Der 24. Mann

England What the hell...? Keiner scheint genau zu wissen, was eigentlich Beckhams Aufgabe bei der WM ist - außer auf der Trainerbank einen besorgten Gesichtsausdruck zu machen

Englands Nationalspieler John Terry zettelte am Wochenende eine kleine Revolte gegen Trainer Fabio Capello an. Der Aufstand gegen Capellos Autokratie wurde innerhalb weniger Stunden niedergeschlagen, nicht zuletzt weil die Unterstützung anderer vermeintlicher Separatisten aus Chelsea ausblieb. Wie passend, dass das englische Team sogar bei Meutereien im Sturm schwächelt!

Auf eines jedoch machte Terrys unangemessener Kommentar mit Recht aufmerksam: Das fehlende Glied – sofern David Beckham sich nicht an dieser Bezeichnung stört. Was ist aus dem sogenannten 24. Mann geworden, dem Kerl, den England damit beauftragt hat, die Verbindung zwischen den Spielern und dem Trainer herzustellen? Wir wissen, dass Beckham sein besorgtes Gesicht für die Trainerbank perfektioniert hat – was nur richtig ist, da die Fernsehkameras es während der Spiele alle 30 Sekunden einblenden. Aber bei einigen Gelegenheiten, die wie für den Mann gemacht schienen – etwa als er in der Halbzeit des Spiels gegen die USA tröstend seinen Arm um Rob Green legte – kam Englands hochdotierter Mentor doch etwas Greta-Garbo-mäßig rüber.

Hartherzige werden sagen, dass Beckham – der auf jeden Zug aufspringt, wenn es etwas zu feiern gibt – nicht allzu scharf darauf sein dürfte, mit diesem trostlosen Bild in Verbindung gebracht zu werden. Zweifellos haben seine Markenbetreuer eine Formel, mit der sie genau berechnen können, wieviele Flaschen "Intimately Beckham" pro Pass an die Algerier in den Regalen stehen bleiben.

Trumpf für die Medien?

Natürlich wäre es vollkommen lächerlich, Beckham für das schlechte Abschneiden des englischen Teams verantwortlich zu machen – aber unter den gegebenen Umständen scheint es doch angebracht zu fragen, wofür er eigentlich genau da ist. Lange Zeit wurde vermutet, der frühere Kapitän des Teams sei in einem Container nach Südafrika verschifft worden, auf welchem stand: „In case of emergency, break glass“. Ganz abgesehen von seinen Aufgaben für Englands WM-Bewerbung für das Jahr 2018, sollte Beckham – als der ideale Kandidat, den man den Medien vorwerfen kann, wenn sie bellen – Englands Trumpf sein, wenn das Team richtig in der Scheiße steckt. Noch bedeutungsvoller schien jedoch seine viel gepriesene Rolle als Kanal zwischen den Spielern und dem Trainer zu sein. Eine Rolle, die mit Worten wie „vage“, „gestaltlos“ und „vollkommen unklar“ kommentiert wurde.

Auch bei der Fifa bekommt man eine faszinierende Antwort auf die Frage nach Beckhams genauer Rolle in Südafrika. „Ich kann sie nicht genau benennen“, sagte ein Sprecher. „Ich kann nur eine inoffizielle Beschreibung abgeben.“ Inoffiziell, ich muss schon bitten! Haben wir wirklich eine Situation erreicht, in der David Beckhams maßgeschneiderte Rolle für das englische Team Gegenstand eines geheimen Briefings ist? Nach einigem Zurückrudern blieb dem Guardian nur die Beurteilung von Beckhams Stellenbeschreibung durch den Mittelfeldspieler Frank Lampard. „Er hat eine Menge Erfahrung“, erklärte der Chelsea-Spieler am Montag im Rahmen einer Pressekonferenz. „Er ist ein netter Kerl.“ Andere Eigenschaften? „Er ist sehr entspannt. Er sorgt dafür, dass die Leute sich wohlfühlen und er kann auf andere zugehen. Er hat viel gesehen. Er hat ab und zu mit mir gesprochen. Seine Anwesenheit ist sehr hilfreich.“

Ist sie das wirklich, angesichts der Tatsache, dass die Stimmung im englischen Lager immer angespannter wird? Es gibt nicht einmal einen klitzekleinen Anhaltspunkt dafür, dass Terry versucht hätte, mit Beckham vor seinem unklugen Auftritt zu sprechen – was jammerschade ist, wenn man bedenkt, wieviel Erfahrung Beckham darin hat, Spieler zu radikalen Aktionen anzutreiben.

Kichern mit den Prinzen

Zugegebenermaßen wird David Beckham in Sachen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen nie an die Laufbahn seines ehemaligen Kollegen bei Manchester United und in der englischen Nationalmannschaft Gary Neville heranreichen – den Lech Walesa der englischen Premier League. Aber er führte die englische Mannschaft immerhin 2004 an, als sie nach dem Sieg gegen Polen in der WM-Qualifikation die Arbeit niederlegte und sich weigerte, für die Medien die üblichen Plattitüden auszuspucken – der berühmte „Lads Done Well“-Streik von 2004.

Doch abgesehen von seinen düsteren Blicken von der Trainerbank war Beckhams bemerkeswertester Auftritt in Südafrika am Tag nach dem Algerienspiel bei einem Empfang für die Anwärter auf die WM 2018, wo er zu sehr damit beschäftigt war, mit den Prinzen William und Harry über einen Insiderwitz zu kichern, um ausführlich über den außerplanmäßigen Besuch eines Fans in der englischen Umkleidekabine sprechen zu können. Wir bekamen Beckhams vollständigen Bericht des Zwischenfalls nie zu hören, da Prinz William mit einem ziemlich faden Witz dazwischenplatzte, um Nachfragen abzuwehren. Deshalb können wir nur den Eindringling selbst zitieren: „Ich sah David fest in die Augen und sagte, „David, wir haben eine Menge Geld ausgegeben, um hierherzukommen. Das ist eine Schande. Was wirst du dagegen tun?““

Vielleicht könnte er die Mannschaft vor eines der Schiedsgerichte der Fifa schleppen und sie wegen Gefährdung seiner kommerziellen Interessen anklagen? Für alle, die Beckhams Rolle als 24. Mann ernsthafte Bedeutung beimessen, bleibt die Frage des Fans unterdessen quälend unbeantwortet – und es sieht einmal mehr so aus, als ob die ausgeflippte Aufstellung des englischen Fußballverbands alles andere als funktionsfähig ist.

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Marina Hyde | The Guardian

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