Der Angriff

Krise Mächtige Interessengruppen schlagen politisches Kapital aus der ökonomischen Malaise

Eines sollte einmal klargestellt werden: Die Länder der Euro-Zone befinden sich nicht in einem „Dilemma“, weil sie zu viel ausgegeben oder zu viel Schulden angehäuft haben. Sie stehen nicht vor „schweren Entscheidungen“, die sie zu Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen zwingen, um die „Finanzmärkte zu beruhigen“.

Was wirklich vor sich geht: Mächtige Interessengruppen nutzen die Situation aus, um ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele durchzusetzen. Und vielleicht noch wichtiger: Die europäischen Institutionen, die über die finanziellen Mittel zur Stützung einzelner Regierungen bestimmen, sind sogar noch begieriger auf einen politischen Rechtsruck als die nationalen Regierungen. Und sie sind den Wählern gegenüber noch viel weniger rechenschaftspflichtig.

In dem Buch 13 Bankers beschreiben der frühere IWF-Chefökonom Simon Johnson und sein Co-Autor James Kwalk, wie die US-Regierung die Krise der neunziger Jahre zur Durchsetzung einschlägiger Interessen nutzte: „Wenn eine existierende ökonomische Elite ein Land in eine tiefe Krise geführt hat, ist es Zeit für Veränderungen. Und die Krise selbst liefert für kurze Zeit eine einzigartige Gelegenheit, diese Veränderungen durchzusetzen.“ Naomi Klein hat mit ihrem Buch Die Schock-Strategie hervorragend dokumentiert, wie Krisen historisch dazu benutzt wurden, reaktionäre oder unbeliebte Wirtschafts-„Reformen“ zu starten oder weiterzuführen.

Bewusst überzeichnete Schieflage

Genau das geschieht gegenwärtig in der Eurozone, wobei die „Krise“ in den meisten Staaten bewusst überzeichnet wird. Ein gutes Beispiel ist Spanien. Die Mär, dass das Land in Schieflage geraten sei, weil die Regierung zu viel ausgegeben habe, lässt sich nicht durch Zahlen belegen. Als die spanische Wirtschaft 2000 bis 2007 wuchs, verringerte sich das Verhältnis von Bruttoverschuldung zu Bruttoinlandsprodukt drastisch von 59 auf 36 Prozent. Spanien erwirtschaftete in den drei Jahren vor dem Crash von 2008 sogar Haushaltsüberschüsse. Das Land muss in diesem Jahr 61 Milliarden zurückzahlen – ein Betrag, den die EU-Institutionen leicht begleichen könnten, wenn sie ein Interesse hätten, die Gefahr eines Zinsanstiegs zu verringern. Wenn die Zinsen nicht drastisch steigen, sind die spanischen Schulden beherrschbar, da die Nettoverschuldung 2009 bei lediglich 45,8 Prozent und die Zinstilgung bei nur 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag. Sicher ist es richtig, dass das Haushaltsdefizit in diesem Jahr mit neun Prozent des BIP sehr hoch ausfällt und dass dies nicht endlos so weitergehen kann. Aber das wird es auch nicht: Wenn die Wirtschaft wächst, steigen die Steuereinnahmen, Ausgaben für „automatische Stabilisatoren“ gehen zurück und die Schulden werden relativ zum Wirtschaftsvolumen sinken. Und das ist das Entscheidende.

Es ergibt keinen Sinn, jetzt die Ausgaben zu kürzen und Steuern zu erhöhen, wo die Wirtschaft immer noch sehr schwach ist, keine Inflationsgefahr besteht, dafür aber ein ernsthaftes Risiko eines Rückfalls in die Rezession. Es sei denn, dass Ziel besteht darin, Löhne und Sozialleistungen zu senken, die Gewerkschaften zu schwächen, von unten nach oben umzuverteilen und den Staat zu schleifen – dann gibt es in der Tat keinen günstigeren Zeitpunkt, diese Dinge jetzt in Angriff zu nehmen.

Mark Weisbrot ist stellvertretender des Centre for Economic and Policy Research in Washington. Übersetzung (gekürzte Fassung): Holger HuttDirektor

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Mark Weisbrot | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden