Carl Paladino stand auf dem Siegespodest und brüllte: „Jetzt weiß die regierende Klasse Bescheid. Sie haben es jetzt gesehen. Es gibt eine Revolution des Volkes.“ Paladino, Kandidat aus dem Lager der Tea-Party, wurde am 14. September von den New Yorker Republikanern für die Gouverneurswahlen nominiert. Seinen Kontrahenten – einen ehemaligen Kongressabgeordneten, der als eher moderat eingestuft wird – bezwang er klar. Zuvor war er mit einem Pitbull an seiner Seite auf Wahlkampftour durch den Staat getingelt und hatte versucht, seinen Herausforderer unter demagogischen Phrasen gegen den Bau des islamischen Zentrums in Manhattan zu begraben, Außerdem hatte er den jüdisch-orthodoxen Sprecher der legislativen Kammer des Unterhauses mit Hitler verglichen.
Immobilien-Mogul
Innerhalb der Tea Party, einer Bewegung der in etwa so viele Juden angehören wie al-Qaida, werden solche antisemitischen Äußerungen als nicht allzu große Beleidigung eingestuft. In anderer Hinsicht scheint Paladino sich jedoch weniger als Speerspitze dieser Revolution gegen den Staat zu eignen: Er ist ein millionenschwerer Immobilien-Mogul, der im Jahr mindestens zehn Millionen Dollar Umsatz damit macht, dass er an verschiedene Staatsagenturen Büros vermietet. Für manche Dinge ist die Regierung also doch gut ...
Es ist unwahrscheinlich, dass Paladino den Kandidaten der Demokraten, Andrew Cuomo, schlägt und Gouverneur von New York werden wird. Doch er exemplifiziert, was innerhalb der republikanischen Partei in diesem Jahr geschieht – ein Prozess, der durch Paladinos Erfolg und Christine O’Donnells Wahlsieg in Delaware Fahrt aufgenommen hat. Sie ist die achte Tea-Party-Rebellin, die bei den Vorwahlen für die Senatswahlen einen etablieren Kandidaten der Republikaner geschlagen hat. Ihr Sieg hat eine beispiellose Fehde zwischen Karl Rove (dem mächtigsten Berater des Weißen Hauses während der Präsidentschaft von George W. Bush) auf der einen und Rush Limbaugh und Sarah Palin auf der anderen Seite ausgelöst. Rove sagte, O’Donnell habe keine Chance im November. Limbaugh und Palin sind überzeugt, dass sie gewinnen kann. Rove ruderte schon am nächsten Tag zurück.
Die Demokraten haben die Woche damit verbracht, sich an O’Donnells Wahlerfolg zu erfreuen. Für die Medien war nicht nur abgemacht, dass die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewinnen, auch eine Mehrheit im Senat wurde unlängst als Option ins Spiel gebracht. Delaware zu gewinnen, wäre eine notwendige Komponente dieses Mixes gewesen. Doch jetzt ist dieses Gerede fürs Erste gestoppt.
Die wichtigere Frage lautet, wohin sich die Tea Party bewegt und wie tief ihr langfristiger Einfluss sein wird. Die optimistische Antwort lautet: Sollte sie bei den Midterm-Wahlen im November mittelprächtig abschneiden, die Wirtschaft sich erholen und Obamas Zustimmungswerte wieder auf über 50 Prozent klettern, während Sarah Palins Schau sich abzunutzen beginnt – dann wird 2010 als Zenit der Tea Party ausgeschöpft sein. Geht man vom negativsten Extrem aus, gilt es zu bedenken: Die Tendenz der Tea Party war in den USA immer existent. In den Anfangsjahren der Republik gab es die Anti-Föderalisten. Ihre Basis war der Süden. Sie verloren diverse Wahlen an Föderalisten unterschiedlicher Couleur, verursachten den Bürgerkrieg, verloren ihn und waren schließlich gezähmt. Ehe man sich’s versah, kam das 20. Jahrhundert und mit ihm die Urbanisierung und Industrialisierung. Die Wall Street löste die City of London als Erstwohnsitz des Weltkapitals ab, die USA stiegen zur Weltmacht auf.
Ihre Blütezeit
Dann kam der Kalte Krieg und mit ihm eine immense Machtkonzentration in Washington. Im Inland bot der moralische Kampf für die Rassengleichheit die perfekte Basis, um noch mehr Macht in Washington zu bündeln und diese Gleichheit durchzusetzen, denn viele Staaten waren nicht dazu bereit. Während all dieser Zeit waren die Vorgänger der Tea-Party-Anhänger eingekesselt und in der Unterzahl – und sie hielten den Mund.
Natürlich, die Reagan-Jahre waren gute Jahre für sie, die Bush-Jahre ebenso. Aber sehen wir den Tatsachen ins Gesicht: Die Obama-Jahre sind ihre Blütezeit. Was sie brauchten, waren eine Wirtschaftskatastrophe, gigantische Staatshilfen und – das vielleicht vor allem – einen Präsidenten, der ihnen durch und durch fremd war – der Amerikas Ruin und Verderbtheit für sie allein dadurch verkörpert, dass er auf diesem Posten sitzt. Damit sich die Tea Party wie ein Mann erheben konnten.
Mit Blick auf die Geschichte muss die Frage deshalb lauten: Ist die Tea-Party-Bewegung eine Eintagsfliege oder die historische Erfüllung eines Verlangens? Könnte sie mit Hilfe von Rupert Murdochs „Nachrichten“-Kanal, zum ständigen Inventar der amerikanischen Politik avancieren?
Sollte die Mehrheit ihrer acht Kandidaten am 2. November verlieren, würden die etablierteren Republikaner die Bewegung vermutlich an die Kandare nehmen. Ob sie das wirklich können, ist eine andere Frage. Unterdessen haben die Demokraten jetzt eine Möglichkeit, in diesem Jahr, das nicht allzu viel von ihnen gesehen hat, dafür zu sorgen, dass sich der politische Tratsch in Washington auf die Probleme der anderen Seite zu konzentriert, anstatt auf ihre eigenen. Die Demokraten haben eine Tendenz, nach den alten Regeln zu spielen: Schießt sich die andere Seite in den Fuß, dann unternehme nichts – sieh einfach unbeteiligt zu.
Übersetzung: Christine Käppeler
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