Letzte Woche wurde in Oxford im Rahmen der ersten am Menschen durchgeführten europäischen Studie den ersten Probanden ein potenzieller Coronavirus-Impfstoff gespritzt. Zur gleichen Zeit erhielt das pakistanische National Institute of Health ein Angebot des chinesischen Pharmaunternehmens Sinopharm International Corp. zur Teilnahme an einer Versuchsreihe mit einem weiteren potenziellen Coronavirus-Impfstoff.
Die beiden Ereignisse zeigen zwei Aspekte des globalen Prozesses der Arzneimittelerprobung und -entwicklung auf. Auf der einen Seite stehen der Einfallsreichtum und die Tatkraft, die es ermöglichen, einen potenziellen Impfstoff in einem Bruchteil der Zeit zu entwickeln, die normalerweise benötigt wird, sowie der Mut und die Selbstlosigkeit der Freiwilligen, die ihre Gesundheit riskieren, um ihn zu testen. Auf der anderen Seite steht die zunehmende Nutzung ärmerer Länder als Testgelände für neue Medikamente in Versuchen, bei denen die Probanden aufgrund von Armut und fehlendem Zugang zur Gesundheitsversorgung oft kaum eine Wahl haben, ob sie teilnehmen wollen oder nicht.
Die Einzelheiten der vorgeschlagenen chinesischen Studie sind noch unklar, aber sie ist Teil dessen, was viele als „Globalisierung klinischer Studien“ bezeichnen. Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts wurden praktisch alle klinischen Versuche westlicher Pharmaunternehmen in Europa oder Amerika durchgeführt und für die Mehrheit gilt dies auch heute noch. Doch in den letzten 20 Jahren haben US-amerikanische, europäische und zunehmend auch chinesische Unternehmen Versuche in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen ausgelagert. Im Jahr 2017 wurden 90 % der von der US Food and Drugs Agency zugelassenen neuen Medikamente zumindest teilweise außerhalb der USA und Kanadas getestet. In einer Zeit, in der so viel Aufmerksamkeit – und Hoffnung – auf die Möglichkeiten eines Covid-19-Impfstoffs gerichtet sind, lohnt es sich, daran zu erinnern, was die Entwicklung von Medikamenten für den größten Teil der Welt bedeutet.
Die Gründe für die Durchführung von Tests im Ausland sind nicht schwer auszumachen. In Ländern mit niedrigerem Einkommen sind die Bestimmungen lockerer, das Personal billiger und die Probanden leichter zu finden, wodurch die Kosten um 30-40 % gesenkt werden.
Kosten und Gewinne stehen im Vordergrund – nicht die Gesundheit der lokalen Bevölkerung
Nehmen Sie Indien. Es hat eine riesige Bevölkerung, ein enormes Maß an Armut, fast 20 % der weltweiten Krankheitsbelastung und eine miserable Gesundheitsinfrastruktur. Es verfügt auch über gut ausgebildete Wissenschaftler*innen und Mediziner*innen, qualifiziertes technisches Personal und gute Laboratorien. Infolgedessen wurde der Subkontinent im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts für viele Pharmaunternehmen zum armen Land ihrer Wahl. Der Anteil der in Indien durchgeführten weltweiten klinischen Studien stieg von weniger als 1 % im Jahr 2008 auf 5 % sechs Jahre später – und liegt damit fast gleichauf mit Großbritannien.
Die Globalisierung der klinischen Forschung hat viele potenzielle Vorteile. Sie könnte dazu beitragen, Krankheiten zu bekämpfen, die lange Zeit ignoriert wurden, medizinische und wissenschaftliche Innovationen in nicht-westlichen Ländern zu entwickeln, deren Gesundheitsinfrastruktur zu verbessern und die Vielfalt der Versuchspersonen und damit die Qualität des Endprodukts zu erhöhen. In Wirklichkeit ist davon viel zu wenig geschehen, denn wenn klinische Studien im Ausland durchgeführt werden, steht nicht das Wohlergehen der Versuchspersonen oder die Gesundheit der lokalen Bevölkerung im Mittelpunkt, sondern die Notwendigkeit, Kosten zu senken und Gewinne zu erzielen.
Ethische Richtlinien für klinische Forschung verlangen in der Regel, dass die teilnehmenden Patient*innen Zugang zu der besten verfügbaren Behandlung für ihre Erkrankung haben. Aber in armen Ländern ist die Tatsache, dass die Menschen arm sind, oft ein Vorwand für Forscher gewesen, solche Überlegungen beiseite zu schieben.
Ein besonders eklatanter Fall war in den 1990er Jahren die Behandlung von HIV. Damals bestand die Standardbehandlung zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung der Immunschwächekrankheit in einer Behandlung mit dem Medikament AZT. Da dieses teuer war, wollten die Forscher*innen sehen, ob andere Behandlungsmethoden funktionieren würden.
Geforscht wird an den Krankheiten der Reichen, nicht der Armen
Im Westen hätte die Kontrollgruppe in solchen Studien die normale Behandlung mit AZT erhalten. In einer Reihe von Studien in Afrika und Asien erhielt die Kontrollgruppe jedoch kein AZT, sondern ein Placebo, mit der Begründung, dass arme Menschen normalerweise ohnehin keine Behandlung erhalten hätten. Hunderte von Babys wurden mit Aids infiziert geboren, als sie vielleicht noch frei von dem Virus gewesen waren. Wie Sonia Shah in ihrem Buch The Body Hunters schrieb: „Anstatt daran zu arbeiten, die unvermeidlichen Barrieren von Armut und Ungleichheit zu überwinden, sahen sich viele Aids-Forscher gezwungen, sich mit diesen zu arrangieren und sie sogar auszunutzen.“ Das ist nach wie vor allzu oft der Fall.
In Indien wurden viele arme Menschen für Versuche rekrutiert, ohne zu wissen, dass sie an Experimenten teilnahmen. Tausende starben, doch da keine ordnungsgemäßen Aufzeichnungen gemacht wurden, ist die wahre Zahl unbekannt. Daten der Regierung deuten auf 2.868 Todesfälle zwischen 2005 und 2012 und weitere 2.209 zwischen 2013 und 2015 hin. Andere lassen vermuten, dass die Gesamtzahl viel höher liegen könnte. Die Skandale, Gerichtsurteile und die Kontrolle durch das Parlament führten zu einer Verschärfung der Vorschriften. Dies wiederum bewirkte den Rückzug der Pharmakonzerne aus Indien und zwang die Regierung, die Vorschriften erneut zu lockern.
Ebenso beunruhigend ist, dass klinische Studien in armen Ländern selten lokale Gesundheitsprobleme behandeln. Jedes Jahr fordern Infektionskrankheiten in Indien einen verheerenden Tribut: 440.000 Menschen sterben jährlich an Tuberkulose. Zum Vergleich: Weltweit sind bisher mehr als 190.000 Menschen an Covid-19 gestorben. Doch nur 0,7 % der klinischen Studien in Indien zielen auf Tuberkulose ab. Bei Kindern sind die größten Todesursachen Durchfallerkrankungen, aber weniger als 1 % der Studien betreffen Magen-Darm-Infektionen.
Mehr als 12 % der klinischen Studien in Indien zielen dagegen darauf ab, Heilungsmöglichkeiten für Krebs zu finden. Das sind wiederum halb so viele wie die Gesamtzahl der Studien, die zur Erforschung und Heilung von Infektionskrankheiten auf den Weg gebracht werden. Tatsächlich gibt es in Indien mehr Studien zur Untersuchung von Hautproblemen, auch für die Entwicklung von Kosmetika, als für Infektionskrankheiten. Es ist wichtig, dass Krebs und Hautprobleme erforscht werden, aber das sind Erkrankungen, von denen die reichen Nationen – und die Reichen in Indien – stärker betroffen sind. Die Probleme, die in erster Linie die Armen betreffen, werden nach wie vor weitgehend ignoriert. Weltweit werden Krankheiten, die für reiche Industrienationen relevant sind, in klinischen Studien sieben- bis achtmal häufiger untersucht als Krankheiten, von denen hauptsächlich Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen betroffen sind.
Die Körper der Ärmsten ausgebeutet
Bei der Bekämpfung von Tuberkulose oder Durchfallerkrankungen ist der Gewinn gering. Bei der Heilung von Krebserkrankungen oder der Verbesserung von Kosmetika gibt es hingegen hohe Prämien. Und so werden die Körper der Ärmsten ausgebeutet, um die Leiden der wohlhabenden Reichen zu lindern.
Dieses oder nächstes Jahr werden wir, so hofft man, einen Impfstoff für Covid-19 finden. Nach dem Ende der Pandemie werden immer noch Millionen Menschen im globalen Süden sterben, weil es an grundlegenden Medikamenten und Forschung mangelt. Werden wir deren Leben ebenso ernst nehmen wie das Leben derer, die vom Coronavirus getroffen wurden? Werden wir die Art und Weise überdenken, wie die klinische Forschung durchgeführt wird und welche Prioritäten sie haben sollte? Oder werden wir weiterhin die Armen ignorieren und darauf beharren, dem Profit den Vorrang vor dem Menschen zu geben?
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