„Das müsste euch interessieren“

Edward Snowden sorgte für den größten Geheimdienstskandal der Geschichte. Dieser exklusive Auszug aus Luke Hardings neuem Buch erklärt, wie der Amerikaner zum Whistleblower wurde
Ausgabe 06/2014
„Das müsste euch interessieren“

Foto: Barton Gellman / Getty

Ende Dezember 2001 hatte jemand, der sich TheTrueHOOHA nannte, eine Frage. TheTrueHOOHA war ein 18-jähriger Amerikaner mit beeindruckenden IT-Fertigkeiten und scharfem Verstand. Seine wahre Identität blieb unbekannt. Alle Posts auf Ars Technica, einer beliebten Technologie-Website, waren anonym. TheTrueHOOHA wollte seinen eigenen Server einrichten. An einem Samstagmorgen kurz nach elf Uhr postete er: „Es ist mein erstes Mal. Seid sanft mit mir. Hier mein Dilemma: Ich möchte mein eigener Host sein. Was brauche ich?“

Bald schon häuften sich die Ratschläge. TheTrueHOOHA antwortete: „Ah, welch reicher Schatz an Nerdwissen ist Ars.“ Er wurde zum regelmäßigen Beiträger, verfasste in den nächsten acht Jahren annähernd 800 Kommentare. Sich selbst beschrieb er als „arbeitslos“, als gescheiterten Soldaten und „Systemeditor“, und gab an, er habe einen Passierschein vom US-Außenministerium.

Er kam aus Maryland, in der Nähe von Washington DC, doch mit Mitte 20 war er schon überall. Er tauchte in Europa auf. In Genf, London, Irland, Italien und Bosnien. Er reiste nach Indien. Ohne Universitätsabschluss wusste er erstaunlich viel über Computer. Politisch gab er den strammen Republikaner. Er glaubte fest an die individuelle Freiheit und nahm zum Beispiel australische Cannabis-Farmer in Schutz.

"Ich liebe meine Knarre wie mein Leben"

Manchmal wurde er fies. So nannte er einen Forumkollegen „Pimmel“, und wer seinen Friss-oder-Stirb-Ansichten zur sozialen Sicherheit widersprach, war für ihn ein „blöder Vollidiot“. Die Chat-Protokolle bieten eine bunte Themenpalette: Computerspiele, Mädchen, Sex, Japan, Aktien, sein Unglück mit der Armee, seine negativen Eindrücke vom multiethnischen England. Er war entsetzt von all den „Muslimen“ in East London: „Ich dachte, ich wäre im falschen Land aus dem Flugzeug gestiegen … es war zum Fürchten.“ Über die Freuden des Waffenbesitzes schrieb er im Jahr 2006: „Ich habe eine Walther P22. Meine einzige Knarre, aber ich liebe sie wie mein Leben.“ Diese Protokolle fügen sich nun auf ihre Art und Weise zu einem Bildungsroman.

Aber 2009 verebben die Einträge. Im Februar 2010 erwähnt TheTrueHOOHA etwas, das ihm Sorgen macht – die um sich greifende Überwachung: „Die Gesellschaft legt einen fraglosen Gehorsam gegenüber zwielichtigen Typen an den Tag … Sind wir da in etwas hineingeschlittert, was wir selbst hätten stoppen können? Oder war es ein recht plötzlicher Wetterwechsel, der unbemerkt blieb, weil die Regierung immer mehr geheim hält?“ Der letzte Post von TheTrueHOOHA ist vom 21. Mai 2012. Danach verschwindet er und wird zu einer verlorenen Identität in den Weiten des virtuellen Raums. Heute wissen wir, dass TheTrueHOOHA Edward Snowden war.

Ein Scheidungskind

Edward Joseph Snowden wurde am 21. Juni 1983 geboren. Sein Vater Lonnie und seine Mutter Elizabeth – Wendy genannt – waren ein Highschool-Pärchen und heirateten mit 18. Lon war Offizier bei der US-Küstenwache. Seine ersten Lebensjahre verbrachte Snowden in Elizabeth City, North Carolina. Er hat eine ältere Schwester, Jessica. Als er noch klein war, ein Junge mit dickem blondem Haar und breitem Lächeln, zog die Familie nach Maryland, in den Washingtoner Speckgürtel.

Sein Vater sagt, in der Schule ging es abwärts, als sein Sohn krank wurde, vermutlich Pfeiffersches Drüsenfieber, und „vier oder fünf Monate“ der Mittelstufe verpasste. Doch noch etwas anderes hielt ihn vom Lernen ab: Seine Eltern stritten andauernd. Er schaffte den Highschool-Abschluss nicht. Mit 16 Jahren, 1999 war das, schrieb er sich für die Computerklasse am Community College Anne Arundel ein.

Nach der Scheidung seiner Eltern lebte Snowden erst in einer Zweier-WG, später bei seiner Mutter in Ellicott City, westlich von Baltimore. Dort wuchs er quasi im Schatten der NSA auf. Von der Haustür seiner Mutter sind es 15 Minuten mit dem Auto und man ist da. Ein großes grünes würfelförmiges Gebäude, halb hinter Bäumen versteckt. Auf einem Schild an der Schnellstraße nach Washington steht „NSA nächste rechts. Nur für Mitarbeiter“. Im Geheimnispalast sind 40.000 Menschen beschäftigt. Die NSA ist der größte Arbeitgeber für Mathematiker in den USA.

Dass Snowden dort landete, war wenig wahrscheinlich. Mit Anfang 20 war er auf Computer fixiert. Das Internet war für ihn „die wichtigste Erfindung der Menschheitsgeschichte“. Er chattete mit Menschen „mit allen Arten von Meinungen, denen ich sonst nie begegnet wäre“. Er war nicht bloß ein Nerd. Er hielt sich mit Kung-Fu in Form und, so einer seiner Ars-Einträge, „ging mit asiatischen Mädchen aus“.

Freiwillig in den Irak

Der Einmarsch der Amerikaner in den Irak im Jahr 2003 bewog ihn, eine Militärkarriere in Betracht zu ziehen. „Ich wollte im Irakkrieg kämpfen“, sagte er, „weil ich es als menschliche Pflicht sah, bei der Befreiung von Unterdrückten zu helfen.“

Die Armee bot ein Programm für unerfahrene Rekruten an, sich als Elitesoldaten zu erproben. Im Mai 2004 trat Snowden seinen Dienst in Fort Benning, Georgia, an. Es war ein Desaster. Obwohl körperlich fit, taugte er nicht zum Soldaten, er war kurzsichtig und hatte ungewöhnlich schmale Füße. Bei der Infanterieausbildung brach er sich beide Beine. Noch gut einen Monat lang blieb die Sache in der Schwebe, dann wurde er aus der Armee entlassen.

Wieder in Maryland fand er 2005 einen Job als „Sicherheitsspezialist“ am Zentrum für fortgeschrittene Sprachstudien an der University of Maryland. Er scheint als Wachmann angefangen zu haben, kehrte dann aber zur IT zurück. Snowden arbeitete in einer verdeckten NSA-Einrichtung auf dem Campus. Vielleicht dank seiner kurzen Militärerfahrung war er in die Welt der US-Geheimdienste vorgedrungen, wenn auch auf einer niedrigen Stufe. Das Zentrum bot Sprachkurse für NSA-Mitarbeiter an.

Mitte 2006 kam Snowden an einen IT-Job bei der CIA. Schnell lernte er, dass seine außergewöhnlichen Computerfähigkeiten ihm lauter Türen bei der Regierung öffnen konnten. „Abschlüsse sind Dreck, jedenfalls hierzulande. Wenn du ‚wirklich’ 10 Jahre solider IT-Erfahrung nachweisen kannst, … KANNST du auch einen sehr gut bezahlten IT-Job kriegen“, postete er im Juli 2006.

2007 schickte ihn die CIA auf eine erste Auslandsreise nach Genf. Die Schweiz war Aufbruch und Abenteuer. Snowden war 24, er sollte die Absicherung des CIA-Computernetzwerks auf den neuesten Stand bringen und sich um die Sicherheit der Computer von US-Diplomaten kümmern. Zu seinen Aufgaben als sogenannter Telekom-Informationssystemoffizier zählte auch die Wartung der Klimaanlagen.

Reisen nach Europa

In Genf traf Snowden auf interessante Leute. Einmal nahm er einen estnischen Sänger namens Mel Kaldalu im Auto mit nach München. Sie hatten sich auf einer „Free Tibet“-Veranstaltung kennengelernt, und diskutierten stundenlang auf leeren Autobahnen. Snowden war dafür, dass die USA als Weltpolizist agieren sollten, Kaldalu widersprach. „Ed ist ein kluger Kerl“, sagt er, „vielleicht ein bisschen störrisch. Er ist unverblümt, er debattiert gerne. Hat seine eigenen Meinungen und bleibt dabei.“

Beide sprachen darüber, wie schwer es für Pro-Tibet-Aktivisten war, chinesische Visa zu bekommen. Snowden sah die Olympischen Spiele in Peking skeptisch, Kaldalu fand die israelische Besetzung der Palästinensergebiete fragwürdig. Snowden äußerte Verständnis, hielt aber die Unterstützung Israels für die „am wenigsten schlechte“ Option. Man diskutierte auch, wie der rasante digitale Wandel Demokratie und Selbstbestimmung beschädigen könnte.

Zu der Zeit sah Snowden seine politische Haltung am ehesten in Ron Paul verkörpert. Snowden unterstützte im Jahr 2008 dessen Präsidentschaftskandidatur für die Republikaner. Auch John McCain beeindruckte ihn, und obwohl Snowden kein Obama-Anhänger war, hatte er auch gegen ihn nichts einzuwenden.

Als Barack Obama allerdings Präsident wurde, entwickelte Snowden eine tiefe Abneigung gegen ihn. Er kritisierte die Versuche des Weißen Hauses, Sturmgewehre zu verbieten. Förderprogramme für Benachteiligte ließen ihn kalt. Besonders wütend aber machte ihn ein anderes Thema: Regierungsbeamte, die geheime Informationen an Zeitungen weitergaben – für ihn das schlimmste denkbare Verbrechen.

"Sie veröffentlichen Geheimscheiß"

Im Januar 2009 berichtete die New York Times über Geheimpläne Israels für einen Angriff auf den Iran. Die Redaktion gab an, dem Artikel seien 15 Monate lang Recherchegespräche mit amerikanischen, europäischen und israelischen Regierungsbeamten sowie internationalen Atominspektoren vorausgegangen.

Die Reaktion von TheTrueHOOHA auf Ars Technica ist bezeichnend. In einem langen Austausch mit einem anderen User schrieb er: „WTF NYTIMES. Wollen die einen Krieg beginnen? … Sie veröffentlichen Geheimscheiß … außerdem, wer zum teufel sind die anonymen quellen, die ihnen das sagen? diesen typen sollte man in die eier schießen … der scheiß ist aus gutem grund geheim … es ist nicht wegen ‚oh, hoffentlich kriegen unsere bürger das nicht mit’, sondern wegen ‚dieser scheiß klappt nicht, wenn iran weiß, was wir tun.“

Snowdens Wut gegen undichte Stellen steht in erstaunlichem Widerspruch zu seinem eigenen späteren Verhalten, doch er führt seine Ernüchterung in Sachen Regierungsspionage auf diese Zeit zurück. „Viel von dem, was ich in Genf sah, hat mich wirklich desillusioniert, was die Arbeit meiner Regierung und deren Folgen für die Welt angeht. Ich merkte, ich war Teil von etwas, das weitaus mehr Schaden anrichtete, als Gutes zu bewirken.“

Im Februar 2009 dann kündigte Snowden bei der CIA. Nun arbeitete er auf Vertragsbasis für die NSA auf einem US-Militärstützpunkt in Japan. Für Vertragsmitarbeiter waren goldene Zeiten angebrochen, seit der boomende US-Sicherheitsstaat geheimdienstliche Aufgaben an Privatfirmen auslagerte. Snowden stand auf der Gehaltsliste des Computerherstellers Dell. Die frühen Lücken in seinem Lebenslauf spielten keine Rolle mehr. Er hatte Zugang zu Top-Secret-Informationen. Für Japan hatte er sich schon als Teenager begeistert und anderthalb Jahre lang Japanisch gelernt. Manchmal verwendete er die japanische Aussprache seines Vornamens, „E-do-waa-do“, und 2001 schrieb er: „Es war immer mein Traum, es in Japan ‚zu schaffen’. Ein bequemer .gov-Job da drüben, das wär’s.“

In Wartestellung

Japan bedeutete einen Wendepunkt. Von nun wurde aus Snowden mehr als nur ein enttäuschter Techniker: „Ich sah, wie Obama genau die Politik weitertrieb, von der ich dachte, sie würde eingeschränkt.“ Zwischen 2009 und 2012 habe er herausgefunden, wie allumfassend die Überwachungstätigkeit der NSA ist: „Sie sind darauf aus, jedes Gespräch und jede Regung auf der Welt mitzubekommen.“ Er stellte auch fest, dass die staatlichen Mechanismen zur Kontrolle der NSA versagten. „Du kannst nicht warten, bis jemand anders handelt. Ich hatte nach Vorbildern gesucht, aber ich merkte, zum Vorbild wird der, der als erster handelt.“ 2012 wechselte er von Japan nach Hawaii und wurde ein Whistleblower in Wartestellung.

Snowden arbeitete nun am kryptolgischen Zentrum der NSA auf der Hauptinsel Oahu, in der Nähe von Honolulu. Immer noch bei Dell angestellt, war er damit für eine der 13 NSA-Außenstellen tätig, die Auslandsspionage, vor allem gegen China, betreiben. Sein Plan war, anonym mit Journalisten in Kontakt zu treten, die über Freiheitsrechte arbeiteten, und ihnen gestohlene Top-Secret-Dokumente zu übergeben. Er wollte nicht Staatsgeheimnisse en gros verraten, sondern Reportern eine Auswahl an Material anvertrauen.

Der ewige Rubik-Würfel

Laut einem seiner NSA-Kollegen auf Hawaii, der dem Forbes Magazin ein Interview gab, war Snowden ein prinzipienfester und höchst kompetenter, wenn auch etwas exzentrischer Mitarbeiter. Er trug einen Kapuzenpulli mit einer Parodie des NSA-Logos. Darauf hatte der Adler keinen Schlüssel in den Klauen, sondern trug Kopfhörer zur Überwachung. Auf dem Schreibtisch hatte Snowden ein Exemplar der amerikanischen Verfassung liegen, und oft lief er mit einem Rubik-Würfel durch die Flure. Er hinterließ kleine Geschenke auf den Schreibtischen von Kollegen, und einmal verlor er fast seinen Job, als er sich für einen gemaßregelten Mitarbeiter einsetzte.

Anfang 2013 wuchs seine Empörung noch mehr, doch sein Enthüllungsplan stockte. Zu viele Hindernisse waren im Weg. Er wechselte von Dell zu einem anderen Vertragspartner, Booz Allen Hamilton, womit er Zugang zu weiteren frischen Datenmengen erhielt. Seinem Kollegen im Forbes-Interview zufolge lehnte Snowden die Offerte ab, sich einer Gruppe von Elitehackern in NSA-Diensten anzuschließen.

Am 30. März flog er aufs Festland, um an einer Fortbildung von Booz Allen Hamilton bei Fort Meade in Maryland teilzunehmen. Sein Jahresgehalt betrug nun 122.000 Dollar plus Wohngeld. Am 4. April aß er mit seinem Vater zu Abend. Lon Snowden sagt, sein Sohn wirkte bedrückt. „Wir umarmten uns wie immer, er sagte: Ich liebe dich, Dad. Ich sagte: Ich liebe dich, Ed.“

„Meine Stelle bei Booz Allen Hamilton verschaffte mir Zugriff auf Listen von Computern in aller Welt, die von der NSA gehackt wurden“, sagte Snowden der South China Morning Post, und genau deshalb habe er sie angetreten. Er zählte zu den etwa 1.000 „Sysadmins“ der NSA, die in weite Teile des Systems Einblick haben. Andere Mitarbeiter mit Top-Secret-Erlaubnis durften nicht alle Geheimdokumente sehen. Er konnte Dateien öffnen, ohne elek-tronische Spuren zu hinterlassen. Er war ein „Ghost User“, fähig, in den Heiligtümern des Geheimdienstes herumzuspuken. Möglicherweise hat er seinen Status als Administrator auch genutzt, um anderen ihre Passwörter zu entlocken.

Plötzliches Verschwinden

Genau wissen wir nicht, wie Snowden sein Material sammelte, doch vermutlich lud er NSA-Dateien auf USB-Sticks herunter. Den meisten Mitarbeitern sind USB-Sticks verboten, doch ein „Sysadmin“ konnte behaupten, dass er beschädigte Benutzerprofile repariere und Backups brauche. Von Hawaii aus konnte Snowden in die NSA-Server eindringen. Wenn er sich anmeldete, hatten die sechs Zeitzonen entfernten Mitarbeiter auf dem Festland längst Feierabend. Nach vier Wochen auf seiner neuen Stelle sagte Snowden seinen Chefs, er fühle sich nicht wohl, und bat um unbezahlten Urlaub. Er gab an, an Epilepsie zu leiden. Seine Mutter leidet an dieser Krankheit. Am 20. Mai 2013 verschwand er.

Bereits im Dezember 2012 hatte Glenn Greenwald, Kolumnist beim Guardian und einer der bekanntesten politischen Kommentatoren der USA, wohnhaft in Brasilien, eine E-Mail bekommen. Sie stach nicht heraus, solche Mails kommen täglich dutzendfach. „Ich habe Zeug, das Sie interessieren könnte,“ schrieb ein anonymer Absender. „Er war sehr vage“, erinnert sich Greenwald. Der Informant bat ihn, das Verschlüsselungsprogramm PGP auf seinem Laptop zu installieren. Die Buchstaben stehen für „Pretty Good Privacy“ und die Software ermöglicht unbeobachtete Online-Chats. Greenwald hatte nichts dagegen, doch es gab zwei Probleme. „Ich bin ein technischer Analphabet“, sagt er, zudem argwöhnte er, dass jemand, der so sehr auf Verschlüsselung bestand, ein Spinner sei.

Einen Monat nach seinem ersten erfolglosen Versuch bei Greenwald probierte es Snowden auf einem anderen Weg. Er mailte an eine Freundin und Mitarbeiterin Greenwalds, die Dokumentarfilmerin Laura Poitras. Auch sie war eine prominente Kritikerin des US-Sicherheitsstaats und zugleich eines seiner Opfer. Zwischen 2006 und 2012 wurde Poitras jedes Mal, wenn sie in die USA einreiste, vom Heimatschutz festgenommen. Die Agenten verhörten sie, beschlagnahmten Laptops und Handys und wollten wissen, wen sie getroffen hatte. Auch Kamera und Notizbücher konfiszierten sie. Nie fanden sie etwas Belastendes. Poitras wurde zu einer Expertin für Verschlüsselung. Sie beschloss, ihren nächsten Film, den Abschluss einer Trilogie über die US-Sicherheitsdienste, außerhalb Amerikas zu schneiden, und zog vorübergehend nach Berlin.

Umweg über Poitras

Snowden mailte an Laura Poitras: „Ich bin ein ranghohes Geheimdienstmitglied, Sie verschwenden hier nicht Ihre Zeit.“ Das war übertrieben, er bekleidete als Infrastruktur-Analyst einen eher niedrigen Rang. Snowden bat sie um ihrem Verschlüsselungscode, und sie gab ihn ihm. „Ich hatte schnell Feuer gefangen“, sagt Poitras. „Ich dachte, das ist entweder echt, oder jemand will mir eine Falle stellen.“

Der Ton der Mails war ernst, aber es gab auch humorvolle Momente. So riet ihr Snowden, ihr Handy im Gefrierfach aufzubewahren. „Er schreibt tolle Mails“, sagt sie. „Alles, was ich von ihm bekam, las sich wie ein Thriller.“ Dann ließ er eine Bombe platzen. Er sagte, er sei an die „Presidential Policy Directive 20“ herangekommen, ein 18-seitiges Top-Secret-Dokument, erstellt im Oktober 2012. Es verriet, dass die NSA weltweit Glasfaserkabel und Telefonverbindungen anzapfte und verwanzte. Snowden legte lückenlose Beweise vor. „Ich fiel fast in Ohnmacht“, sagt Poitras. Der Informant stellte klar, dass er Greenwald mit an Bord haben wollte.

Poitras ließ größte Vorsicht walten. Es war anzunehmen, dass die US-Botschaft in Berlin sie überwachte, also musste es ein persönliches Treffen sein. Ende März flog sie zurück in die USA und traf Greenwald in der Lobby des Mariott-Hotels in Yonkers, New York. Sie kamen überein, dass sie die Geheimdokumente haben wollten, denn ohne sie ließ sich das Thema kaum an die Öffentlichkeit bringen. Poitras hatte dabei angenommen, das Snowden anonym bleiben wollte, doch er sagte: „Ich hoffe, Sie malen mir eine Zielscheibe auf den Rücken und erzählen der Welt, dass ich das alleine gemacht habe.“

Ein Treffen bahnte sich an. Snowden wollte ein Originaldokument übergeben, dass die Zusammenarbeit der NSA mit großen Internetkonzernen unter dem Dach eines Geheimprogramms namens Prism enthüllte. Poitras flog also wieder nach New York, um dort einen ranghohen Geheimdienstbürokraten zu treffen. Da schickte ihr der Informant eine verschlüsselte Datei. Sie enthielt das PowerPoint-Dokument über Prism und dazu völlig überraschend noch ein weiteres Dokument. Titel: „Ihr Ziel ist Hongkong.“ Am nächsten Tag verriet er ihr seinen Namen.

Informationen für Greenwald

Poitras wusste, wenn sie Snowden googeln würde, wäre die NSA sofort alarmiert. Das Dokument enthielt eine Karte, eine Reihe von Anweisungen für das geplante Treffen und eine Nachricht: „Das bin ich. Dies ist, was sie über mich sagen werden. Dies sind die Informationen, die ich habe.“

Mitte April erhielt Glenn Greenwald ein FedEx-Päckchen mit zwei USB-Sticks. Da-rauf befand sich Sicherheitssoftware, mit der er ein verschlüsseltes Chat-Programm installieren konnte. Snowden wandte sich nun an Greenwald selbst: „Ich habe mit einer Freundin von Ihnen zusammengearbeitet … Wir müssen dringend reden. Können Sie nach Hongkong kommen?“ Greenwald fand die Bitte grotesk. Sein Instinkt riet ihm, nichts zu tun. Er kontaktierte Snowden per Chat: „Ich hätte gern einen etwas stichhaltigeren Grund, warum ich kommen soll und was mir das bringt.“ In den nächsten zwei Stunden erklärte Snowden Greenwald, wie er das Tails-System hochfahren konnte, eine der sichersten Kommunikationsformen. Dann schrieb er in maßloser Untertreibung: „Ich schicke Ihnen jetzt ein paar Dateien.“

Snowdens Willkommensgruß waren etwa 20 Dokumente aus dem Allerheiligsten der NSA, die meisten mit dem Vermerk „Top Secret“. Sie machten auf einen Blick klar, dass die NSA den Kongress über ihre inländische Spionagetätigkeit getäuscht und vermutlich sogar belogen hatte. „Es war unglaublich“, sagt Greenwald. „Ich konnte nur noch nach Luft schnappen.“

Zwei Tage später, am 31. Mai, saß Greenwald im Büro der US-Redaktionschefin des Guardian, Janine Gibson: Eine Reise nach Hongkong werde Klarheit über den mysteriösen Informanten bringen. Auch Stuart Millar, der stellvertretende US-Chefredakteur, schaltete sich ins Gespräch ein. Sie waren einig, dass Greenwald am nächsten Tag den 16-Stunden-Flug auf sich nehmen sollte, um den Informanten persönlich zu treffen. Poitras würde ebenfalls fliegen, auf eigene Rechnung. Allerdings bestimmte Janine Gibson noch einen Dritten im Team, den altgedienten Washington-Korrespondenten Ewen MacAskill. Der 61-jährige Schotte war ein erfahrener und besonnener Reporter, jeder mochte ihn.

Außer Poitras. Sie geriet außer sich. Eine dritte Person, so glaubte sie, könnte den labilen Informanten ausrasten lassen. „Sie bestand darauf, dass er nicht mitkam“, berichtet Greenwald, „sie war völlig aufgelöst.“ Dennoch gingen alle drei an Bord eines Cathay-Pacific-Flugs. Poitras saß hinten im Flugzeug, sie zahlte selbst für ihre Reise. Greenwald und MacAskill, für deren Ausgaben der Guardian aufkam, saßen oben in der Premium Economy.

16 Stunden Adrenalin

Als Flug CX831 startete, fühlten sie sich befreit. Oben in der Luft gibt es kein Internet, das war jedenfalls im Juni 2013 noch so. Sobald die Anschnallzeichen erloschen, überbrachte Poitras ein Geschenk, dass die beiden sofort öffnen wollten: einen USB-Stick. Snowden hatte ihr eine zweite Lieferung geheimer NSA-Dokumente zukommen lassen. Dieser Datensatz war noch weitaus größer als der „Willkommensgruß“. Er enthielt drei- bis viertausend Dateien.

Für den Rest der Reise war Greenwald in den Inhalt des Speichers vertieft. An Schlaf war nicht zu denken. „Ich wandte meine Augen keine Sekunde vom Bildschirm ab. Das Adrenalin war so heftig.“ Ab und zu kam Poitras grinsend von ihrem Platz. „Wir kicherten wie Schulkinder. Wir schrien und umarmten uns und tanzten auf dem Gang herum“, sagt Greenwald. Einige Sitznachbarn wachten auf, aber es war ihnen egal.

Das erste Rendezvous sollte im Hotel Mira in Kowloon stattfinden, einem schicken Neubau mitten im Touristenviertel. Poitras und Greenwald sollten Snowden in einem ruhigen Teil des Hotels treffen, neben einem großen Plastikkrokodil. Losungsworte sollten ausgetauscht werden, und Snowden würde einen Rubik-Würfel in der Hand halten.

Alles, was Greenwald über Snowden wusste, deutete auf einen angegrauten Geheimdienstveteranen hin. 60 plus, blauer Blazer mit Goldknöpfen, schütteres Haar, zweckmäßige schwarze Schuhe, Brille und Krawatte. Vielleicht war es der Leiter des Hongkonger CIA-Stützpunkts. Die beiden kamen frühzeitig am Plastikkrokodil an. Sie warteten, aber der Informant zeigte sich nicht. Wenn das erste Treffen misslang, sah der Plan vor, es später am Vormittag erneut zu versuchen. Greenwald und Poitras kamen also wieder, warteten wieder. Und dann sahen sie ihn: einen blassen, dünnen, nervösen, lächerlich jungen Mann. Er trug Jeans und ein weißes T-Shirt. In der Rechten hielt er einen Rubik-Würfel. Wo lag der Fehler?

Das Treffen in Hongkong

Der Informant hatte verschlüsselte Anweisungen für den Ablauf des ersten Austauschs gegeben. Greenwald sollte sagen: „Wann öffnet das Restaurant?“ Und der Informant würde antworten: „Um zwölf. Aber gehen Sie nicht hin, das Essen taugt nichts.“

Greenwald sprach seinen Text und hatte Mühe, keine Miene zu verziehen. Snowden erwiderte bloß: „Folgen Sie mir.“ Schweigend gingen die drei zum Fahrstuhl. Sie fuhren in den ersten Stock und folgten dem Würfelmann zu Zimmer 1.014. Greenwald hoffte darauf, dass dieser unbekannte Mann der Sohn oder persönliche Assistent des Informanten sei. Wenn nicht, war das Treffen ein schlechter Witz.

Im Lauf des Tages erzählte Snowden dann seine Geschichte. Er hatte Zugriff auf Zehntausende von Dateien, die von den internen Servern der NSA und des britischen GCHQ stammten. Die meisten mit Top-Secret-Vermerk. Manche auch mit „Top Secret Strap 1“, der britischen Klassifizierung für besonders heikle abgehörte Informationen, oder sogar „Strap 2“, was schon fast so geheim war, wie es überhaupt ging. Niemand außerhalb eines kleinen Kreises von Sicherheitsbeamten hatte Dokumente dieser Art je zu Gesicht bekommen.

Greenwald löcherte Snowden mit Fragen. Seine Glaubwürdigkeit und die des Guardian standen auf dem Spiel. Doch wenn Snowden echt war, konnte jeden Moment eine CIA-Spezialeinheit in den Raum stürmen, seine Laptops einkassieren und ihn fortschleppen. Je mehr Antworten er gab, desto klarer wurde ihnen, dass Snowden nicht schwindelte. Auch seine Gründe, zum Whistleblower zu werden, waren stichhaltig. Die NSA konnte jeden verwanzen, vom Präsidenten abwärts, sagte er.

Die totale Überwachung

Theoretisch sollte der Geheimdienst nur die Kommunikation von Zielpersonen im Ausland verfolgen. Praktisch sei das ein Scherz: Die NSA häufte Metadaten von Millionen Amerikanern an. Telefonprotokolle, E-Mail-Header, Betreffzeilen, abgesaugt ohne Hinweis oder Einwilligung. Daraus ließ sich ein vollständiges elektronisches Lebensbild eines Menschen zusammensetzen: Freunde, Liebhaber, Freuden, Kummer.

Die NSA zapfte heimlich die Untersee-Glasfaserkabel an, die um den ganzen Globus gehen. So konnte sie weite Teile der weltweiten Kommunikation mitlesen. Geheimgerichte bedrängten Telekom-Unternehmen, ihre Daten auszuhändigen. Aber auch fast das ganze Silicon Valley war laut Snowden mit der NSA verstrickt – Google, Microsoft, Facebook, sogar Apple.

Die NSA brüstete sich, sie habe „direkten Zugriff“ auf die Server der Tech-Giganten. Sie hatte sogar heimliche Hintertüren in Verschlüsselungssoftware für Online-Banküberweisungen eingebaut und damit für die Nutzer gefährliche Schwachstellen geschaffen. Die Spionagedienste hatten das Internet gekapert. Snowden sagte Greenwald, er wolle nicht in einer Welt leben, „wo alles, was ich sage, alles, was ich tue, jeder, mit dem ich rede, jeder Ausdruck von Liebe oder Freundschaft aufgezeichnet wird“.

Muster aus Sojasauce

Er erklärte sich bereit, am nächsten Morgen auch MacAskill zu treffen. Die Begegnung verlief entspannt, bis der Reporter sein iPhone herausholte. Ob er das Interview aufnehmen und vielleicht ein paar Fotos machen dürfe? Snowden riss die Arme hoch, als hätte ihm jemand einen Stromschlag versetzt. „Ich hätte genauso gut die NSA zu ihm ins Schlafzimmer einladen können“, sagt MacAskill. Snowden erklärte ihm, dass der Geheimdienst ein Mobiltelefon als Mikrofon und Peilsender nutzen konnte; es mit ins Zimmer zu bringen war ein Anfängerfehler. MacAskill warf das Telefon weg.

Snowdens eigene Vorsichtsmaßnahmen waren bemerkenswert. Er stapelte Kissen hinter der Tür, so dass niemand vom Flur aus lauschen konnte. Wenn er Passwörter eingab, zog er eine große rote Haube über seinen Kopf und den Laptop, sodass keine versteckte Kamera mitfilmen konnte. Bei den drei Malen, die er sein Zimmer verließ, stellte er hinter die Tür ein Glas Wasser neben eine Küchenserviette. Die Serviette trug eine Markierung aus Sojasauce, ein bestimmtes Muster. Wenn jemand den Raum beträte, würde das Wasser über das Papier fließen und das Muster verändern.

Eher beiläufig fragte MacAskill, ob Großbritannien eine Rolle spiele bei dieser massenhaften Datensammlung. Er wusste, dass das GCHQ seit langer Zeit mit den US-Geheimdiensten zusammenarbeitete, doch Snowdens heftige Antwort erschreckte ihn: „Das GCHQ ist schlimmer als die NSA, noch zudringlicher.“

Angst vor Sippenhaft

Am nächsten Tag, Mittwoch, den 5. Juni, war Snowden immer noch im Hotel Mira. Das war die gute Nachricht. Die schlechte: Die NSA und Polizei waren in Hawaii bei seiner Freundin Lindsay Mills aufgetaucht. Seine Abwesenheit war aufgefallen. Er quälte sich: „Meine Familie weiß nicht, was los ist. Ich habe Angst, dass sie sich meine Familie krallen, meine Freunde, meine Partnerin. Das hält mich nachts wach.“

Doch die CIA hatte ihn noch nicht gefunden. Ein weiteres verblüffendes Detail der Snowden-Affäre: Warum kamen ihm die US-Behörden nicht eher auf die Spur? Sobald sie Verdacht schöpften, hätten sie Fluglisten prüfen und feststellen können, dass er nach Hongkong gereist war. Dort war er nicht schwer aufzufinden. Er hatte unter seinem eigenen Namen im Hotel eingecheckt, die Rechnung zahlte er mit seiner privaten Kreditkarte.

Greenwald entwarf hastig einen Artikel über den US-Telekom-Konzern Verizon und wie die NSA heimlich dessen komplette Protokolle sammelte. Er reichte seinen Laptop an MacAskill weiter, MacAskill gab ihm seine Texte auf einem Stick. Auf E-Mail verzichteten sie ganz.

In New York arbeitete Janine Gibson unterdessen den Plan für die erste große Geschichte aus. Er umriss drei Aufgaben: Rechtsbeistand suchen; eine Strategie für den Umgang mit dem Weißen Haus überlegen; an die Texte der Reporter in Hongkong herankommen. Gibson schrieb einen provisorischen Zeitplan an eine Wandtafel. Dieses Schema erhielt später sogar einen Namen, „The Legend of The Phoenix“, nach einer Zeile aus dem Sommerhit Get Lucky von Daft Punk.

Die Ereignisse überschlugen sich. Aus Hongkong hatte MacAskill vier Worte geschickt: „Das Guinness ist gut.“ Der Code dafür, dass Snowden ihn überzeugte. Gibson beschloss, der NSA vier Stunden Zeit für eine Stellungnahme zu geben. Nach britischen Standards eine faire Frist, lang genug für ein paar Telefonate, um sich auf eine Linie zu einigen. Doch für Washingtoner Verhältnisse, wo der Umgang der Presse mit der Regierung oft an einen Country-Club erinnert, war das unverschämt. In London nahm Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger den nächsten Flug nach New York.

Das Weiße Haus reagiert

Das Weiße Haus schickte drei Schwergewichte zur Konferenz mit der Zeitung: FBI-Vizedirektor Sean M. Joyce, ein Bostoner mit Action-Lebenslauf. Joyce war Ermittlunsgleiter gegen kolumbianische Drogenbosse, Terrorabwehr-Offizier und Attaché für Rechtsfragen in Prag. Dazu Chris Inglis, stellvertretender Leiter der NSA, ein Mann, der so selten mit Journalisten sprach, dass viele ihn für einen Mythos hielten. Und noch Robert S. Litt, Justitiar beim Direktor der nationalen Nachrichtendienste – clever und liebenswürdig, redegewandt, dramatisch, mit Hang zu blumiger Rhetorik. Auf Seiten des Guardian saßen Gibson und Millar in Gibsons kleinem Büro mit billigem Sofa und glanzlosem Broadway-Blick.

Das Weiße Haus setzte wohl darauf, der Redaktion zu schmeicheln und sie zur Not einzuschüchtern, sodass sie die Veröffentlichung aufschob. Gibson erklärte, der Chefredakteur sei gerade auf halbem Weg über dem Atlantik und nicht zu erreichen: „Die Entscheidung liegt bei mir.“ Nach 20 Minuten verlor die Gesandtschaft die Nerven. Einer der drei schrie: „Sie müssen das doch nicht veröffentlichen! Kein ernstzunehmender Journalist würde das veröffentlichen!“ Gibson antwortete: „Bei allem Respekt, wir entscheiden selbst, was wir veröffentlichen.“

Aus Hongkong signalisierte Greenwald, er werde den Scoop entweder in Eigenregie oder an anderer Stelle publizieren, falls der Guardian zögerte. Die Zeit lief ab. Snowden konnte jede Minute auffliegen. Kurz nach 19 Uhr gab der Guardian die Geschichte in den Druck.

Crashkurs in Spionierkunst

Noch am selben Abend erschienen Bauarbeiter vor dem US-Redaktionssitz, meißelten den Gehweg auf und pflasterten ihn sogleich neu. Vor Gibsons Wohnung in Brooklyn machten sich ebenfalls Straßenarbeiter zu schaffen. Bald konnte jedes Mitglied des Snowden-Teams Seltsames berichten. Von Taxifahrern, die weder den Weg noch den Tarif kannten. Von Fensterputzern, die ewig vor demselben Büro klebten. „Es war ein Crashkurs in Spionierkunst“, sagt Gibson.

Snowden beschloss, nun selbst an die Öffentlichkeit zu gehen. Glenn Greenwald interviewte ihn, Laura Poitras filmte. Es gelang ihr, das 12-minütige Video nach New York zu senden. Im Redaktionsbüro des Guardian löste es einen kathartischen Moment aus. „Wir waren völlig von den Socken“, berichtet Stuart Millar. „Wir fanden ihn cool und glaubwürdig.“

Sie sahen das Video zu fünft, auch Rusbridger war dabei. Es war gegen drei Uhr nachmittags am Sonntag, den 9. Juni. „Als wäre eine Bombe hochgegangen“, sagt Rusbridger. „Nach der Explosion herrscht erst einmal Stille, gar nichts passiert.“

Die Fernseher in der Redaktion waren auf verschiedene Kanäle eingestellt. Fast eine Stunde lang brachten sie vorproduzierte Sonntagsnachrichten. Dann, um 16 Uhr, ging die Geschichte hoch. Alle Sender zeigten Snowdens Gesicht. In Hongkong war es drei Uhr nachts, als das Video online ging. Es wurde zum meistgesehenen Beitrag in der Geschichte des Guardian.

Und Snowden war damit zum meistgesuchten Menschen auf dem Planeten geworden. Die Jagd war eröffnet. In einem CNN-Interview wurde Greenwald als „Glenn Greenwald, Hong Kong“ betitelt – ein heißer Tipp. Journalisten in China und in aller Welt suchten jede Einstellung des Videos nach Hinweisen ab. Ein geschäftstüchtiger Amateur identifizierte auf Twitter das Mira anhand seiner Lampen. Und dann verschwand Snowden.

Luke Harding ist ein preisgekrönter Auslandskorrespondent des Guardian . Er berichtete aus Indien, Deutschland und Russland und schrieb über die Kriege in Afghanistan, im Irak und Libyen. Harding hat mehrere Bücher veröffentlicht: The Snowden Files: The Inside Story Of The World’s Most Wanted Man, aus dem dieser Auszug stammt, erscheint in dieser Woche im Verlag Guardian Faber und in der nächsten Woche in den USA. Luke Harding lebt im Moment in London


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Übersetzung: Michael Ebmeyer
Geschrieben von

Luke Harding | The Guardian

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