Die Krise in der Eurozone wird nicht – wie gemeinhin behauptet – von der Forderung der Finanzmärkte nach immer weiteren Sparmaßnahmen getrieben, sondern hat ihren Hauptgrund vielmehr in der politischen Agenda der europäischen Institutionen. Ganz vorn dabei sind in dieser Hinsicht die Europäische Zentralbank und die Europäische Kommission. Sie wollen besonders in den schwächeren Volkswirtschaften der Union politische Veränderungen durchsetzen, denen die betroffenen Bürger bei Wahlen nie und nimmer ihr Plazet geben würden. In Spanien tritt das gegenwärtig so offen und unverblümt zutage wie nirgendwo sonst.
Die Regierung unter der Führung des konservativen Partido Popular (PP) teilt die politische Agenda der europäischen Institutionen möglicherweise noch stärker als der IWF. Sie nutzt die Krise als Vorwand, um ein verändertes Arbeitsrecht durchzusetzen, das es den Unternehmen erleichtern soll, aus den branchenweiten Tarifverträgen auszusteigen. Des Weiteren wurde das Recht von Arbeitnehmern kassiert, sich gegen ungerechte Kündigungen zur Wehr zu setzen. Die Schwächung von Gewerkschaften und lohnabhängig Beschäftigten ist Teil einer längerfristigen Strategie zum Abbau des Sozialstaates. Diese Veränderungen haben nichts mit der Lösung der gegenwärtigen Krise oder auch nur mit einem staatlichen Schuldenabbau zu tun.
Die Regierung hat darüber hinaus auch gewaltige Kürzungen des Gesundheitsetats im Umfang von sieben Milliarden Euro beschlossen. Dies wäre in den USA mit einer 25-prozentigen Kürzung von Medicaid vergleichbar – dort politisch undenkbar. Weitere drei Milliarden werden bei den Bildungsausgaben gestrichen. Selbstverständlich verschlimmert diese Art des Defizitabbaus die gegenwärtige Rezession. Die Regierung selbst geht davon aus, dass die Haushaltskürzungen 2012 zu einer Reduzierung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 2,6 Prozent führen. In einem Land mit einer Arbeitslosenquote von rund 25 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent wird dies weiter Hunderttausende den Arbeitsplatz kosten.
Angst um Obamas Wiederwahl
Die Finanzmärkte spielen hierbei eine gewisse Rolle, indem sie die Zinsen für den spanischen Staat in die Höhe treiben, dessen Anleihen von Investoren und Spekulanten abgestoßen oder leerverkauft werden. Die Zinsen für spanische Anleihen haben die Marke von 6,69 Prozent erreicht. Doch selbst diese Raten stellen noch keine unmittelbare Krise dar – die Risiken einer spanischen Staatspleite werden von den Märkten bei weitem übertrieben. Spanien muss in diesem Jahr Kredite in der Höhe von ungefähr 85 Milliarden Euro refinanzieren. Selbst wenn sich das Land die gesamte Summe zu den jetzigen oder gar noch höheren Zinsen leihen müsste, würde dies für die Tragfähigkeit der Gesamtschuldenlast beziehungsweise den Schuldendienst Spaniens keinen großen Unterschied bedeuten. Spaniens projektierte Zinsen, die das Land für seine Schulden in diesem Jahr aufzubringen hat, gestalten sich mit 2,4 Prozent des BIP immer noch recht moderat.
Weit entscheidender ist, dass die EZB leicht in den spanischen Anleihemarkt intervenieren und die Zinsen drücken könnte, wie sie es im Vorjahr mehrmals und zuletzt im November getan hat. Das würde den europäischen Steuerzahler nichts kosten und einen vergleichsweise geringen Eingriff bedeuten, da private Investoren und Spekulanten sofort spanische Anleihen aufkaufen würden, sobald deren Preis steigen und die Zinsen sinken würden. Die EZB verzichtet auf diese Maßnahme, weil sie die Krise für rechte „Reformen“ in der gesamten Eurozone nutzen will. Dies gilt nicht nur in Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Italien, sondern auch in den reicheren Ländern, die sich im Dezember zu einem Ausgleich ihrer Budgets verpflichtet haben, der in den USA unmöglich wäre.
Unterdessen hat die Obama-Administration einmal mehr die für auswärtige Angelegenheiten zuständige Staatssekretärin im Finanzministerium, Lael Brainard, nach Europa entsandt. Sie soll versuchen, die europäischen Regierungen und Institutionen zu bewegen, zumindest dafür Sorge zu tragen, dass die Risiken der Finanzkrise nicht weiter eskalieren. Denn die bedrohen einmal mehr Obamas Wiederwahl. Es ist traurig, dass die US-Regierung derzeit wahrscheinlich mehr Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der Eurozone haben dürfte als Hunderte Millionen von europäischen Wählern, deren wirtschaftliche Zukunft von gefährlichen Ideologen an sich gerissen wurde. Das spricht Bände, was die Struktur der Eurozone und die Leute, die sie verwalten, diesen europäischen Staaten zugefügt haben, die bis vor nicht allzu langer Zeit relativ demokratisch geführte Länder mit steigenden Einkommen waren.
Mark Weisbrot ist Co-Direktor des Center for Economic and Policy Researchin Washington.
Kommentare 8
Ich finde es schon mal traurig, dass wir für Obama's Wahl irgendwelche Opfer bringen sollen! Die USA bringt auch keine Opfer für Europa, ganz im Gegenteil, man wettet dort auf den Niedergang des Euro. Und die USA leben von solchen Geschäften.
Solange die Deutschen (Merkel) auf ihrer Null-Zinsen Politik bestehen wird sich nichts änderen in den anderen Ländern der EU! Man wollte und hat hier abkassiert, jetzt müssen laut Merkel die Exportschwachen Länder sehen, wie sie klarkommen. Die Gewinne bleiben bei uns - deswegen geht es uns überhaupt sehr gut in der Krise! Und Merkel und die deutsche Wirtschaft wollen natürlich nicht weniger verdienen auf Kosten Europas - wo kämen wir da denn hin?
Die Perversität der reichen Deutschen und der sie unterstützenden Regierung Merkel kann ich langsam nicht mehr nachvollziehen - weg mit diesem Schmutz!
Stimmt alles was im Artikel steht; Abbau des Sozialstaat hin zum Milton Friedman (Chicagoer Schule) Modell (22 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer fällt auch die soziale Brandmauer um die Bevölkerungen Europas), wobei die Vermögenswerte in Europa heute zu 1989 2 bis 3 mal so hoch sind; nur ungleicher verteilt (10/90) und man heute mit 3xmal so viel Vermögenswerte sich keinen Sozialstaat mehr leisten kann wie im Jahr 1989, da das neoliberale Modell sich zweifelsohne durchgesetzt hat.
Ein wichtiger Aspekt diesbezüglich stellt Milton Friedmans Definition der "natürlichen Arbeitslosenquote" dar, da man ja keine Vollbeschäftigung, keine Grundversorgung, keine soziale Absicherung, keine Gewerkschaften, keine anstandsmäßige Entlohnung....anscheinend dann nicht mehr braucht....
Die Outputlücke beträgt z.b. in Spanien bei 25% offizieller Arbeitslosigkeit, nur 4,1% und mit dem Austeritätskurs durch die internationale Banken-Elite (in Spanien an der Macht) werden die Arbeitslosen in Spanien dann wohl nicht weniger werden den nächsten Jahren....die üblichen Überflüssigen zwischen bezahlten Damenpublikum und Kriechern, also ca. 40%-70% der Bevölkerung.
Es geht dann darum, wie im Artikel festgehalten, um den Tod des Sozialstaat; abgelenkt das Volk durch Brot und Spiele; welches dann die Prioritäten dahingehend setzt, das alle alle Fußballspieler der ersten Liga kennen, aber kaum einer den Namen des neuen französischen Präsidenten....genau so wie es sein sollte....
Aufhalten kann man jene Entwicklung nicht mehr....aber das Problem dabei....in Europa....mit dem Geist aus der Flasche...dem Dschinn....ist den darober Verantwortlichen die Kontrolle entglitten und mittlerweile eine unglaubliche Katastrophe entstanden....die die politische Klasse nicht mehr kontrollieren kann.
Spanien???
"offene Gesellschaft mit offenen Märkten und freiem Wettbewerb".
Gauck warnt vor Übermaß an Subventionen für Energiewende.
Ein Neoliberaler lässt grüßen und keiner merkt es! Der Kleine zahlt wie immer, die Großen machen den Profit. Toll!
Die Spanier haben diese Regierung gewählt!
Wir haben unsere Regierung gewählt!
Wir wehren uns nicht!
Manche hier werden wohl 2013 ihren Versicherungsvertretern die Freude machen eine Zusatzpflegeversicherung abzuschließen - Jahresbeitrag 120,-- Euro, Zuschuss vom Staat 60,-- Euro ---
manche hier können sich das auch nicht leisten - zumal es ohnehin nur ein Provisionsgeschäft und Auslastung für die Verwaltungsangestellten der Konzerne darstellt.... -
wir kriegen es nicht hin!
Weil wir es nicht hinkriegen wollen!
Weil wir gewinnen wollen!
gleich hier unter meinem Texfeld blinkt eine Zahl in grün...
13% Rendite - ideal für Privatanleger - Palmölinvestment...
der Verteilungskampf unter uns ist so simpel wie das Fressgelade von Geiern am Aas -
Sie zerstören die Demokratie und den europäischen Traum, weil diese Typen in der Politik die Kellner sind und nichts aber auch gar nichts wichtiges entscheiden können, diese Demokratie fährt gegen die Wand und der Buhmann wird dann der nächst kommende sein?
Manchmal ist die Selektion der Freitags-Redaktion entwaffnend enthüllend! Wer solchen hirnrissigen Stuss wie "Die Krise in der Eurozone wird nicht – wie gemeinhin behauptet – von der Forderung der Finanzmärkte nach immer weiteren Sparmaßnahmen getrieben, sondern hat ihren Hauptgrund vielmehr in der politischen Agenda der europäischen Institutionen." ist entweder voreingenommen, einseitig, befangen oder parteiisch
href="http://www.economist.com/printedition/2012-05-26">In der Printausgabe vom "Economist" vom 26. Mai wurden die Ursachen sehr viel genauer versucht zu erklären. Das ganze Gejammer und Lamentieren über diese fragwürdigen Kastrationen dient doch nur dazu die Bevölkerungen von der vermeintlichen Notwendigkeit zu überzeugen, ein Attribut der Mainstreammedien eben... Heute hat die Commerzbank erwischt, die Dresdener ist die nächste ;-0...
Link Korrektur weil das fehlte...
a href="http://www.economist.com/printedition/2012-05-26" target="_blank">www.economist.com/printedition/2012-05-26In der Printausgabe vom "Economist" vom 26. Mai wurden die Ursachen...
geht nicht, also direct
www.economist.com/node/21555916
A limited version of federalism is a less miserable solution than the break-up of the euro