Demokratie in Aktion

Arabischer Frühling Auch außerhalb von Libyen gehen die Umbrüche weiter: Syrien ist erfasst, und die Jemeniten haben Präsident Saleh dazu gebracht, seinen Rücktritt anzukündigen

Gerade einmal sechs Wochen nachdem Bashar al-Assad gegenüber dem Wall Street Journal die Lage in Syrien für stabil erklärt hatte, stellt sich heraus, dass dies bei weitem nicht der Fall ist. Als die Polizei in der Provinzstadt Daraa auf Demonstranten schoss und drei von ihnen tötete, gingen 20.000 wutentbrannt zur Beerdigung der Ermordeten auf die Straße. In Jemen sind die Tage für Diktator Ali Abdullah Saleh gezählt – spätestens seit sich führende Generäle, Botschafter und einige Stämme nach dem Massaker vom 18. März, bei dem 46 Demonstranten von den Sicherheitskräften erschossen wurden, von ihm abwandten. Während die Welt sich auf Libyen konzentriert, geht die arabische Revolution weiter – ihre Dynamik ist nicht mehr aufzuhalten

Unterdrückung, Vetternwirtschaft, Korruption

Die Konsequenzen sind weder überall die gleichen noch in irgendeiner Weise vorhersagbar. Der Umbruch trifft pro-westliche Diktaturen wie in Ägypten und Autokratien wie in Syrien, welches Bewegungen wie Hisbollah und Hamas unterstützt, gleichermaßen. Er könnten Nationen auseinander brechen, aber auch neue Allianzen möglich werden. Es ist paradox, dass man für den jemenitischen Staat nach Salehs absehbarem Abgang die Dreiteilung befürchtet, weil der den Westen im Kampf gegen al Qaida unterstützt, während man wider besseres Wissen davon ausgeht, Libyen werde nach einem Sturz Gaddafis seine territoriale Einheit bewahren können, und die Aufständischen deshalb mit Luftschlägen unterstützt. Auf der anderen Seite wird die Unabhängigkeit von den USA dem Syrer Assad nichts nützten, wenn es um die Vorwürfe geht, die seine Bevölkerung gegen ihn erhebt: Unterdrückung, Vetternwirtschaft, Korruption.

Im revolutionären Chaos kann man leicht wichtige Dinge übersehen: Das Schicksal Ägyptens wird nach wie vor vom Willen der Bevölkerung bestimmt, auch wenn unter denen, die Mubarak zu Fall brachten, die Meinungen mittlerweile weit auseinander gehen, wie der weitere Weg aussehen soll. Der Wahlkampf für das Referendum über die Verfassungsreform vom 19. März brachte ungewöhnliche Bündnisse zutage: die Muslimbruderschaft, Salafiten und Mubaraks Nationaldemokratische Partei warben für die Annahme der Verfassungsänderungen. Sie vereint der Wille, der Armee so schnell wie möglich den Einfluss auf die Politik wieder zu entziehen, und bald Parlamentswahlen abzuhalten. Andernfalls könnte 2011 ein Zurück zum Jahr 1952 bedeuten, als die Armee die Macht an sich riss und diese behielt, so argumentierten die angeführten Gruppierungen.

Aus dem Sturz Mubaraks hervorgegangene Gruppen wie die ägyptische Jugend-Koalition oder Präsidentschaftskandidaten wie Mohammed El Baradei und Amr Moussa warben hingegen für einen Boykott des Referendums und begründeten dies damit, dass sie mehr Zeit brauchten, um neue Parteien zu gründen. Sie fürchten, bei zu frühen Wahlen könnte es zu einer anti-demokratischen Mehrheit im neuen Parlament kommen, auch wenn die Muslim-Brüder nach wie vor behaupten, sie würden nur für ein Drittel der Sitze kandidieren. Am Ende stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent 77 Prozent für die Reform – erstmals seit langem erlebt das Land Demokratie in Aktion.

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Editorial | The Guardian

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