguan-Campus, der 10 Milliarden Yuan (rund 1,3 Milliarden Euro) gekostet hat, ist so groß wie 140 Fußballfelder. Nach Fertigstellung soll es 22 Minuten dauern, per Zug alle zwölf „Städte“ zu bereisen, vorbei an Unterkünften für mehrere tausend Arbeiter.
Als die Straßenbahn gegen Mittag die Haltestelle „Heidelberg“ erreicht, verlassen gerade Dutzende von Angestellten – die meisten in Jeans, T-Shirts und Kapuzenpullis, genau wie ihre Artgenossen im Silicon Valley – das Heidelberger Schloss und machen sich zum Mittagessen in einer der 24 Kantinen auf.
In einer nahe gelegenen Smartphone-Fabrik sind die Arbeiter einheitlich gekleidet – weiße Laborkittel, schwarze Schuhe und Kappen in drei Farben: Weiß für Anlagenbediener, Rosa für Qualitätskontrolleure und Blau für technische Ingenieure. In den letzten Jahren hat sich die Anzahl der weißen Kappen drastisch verringert, da Huawei bestrebt ist, die Anzahl der Geringqualifizierten unter seinen 188.000 Mitarbeitern zu reduzieren.
Auf der Fertigungsstraße, die zur Besichtigung offensteht, sind – im Vergleich zu 86 vor sechs Jahren – nur noch 17 Mitarbeiter beschäftigt, da Roboter immer mehr einfache Aufgaben übernommen haben. Ein Arbeiter wurde abgelöst, heißt es, nachdem er seinen Vorgesetzten vorgeschlagen hatte, dass ein einfacher Roboter seine Arbeit besser machen könne als er. Er sei dann in eine Problemlösungseinheit befördert worden. Ein Teamleiter in der Fabrik sagt, die Arbeiter verdienen mindestens 10.000 Yuan pro Monat, das sind 1.200 Euro, etwa 50 Prozent mehr als Arbeiter bei Mitbewerbern in vergleichbaren Tätigkeiten.
Am Anfang einer Fertigungsstraße, die heute das P20-Smartphone von Huawei produziert, werden gerade Mikrochip-Komponenten auf langen Bandspulen in Maschinen eingespeist und von Robotern auf Leiterplatten befestigt. Etwa 2.500 Komponenten werden auf die Platten gelötet, mit Kameras, Mikrofonen, Batterien und Glasschirmen verbunden, bevor sie zweieinhalb Stunden später am anderen Ende als ein vollständig geformtes Telefon wieder auftauchen.
Weitere 11,5 Stunden dauert das Testen der fertigen Handys, zum größten Teil von Robotern durchgeführt. Jedes Fließband spuckt alle 28,5 Sekunden ein neues Telefon aus. Wenn alle Fertigungsstraßen gleichzeitig in Betrieb sind, produziert das Unternehmen ein Telefon pro Sekunde.
Während Apple im Januar aufgrund der schwachen Nachfrage nach seinen iPhones in China zur ersten Umsatzwarnung seit über zehn Jahren gezwungen war, wächst Huawei rasant. Der Erfolg seiner Smartphones, die deutlich billiger sind als Apples, verhalf Huawei im vergangenen Jahr zu einem Umsatzsprung von 20 Prozent auf 93 Milliarden Euro. Die Gewinne stiegen um 25 Prozent auf 7,6 Milliarden Euro.
Das lohnt sich auch für Ren Zhengfei, den Firmengründer. Laut Forbes liegt er in der Reichenliste Chinas an 83. Stelle, mit einem persönlichen Vermögen von 1,7 Milliarden Euro.
Ist mein Huawei-Handy jetzt Schrott?

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Wegen der Sperrung von Huawei kündigte Google zunächst an, keine Software mehr an Huawei zu liefern. Jetzt gilt das erst in 90 Tagen.
Huawei verwendet Android als Betriebssystem seiner Handys, Google wird nun gezwungen, Huawei von jenen Google-Diensten abzuschneiden, die Teil der Android-Smartphones sind. Betroffen sind auch Software-Updates.
Heißt das, Huawei-Handys können Android nicht länger benutzen?
Nein. Das zugrunde liegende Android-Betriebssystem ist eine freie Software des Android Open Source Project (AOSP). Aber AOSP erhielt bisher seine Updates zusammen mit der jeweiligen Google-Android-Version. In Zukunft muss Huawei – wie schon in China – seine eigenen Updates ausliefern.
Werde ich den Zugang zu Google-Diensten verlieren?
Nein. Google, der Google-Assistent und diverse Google-Apps werden auch weiterhin auf den bestehenden Smartphones funktionieren.
Bekomme ich keine App-Updates mehr?
Doch. App-Updates laufen im Westen über Google Play und werden auch weiterhin bei bestehenden Smartphones ankommen.
Was kann Huawei tun?
Huawei hat vor längerer Zeit angekündigt, an einem eigenen Betriebssystem zu arbeiten. Aber ein Smartphone ohne Google-Dienste außerhalb von China zu verkaufen, wird schwierig. Die Sperre wird wahrscheinlich auch die Computersparte treffen und es erforderlich machen, dass Huawei eigene Chips baut, um Intel & Co. zu ersetzen.
Was ist mit Updates für das Android-Betriebssystem?
Da wird es knifflig. Huawei kann zukünftig Android-Updates über AOSP abwickeln, aber es wird den Zugang zu den neuen Versionen von Google verlieren. Bisher stellt Huawei die Updates mit einigen Monaten Verzögerung bereit, es kann sein, dass es nun zusätzliche Verzögerungen gibt.
Was heißt das für Huawei?
Das Unternehmen hat im ersten Quartal dieses Jahres mehr als 59 Millionen Smartphones mit einem Android-Betriebssystem verschifft. China macht die Hälfte des Absatzmarktes für Huawei-Smartphones aus, was heißt, dass die andere Hälfte seiner Kunden auf dem Spiel steht.
Kann ich mein Huawei-Handy überhaupt noch länger benutzen?
Ja. Wenn man bereits ein Huawei-Smartphone hat, ist es wie gewohnt nutzbar. Huawei hat angekündigt, dass es Sicherheits-Updates und Kundendienste für alle Huawei- und Honor-Smartphones und -Tablets anbieten wird, für bereits verkaufte wie auch für die auf dem Markt.
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