Das System Madoff wartet noch aufs Urteil

Urteil Er wurde zum öffentlichen Gesicht der Unverantwortlichkeit einer Ära. Das Urteil gegen den Mega-Betrüger Madoff ist hart: 150 Jahre Haft. Doch ist er allein schuld?

Alles an Bernie Madoff war zu schön, um wahr zu sein, angefangen bei den Renditen, die er anbot, über die Dimension des von ihm betriebenen Schneeballsystems (mit 65 Milliarden Dollar das größte aller Zeiten), bis zu seinem im Sinne von Charles Dickens passenden Nachnamen, der sich auch als "made off" lesen lässt und an "to make off with the money" erinnert. Wenig überraschend, dass er zum öffentlichen Gesicht des Zeitalters der Unverantwortlichkeit und Gegenstand unzähliger Bonmots wurde. Kein Wunder auch, dass gestern Jubel im Gerichtssaal ausbrach, als der 71-jährige Schwindler zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, und Richter Denny Chin seine Verbrechen als "außergewöhnlich böse" bezeichnete.

Sie wollten getäuscht werden

Bis zu seiner Verhaftung im Dezember 2008, war Madoff kein Betrüger, sondern eine Säule der Wallstreet-Community. Er war sogar Vorsitzender der Technologiebörse Nasdaq. Es brauchte Komplizen, einen dermaßen großen Betrug in die Welt zu setzen und am Laufen zu halten, und es bedurfte des blinden Vertrauens auf Seiten der Investoren. Nobelpreisträger Elie Wiesel nannte Madoff "Gott" und übergab ihm nach nur zwei Treffen nicht nur seine eigenen Ersparnisse, sondern auch die seiner Frau und darüber hinaus 15 Millionen Dollar aus dem Vermögen seiner Wohltätigkeitsstiftung.

Wiesel, der seinen ehemaligen Fondsmanager inzwischen einen "Dieb, Schuft und Kriminellen" nennt, war nicht der Einzige. Madoffs Opfer glaubten daran, dieser Broker sei in der Lage, ihnen Renditen zu verschaffen, die zu hoch waren, um wahr zu sein und fragten nicht nach dem Wie oder Warum. Sicher, die Vorschriften und Regulierungen waren lax, doch so hart es auch klingen mag: Ein Grund dafür, dass der Betrüger so viele täuschen konnte, war der Umstand, dass so viele bereit waren, sich täuschen zu lassen.

Auch war Madoff keineswegs ein Einzeltäter. Die Financial Times berichtete vor drei Monaten, die US-Behörden würden "praktisch jede Woche mindestens eine Anklage wegen Betreibens eines Schneeballsystems" erheben. Das Problem liegt darin, dass sich die Investmentkultur gar nicht so sehr von jenem Betrug unterscheidet, wie er dem Schneeballsystem eigen ist. Schwindler wie seriöse Fondsmanager bauen ein Image der Respektabilität auf, und beide machen Versprechen über die Geldsummen, die sie ihren Kunden angeblich verschaffen können. Auch wenn andere, seriöse Fondsmanager nicht unbedingt ungesetzlich handelten, so haben auch sie Milliarden an Ersparnissen verloren, die ihnen Investoren wie Sparer übergaben.

Auf zur nächsten Blase

Der Fall Madoff wirft ein bezeichnendes Licht auf die Fragilität des auf den Finanzmärkte herrschenden Vertrauens. Mervyn King, Chef der Bank of England, sprach vor wenigen Tagen über die Wiederherstellung von Vertrauen in einer Welt, in der das eigene Wort keinerlei Verbindlichkeit mehr habe. Investoren setzen allzeit einen großen Batzen Vertrauen in diejenigen, die ihr Geld verwalten. In guten Jahren zahlt sich dieses Vertrauen aus. In schlechten nicht. Es mag schwer fallen, im Jahr 2009 daran zu glauben – doch jenes Vertrauen kann wieder hergestellt werden. Es muss lediglich ein wenig Zeit vergehen, und die Erinnerung verblassen. Dann kann die Blase aufs Neue entstehen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

The Guardian, Editorial | The Guardian

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