Das Pendel schlägt zurück

Syrien Die Schlacht um die Grenzstadt al-Kusair hat viel von einer absoluten Tragödie, doch entschieden ist der Bürgerkrieg damit vorerst noch nicht
Das Pendel schlägt zurück

Foto: AFP/ Getty Images

Tausende Zivilisten saßen ohne Nahrungsmittel und ohne Medizin fest. Die zuletzt zahlen- und waffenmäßig unterlegenen Rebellen leisteten zwei Wochen lang Widerstand gegen massive Angriffe. Schließlich die betäubende Erkenntnis, dass es letztlich kein vereinigtes Syrien mehr geben wird, sondern ein geteiltes. Die sunnitische Stadt stand zwischen den schiitischen Dörfern im Norden des Libanon und dem alawitischen Kernland Syriens. Es ist zu befürchten, dass dies nie wieder so sein wird. Al-Kusair wird keine sunnitische Enklave bleiben.

Es könnten noch Jahre des Krieges folgen. Der Fall der Stadt stellt zwar einen herben Rückschlag für die Rebellen dar, aber markiert noch keinen Wendepunkt. Es war der erste Sieg der Hisbollah, seit diese offen ihre Beteiligung in Syrien erklärt hat. Doch die Hartnäckigkeit, mit der die schiitische Miliz gekämpft hat, war vor allem aus der strategischen Lage al-Kusairs zu erklären: Dort kreuzen sich die Route, über die Waffen aus dem libanesischen Bekaa-Tal nach Syrien gelangen und die Straße nach Homs. Es bleibt abzuwarten, ob die Hisbollah bereit sein wird, ebenso viele Ressourcen aufzubringen und ebenso schwere Verluste in Kauf zu nehmen, wenn es um die Metropole Aleppo geht. Denn dorthin sind die Milizionäre unterwegs.

Vor zwei Monaten noch hatten die Anführer der syrischen Opposition einen finalen Sturm auf Damaskus angekündigt. Man schenkte ihnen Gehör in der Annahme, sie würden bald überlegen sein. Nun schlägt das Pendel mit der Neugruppierung der Truppen Assads zurück. Doch die strategischen Fakten bleiben unverändert. Assad hat einen Teil seines Staates verloren. Die Grenze im Norden ist weiterhin offen. Und solange Geld aus den Golfstaaten hereinströmt und Syrien mit Waffen überschwemmt ist, werden große Teile des Landes in den Händen der Rebellen bleiben.

Bestenfalls Wunschziel

Der Traum eines in Freiheit vereinten Landes löst sich indes vollends auf. Grenzen verschwinden – die Sunniten geloben, den Kampf zurück an die Türschwelle der Hisbollah im Libanon zu tragen. Der Grund hierfür ist nicht, dass Selim Idriss, dem Chef der Freien Syrischen Armee (FSA), unbedingt Glauben zu schenken ist, wenn er damit droht, dies zu tun. Denn das Kommando und die Kontrolle über die ungefähr 800 Milizen, die unter der Überschrift einer vereinten Kampftruppe laufen, sind bestenfalls Wunschziel statt Realität. Doch in diesem Konflikt bekämpfen sich inzwischen die Konfessionen. Wenn er beendet ist, wird es neue Enklaven und neue Grenzen geben.

Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass die Gespräche, die gestern zwischen den USA, Russland und der UNO stattfanden, keine Fortschritte in Richtung einer Friedenskonferenz gebracht haben. Eine solche hat nun kaum noch Chancen, tatsächlich im Juli zu beginnen. Noch weniger überrascht, dass diese schwachen diplomatischen Bemühungen von Stellungnahmen Großbritanniens und Frankreichs erstickt werden sollten. Denen zufolge ist in Syrien Sarin-Gas zum Einsatz gekommen – eine der von US-Präsident Obama formulierten roten Linien wäre damit überschritten. Egal, ob dies stimmt oder nicht: London und Paris sollten sich Gedanken darüber machen, welche Alternative es zu diplomatischen Bemühungen gibt, alle Seiten in Genf an einen Tisch zu bringen.

Ein Ende des EU-Waffenembargos zu erzwingen, macht strategisch gesehen wenig Sinn. Es ist unwahrscheinlich, dass dadurch, wie behauptet, das Kräfteverhältnis zwischen den verschiedenen Rebellengruppen verändert würde. Mit Sicherheit wäre aber dafür gesorgt, dass Assads Versorgung mit schweren Waffen weiterhin gewährleistet ist. Flugabwehrraketen vom Typ S-300 sind nicht die einzigen Waffen, die Russland in der Vertragspipeline hat. Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat bereits gesagt, Moskaus „Zurückhaltung“ bei der Entsendung von Offensivwaffen wie taktischen Raketen oder Kampfflugzeuge und -panzern müsse in Anbetracht der EU-Entscheidung, das Waffenembargo aufzuheben, unter Umständen „überprüft“ werden. Die Wiederbewaffnung in Syrien ist kein Spiel, das Großbritannien und Frankreich gewinnen könnten.

Welcher Plan B?

Die USA sind nicht bereit, am Boden einzugreifen, und die Einrichtung einer Flugverbotszone würde einen langwierigen Luftkrieg mit sich bringen. Was ist da William Hagues und Laurent Fabius' Plan B für den Fall, dass es nicht zu einer Friedenskonferenz kommt? Sie haben die Pflicht, einen solchen darzulegen. Warum würde man, indem man neues Öl ins Feuer gießt, irgendeiner der Parteien Anreiz geben, es zu löschen? Alle Bemühungen sollten darauf gerichtet werden, den syrischen Rebellen die bestmögliche Verhandlungsposition zu bereiten. Momentan ist die Rebellenführung nicht bereit, sich zusammenzutun – ihre Verhandlungsposition wird dadurch mit jedem Monat schlechter.

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Übersetzung Zilla Hofman
Geschrieben von

Editorial | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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