Davon hängt vieles ab

Afghanistan/Jemen Wenn das Afghanistan-Treffen in London das Problem des Drogen- sowie Lebensmittelanbaus nicht endlich angeht, sind alle anderen Bemühungen zum Scheitern verurteilt

Die anstehenden Konferenzen zu Afghanistan und zum Jemen werden sich zweifellos auf die üblichen Punkte konzentrieren, von denen gemeinhin behauptet wird, sie behinderten internationale Bemühungen für eine langfristige Stabilisierung beider Länder. Für Afghanistan geht es um eine stimmige Liste von Prioritäten, um die Aufstandsbekämpfung besser zu koordinieren – es geht ebenso um aufgestockte Truppenkontingente. Bei Jemen muss eine Gesamtstrategie entwickelt werden, um der wachsenden Radikalisierung und der Ausbreitung al-Qaidas entgegen zu wirken.

Sogar Exporte

Wenn die parallel stattfindenden Treffen wirklich ernstzunehmende Ergebnisse haben sollen, muss ein Thema ganz oben auf der Liste der Agenda stehen: die Landwirtschaft. Ohne aktivierten Anbau von Nahrungsmitteln sind alle anderen Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Noch in den sechziger Jahren produzierten die afghanischen Bauern große Mengen an Obst, Gemüse, Fleisch und Getreide. Sie konnten damit die Inlandsnachfrage decken und sogar Waren exportieren. Heute leiden Schätzungen zufolge über sechs Millionen Afghanen chronisch unter Hunger, obwohl immer noch schätzungsweise 78 Prozent der 34-Millionen-Bevölkerung in ländlichen Gebieten leben, in denen die Landwirtschaft die Haupterwerbsquelle darstellt. Doch sind die Anbaugebiete für Lebensmittel zugunsten der Mohn-Anbaus reduziert worden. Den zudämmen, ist daher wohl der wichtigste Faktor, um das Land langfristig zu stabilisieren. Die Taliban finanzieren sich aus dem Drogen-Geschäft, was ihnen 2008 Schätzungen zufolge 470 Millionen Dollar Gewinn einbrachte. Das entspricht in etwa 30 Prozent des gesamten afghanischen Bruttoinlandsproduktes.

Aber die Geberländer halten ihre versprochenen Gelder zurück, können sich nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen und reden aneinander vorbei oder überhaupt nicht miteinander. Es müssen bei der Londoner Konferenz deshalb Dinge angesprochen werden, die afghanische Bauern vom Lebensmittelanbau abhalten. Dazu gehören schlechte Bewässerungssysteme, begrenzte Möglichkeiten der Kreditnahme sowie die schlechte Straßeninfrastruktur. Über die Hälfte der Dörfer ist zu bestimmten Jahreszeiten komplett vom Straßennetz abgeschnitten, im Durchschnitt beträgt die Entfernung zur nächsten Straße drei Kilometer.

80 Prozent kauen Qat

Für den Jemen, wo das Pro-Kopf-Einkommen im Jahr mit 950 Dollar sogar noch unter dem Afghanistans liegt, gilt im Wesentlichen das Gleiche. Auch wenn der Westen die Sicherheitshilfen des Jahres 2009 mehr als verdoppelt, lässt sich auf diese Weise die Radikalisierung kaum stoppen, wenn nicht auch hier Anstrengungen unternommen werden, die Landwirtschaft wieder auf Lebensmittelproduktion umzustellen. Noch vor ein paar Jahrzehnten waren die Jemeniten in der Lage, sich selbst zu versorgen. Heute werden mehr als 75 Prozent der im Land verbrauchten Lebensmittel importiert, obwohl 43 Prozent der arbeitenden männlichen Bevölkerung des Landes in der Landwirtschaft arbeiten. Auch hier liegt der Hauptgrund darin, dass Bauern vom Anbau von Lebensmitteln auf Qat umgestiegen sind, dessen Blätter eine amphetaminartige Substanz enthalten und von 80 Prozent der Bevölkerung gekaut werden. Qat-Anbau ist leicht, als Immergrün muss er nicht jedes Jahr aufs Neue ausgesät werden. Die Bauern brauchen lediglich die Blätter zu pflücken und können sie dann praktisch direkt auf den Markt tragen. Entsprechend ist der Anbau von Qat sechs Mal profitabler als der von Getreide oder anderer Nahrungspflanzen.

In London muss daher endlich eine belastbare Strategie entwickelt werden, wie die Nahrungsmittelproduktion in den beiden Ländern wiederbelebt werden kann. Im Fall Afghanistan muss eine Koordination der verschiedenen Hilfsprogramme erfolgen und mehr getan werden, um die Bauern zum Anbau von Nahrungsmitteln zu veranlassen. Beim Jemen bietet London die Gelegenheit, gemeinsam mit den Golfanrainerstaaten Strategien für den Umbau der Landwirtschaft zu entwickeln. Wenn dies nicht gelingt, ist auch jeder Versuch, al-Qaida zurückzudrängen, zum Scheitern verurteilt und die Lage könnte bald der in Afghanistan ähneln, wo die Gewinne aus dem Drogenanbau zur Finanzierung der Taliban herangezogen werden.

Übersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

Hendrik Woods | The Guardian

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