Der Anzeigen-Alptraum

Medienkrise Die Leser tauschen ihre Zeitungsabos massenhaft gegen die Lektüre im Internet ein. Warum nur folgen ihnen die Werbekunden nicht?

Wenn Sie mir vor fünf Jahren gesagt hätten, dass der Zeitungsmarkt im Jahr 2009 möglicherweise in seine finale Phase eintreten würde, wäre ich vermutlich nicht allzu überrascht gewesen. Schließlich sind wir am Ende einer Entwicklung angekommen, die seit 25 Jahren andauert. Anfang der 80er schmunzelten die TV-Nachrichtensprecher noch, wenn sie Berichte über die Absurdität digitaler Nachrichtenverbreitung anmoderierten.

Wenn sie mir gleichzeitig gesagt hätten, lediglich ein kleiner Teil der Werbekunden würde aus der Zeitung ins Internet wandern, wäre mir allerdings der kalte Schweiß ausgebrochen. Vor fünf Jahren war ich noch recht optimistisch und stellte mir einen mehr oder weniger reibungslosen Übergang in eine kostenfreie, anzeigengestützte Online-Zukunft vor. Doch ich sollte mich irren. Und auch wenn die Lage sich möglicherweise noch verbessert, so sieht doch gegenwärtig alles danach aus, als könnte Internet-Webung nie genügend Gewinn einspielen, um uns das Goldene Zeitalter zurückzubringen.

Am Montag gab es in der New York Times zwei Nachrichten, an denen man viel über den Zustand des Nachrichtenwesens ablesen kann. Die größte Aufmerksamkeit erhielt ein Bericht über die Auflageneinbrüche bei den US-Zeitungen, denn hier waren große, furchteinflößenden Zahlen zu lesen. Der Bericht, in dem es um Werbetrends ging, dürfte allerdings auf lange Sicht von größerer Bedeutung sein.

Aber zunächst zu den Auflagen. Den Zahlen des marktführenden Audit Bureau of Circulation (ABC) zufolge sind die Auflagen der amerikanischen Tageszeitungen in den sechs Monaten bis zum 30. September im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 10,6 Prozent zurückgegangen. Die Zahlen für Boston waren ganz besonders bitter, was zum einen an der ausgesprochen guten Internet-Infrastruktur und zum anderen an den horrenden Preise unserer beiden Tageszeitungen – des renommierten Globe und des Boulevardblatts Herald – liegen könnte.

Laut ABC ist die Auflage des Globe wochentags um mehr als 18 Prozent auf 264.000, und an Sonntagen um beinahe 17 Prozent auf 419.000 zurück gegangen. Die Wochentags-Auflage des Daily Herald sank um über 17 Prozent auf 138.000, die Sonntagausgabe um 5 Prozent auf 96.000. Ruft man sich in Erinnerung, dass der Globe in den 1980ern wochentags mehr als 500.000 und sonntags mehr als 800.000 verkauft hat und die Auflage des Herald mindestens doppelt so hoch war wie heute, dann wird deutlich: Die Printausgaben befinden sich im freien Fall.

Dies wäre an sich nicht weiter schlimm, gäbe es da nicht noch die andere Seite der Gleichung. Denn wie die meisten anderen Zeitungen auch ziehen Globe und Herald das Interesse vieler Online-Leser auf sich. Nach Angabe von Compete.com brachte es die Globe-Seite Boston.com im September auf 5,2 Millionen Unique Visitors, und Boston.Herald.com auf 1,3 Millionen. Eine aktuelle Studie zeigt, dass jeden Monat 74 Millionen Menschen die Website einer Zeitung besuchen. Aber nach Jahren des Wachstums, könnte sich die Online-Werbung nun zu einem Zeitpunkt von den Zeitungen abwenden wo sich für die Verleger zum ersten Mal das mit großer Hoffnung erwartete Ende der Rezession andeutet.

Ebenfalls am Montag schrieb Stephanie Clifford in der New York Times, Werbekunden erachteten die Online-Auftritte von Zeitungen zunehmend als zu teure Werbeplätze, die für sie nur noch für bestimmte hochwertige Produkte, nicht aber für das alltägliche Anzeigengeschäft in Frage kämen. Da spielt es wohl kaum eine Rolle, dass Anzeigen im Internet im Vergleich zu Print-Anzeigen lediglich Cent-Beträge kosten. Im Netz gibt es immer etwas, was noch billiger ist. In diesem Fall Netzwerke, die die Anzeigen auf einer ganzen Reihe von Seiten schalten.

Die Wahrheit ist jedenfalls, dass, obwohl das Aufkommen an Internet-Werbung in den USA in diesem Jahr voraussichtlich um 9,2 Prozent auf 54 Milliarden Dollar ansteigen wird, sie bei vielen Zeitungsverlagen zurückgeht. „Ein ernüchternder Trend für alle Geschäftsführer von Zeitungsverlagen, die einmal gehofft hatten, die Gewinne aus der Online-Werbung könnten die Rückgänge im Print-Geschäft wettmachen“, schreibt Clifford.

In einem Video-Interview für den soeben erschienenen Technorati-Bericht State of the Blogoshere 2009, fragt sich sogar Dan Gillmor, der enthusiastische Fürsprecher von neuen Formen des Online-Journalismus und Autor des Buches We the Media, ob die Internet-Werbung sich jemals rechnen werde. Über die Frage, ob es am Ende einen Markt geben wird oder nicht, werde in den kommenden Jahren bestimmt noch einiges zu berichten sein, so Gillmor.

Da verwundert es nicht, dass gegenwärtig den journalistischen Non-Profit-Modellen viel Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Wie Clay Shirkey und andere argumentiert haben, könnten wir am Ende einer Ära angekommen sein, die mit dem Aufstieg der Penny-Press genannten Boulevard-Presse in den USA der 1830er Jahre ihren Anfang nahm – einer Zeit, in der die Anzeigenkunden aus Mangel an alternativen Werbeträgern die Zeitungsbesitzer mit so viel Geld überschütteten, dass diese gar nicht anders konnten, als dieses teilweise in die Redaktionen zu stecken, nachdem ihre eigenen Taschen so voll waren, dass nichts mehr hineinpasste.

Die Anzeigenkunden brauchen die Zeitungen nicht mehr, zumindest bei weitem nicht mehr in dem Maße, wie dies einmal der Fall war. Die Zeitungen hingegen brauchen die Anzeigenkunden. Wie wird dieses existentielle Dilemma gelöst werden? Um Gillmore zu zitieren – ein Thema, das uns in Zukunft noch viel beschäftigen wird.

Dan Kennedy lehrt Journalismus an der Northeastern University in Boston und bloggt auf Media Nation

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Dan Kennedy, The Guardian | The Guardian

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