Den Bogen etwas überspannt

Südsudan Mit seinen jüngsten Eroberungen hat sich Präsident Salva Kiir die Sympathien der westlichen Gönner verscherzt und steht plötzlich erheblich unter Druck

Es ist ein Konflikt, der die blutigen Scharmützel in Syrien bald in den Schatten stellen könnte: Zwischen Süd- und Nordsudan deuten alle Zeichen auf Krieg. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht aufwacht und die herrschende Gefahr begreift, wird der Traum von zwei sudanesischen Staaten, die harmonisch Seite an Seite existieren, für eine weitere Generation verloren sein.

Schon jetzt kommt es immer häufiger zu Zusammenstößen entlang der Grenze zwischen den seit knapp einem Jahr getrennten Staaten. Das Parlament in Khartum nennt den seit Mitte 2011 unabhängigen Süden unumwunden seinen „Feind“. Ölquellen brennen, Zivilisten werden bombardiert, eine humanitäre Katastrophe zeichnet sich ab. Südafrikas Ex-Präsident Thabo Mbeki meint als Vermittler der Afrikanischen Union (AU), er müsse vor diesem Sturm der Gewalt kapitulieren.

Sudan scheint in der globalen Geschäftsordnung nicht sonderlich weit oben zu stehen. Das verwundert angesichts des massiven Eingreifens der USA und Großbritanniens, die einst das Friedensabkommen von 2005 garantierten und halfen, einen 22 Jahre währenden Bürgerkrieg zu beenden. Der Vertrag führte direkt zur Sezession des Südens im vergangenen Jahr. Doch stellen die weiterhin offenen Fragen zum Grenzverlauf und zur Aufteilung der Öleinnahmen alles infrage, was bisher erreicht schien. Nord- und Südsudan können sich keinen erneuten Konflikt leisten, sind aber nach Mbekis Eindruck „in der Logik des Krieges“ gefangen.

Der Norden im Recht

Seitdem die Armee aus dem Süden die Ölstadt Heglig besetzt hat, fehlt es nicht an öffentlich bekundeter Besorgnis. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bittet um einen Waffenstillstand. China, das gerade den südsudanesischen Staatschef Salva Kiir zu Gast hat, ist um die Wiederaufnahme der unterbrochenen Erdölförderung bemüht. Selbst der Iran bezieht ostentativ eine konstruktive Position, obwohl er den israelischen Beistand für den Südsudan mit Argwohn beobachtet, und mahnt zur Ruhe.

Doch Präsident Kiir bleibt störrisch und beschwert sich in auftrumpfender Weise, er erhalte so viele Anrufe, dass er nicht mehr schlafen könne. „Dem UN-Generalsekretär, der mir befahl, ich solle unverzüglich das Kommando zum Abzug aus Heglig geben, antwortete ich: ‚Pardon, aber ich stehe nicht unter Ihrem Kommando‘. “

Kiirs Pendant in Khartum gibt sich nicht weniger unversöhnlich. Sein Land habe das Recht, auf die Besetzung Hegligs „in jeder Art und Weise zu reagieren, die seine Sicherheit, Souveränität und Stabilität“ garantiere, sagt Präsident Omar al-Bashir. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass eine Gegenoffensive geplant ist. Ausnahmsweise kann al-Bashir mit einem Mindestmaß an westlichem Verständnis, wenn nicht gar Sympathie rechnen.

Illegaler Einmarsch

Nicht nur die Afrikanische Union, auch die EU, die USA, die UNO und Russland argumentieren, dass ungeachtet des schwelenden Grenzkonflikts der Einmarsch in Heglig nach internationalem Recht illegal sei. Prompt wächst in Khartum die Empörung. Man sieht eine Chance, sich für die Erniedrigungen des Jahres 2011 zu rächen, als das Land geteilt und die ölabhängige Ökonomie des Nordens existenzielle Verluste hinnehmen musste. Präsident Kiir hat sich – so die Meinung in Khartum – ins Unrecht gesetzt. So verschafft die Krise der angeschlagenen Regierung im Norden Aufwind wie selten zuvor. Vizepräsident Taha ruft zur „Generalmobilmachung im ganzen Land“, um die „Aggression des Südens“ zurückzuschlagen. Selbst die Islamisten der Umma-Partei sind solidarisch.

Khartums Reaktion könnte unter diesen Umständen über einen direkten Angriff auf die südsudanesischen Verbände in Heglig hinausgehen. Zuletzt wurden Zusammenstöße aus dem 100 Meilen westlich davon gelegenen Süd-Darfur gemeldet, wo die UNO seit zehn Jahren damit beschäftigt sind, die Gewalt zwischen den ethnischen Gruppen einzudämmen. Präsident al-Bashir könnte nicht nur dort Unruhe stiften, sondern zugleich alles tun, um die umstrittene Region Abyei zu kontrollieren. Auch der Süden beansprucht dieses Gebiet. Der Einfall in Heglig könnte das Vorspiel für eine komplette Übernahme gewesen sein.

Simon Tisdall ist Kolumnist des Guardian


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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

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