Iran Mit der Wahl Mitte Juni geht die Ära Ahmadinedschad zu Ende. Revolutionsführer Chamenei kann auf einen loyalen Nachfolger hoffen. Bisher gibt es nur regimetreue Bewerber
Ali Chamenei, der oberste geistliche Führer des Iran, blickt von einem riesigen bunten Wandbild des Teheraner Ministeriums herab, das die Kandidaten für die am 14. Juni stattfindende Präsidentschaftswahl registriert. Hinter ihm erinnert das Konterfei Ajatollah Chomeinis daran: Das politische System der Islamischen Republik, die er 1979 gegründet hat, ist auch heute noch so komplex und undurchschaubar wie eh und je.
Fest steht nur: In drei Wochen wird die Zeit des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad unwiderruflich vorbei sein. Der aggressive Populist hatte beim Votum 2009 eine zweite Amtszeit errungen, obwohl es nach dem Eindruck vieler Beobachter beträchtliche Unregelmäßigkeiten gab. Mir Hossein Mussawi, der Führer der Grünen Bewegung, die sei
g, die seinerzeit für sich in Anspruch nahm, gesiegt zu haben, bleibt weiter aus der Öffentlichkeit verbannt. Seinen Anhängern fehlt es an Organisation, sofern sie auf freiem Fuß sind. Sollte nicht das Unerwartete eintreten – was bei Wahlen im Iran immer denkbar ist –, wird am 14. Juni kein wirklicher Oppositionskandidat antreten.Am 11. Mai hatte sich der einflussreiche Haschemi Rafsandschani registrieren lassen, doch wurde er inzwischen vom Wächterrat relegiert. Seit Jahrzehnten gab der Ex-Präsident die graue Eminenz der iranischen Politik. Nachdem ihn Ahmadinedschad 2005 geschlagen hatte, unterstützte er zwar 2009 nicht offen die grüne Opposition, drängte aber die Regierung nach den Wahlen, mehr auf die Sorgen und Nöte der Menschen zu achten. Anders als Mohammed Chatami, dessen von 1997 bis 2005 währende Präsidentschaft heute wie in Gold getaucht scheint, hat Rafsandschani die Verbindung zu Ali Chamenei nie abreißen lassen. Allerdings blieb unklar, ob diese Sphinx ernsthaft kandidieren wollte oder vielmehr vorhatte, die Rolle des Königsmachers zu spielen.Mit Rafsandschanis Ausschluss hat sich einmal mehr die Annahme bestätigt, bei der anstehenden Abstimmung handelt es sich lediglich um einen Wettstreit zwischen in der Wolle gefärbten Konservativen. Reformer sind nicht erwünscht. „Eine Konstante bei Wahlen hier ist die große Überraschung“, lacht Farah, ein Facharbeiter mittleren Alters. „Dazu gehört das zur Schau gestellte Desinteresse vieler Iraner, die dann in letzter Minute doch an die Wahlurne stürzen.“Der Schatten von 2009Es steht allemal viel auf dem Spiel, für die Islamische Republik, vielleicht für die ganze Welt. Das Wahlergebnis wird den Nuklearkonflikt mit dem Westen ebenso beeinflussen wie die internationalen Sanktionen und eine verheerende interne Wirtschaftskrise.„Im Kampf um die Präsidentschaft geht es nicht allein um die Exekutive, sondern um das künftige Schicksal des Landes“, meint Mohammad Ali Shabani, Chefredakteur der Iranian Review of Foreign Affairs. Die Staatsmedien preisen bereits jetzt die exemplarische Organisation der Wahl, sagen eine enorme Beteiligung voraus und deuten dies als Beleg für ein funktionierendes demokratisches System.Unterhalb des offiziellen Enthusiasmus schlummern Apathie und Frustration. Die Abstimmung von 2009 wirft einen riesigen Schatten auf 2013. Noch frisch ist die Erinnerung an die Missachtung der Proteste vor vier Jahren, als vermutete Manipulationen Ahmadinedschad begünstigten. Der Versicherungsangestellte Ali Morvarid glaubt daher nicht, dass irgendein Bewerber, der sich ideologisch nicht auf der Linie Chameneis befindet, eine Prüfung durch den Wächterrat übersteht, wie das Beispiel Rafsandschani zeige. Skeptiker wie er wollen zwar zur Wahlurne gehen, um Repressionen zu vermeiden, ihre Wahlzettel aber ungültig machen.Zu Ahmadinedschads möglichen Nachfolgern zählen der loyal zu Ali Chamenei stehende Saeed Jalili, der sich als Verhandlungsführer bei den Atomgesprächen profilieren konnte. Oder Hassan Rowhani, der ebenfalls viel mit diesem heiklen Thema zu tun hatte. Mohammed Baqer Qalibaf, Bürgermeister von Teheran und ehedem hochrangiger Offizier der Revolutionsgarden, vertritt eine Agenda der Modernisierung und hat den Ruf eines fähigen Managers. Schließlich tritt auch Ali Akbar Velayati an, der von 1981 bis 1997 Außenminister war und als äußerst konservativ gilt.Offen war bisher, ob Ahmadinedschads ehemaliger Berater, Esfandiar Rahim Mashaei, den Chamenei und dessen Anhänger hassen, zu den Wahlen zugelassen wird. Sollte ihm eine Kandidatur weiter verwehrt bleiben, könnte sich der scheidende Präsident womöglich kurz vor der Abstimmung gegen Chamenei wenden, indem er öffentlich macht, was bei der Wahl 2009 wirklich passiert ist – ob es Manipulationen gab und wer dafür zuständig war.„Der Iran gibt immer Rätsel auf. Er eignet sich nicht für Vereinfachungen“, sinniert Roberto Toscano, der als Botschafter Italiens in Teheran residierte, als Ahmadinedschad zum ersten Mal Staatschef wurde. „Chamenei wünscht sich als Oberster Führer einen willfährigen und disziplinierten Handlanger, er braucht aber zugleich einen Präsidenten, der fähig ist, schwierige Probleme sensibel zu lösen. Mit Ahmadinedschad musste er in dieser Hinsicht böse Überraschungen erleben. Er dachte, der würde sein Messdiener, doch dann stellte sich heraus, dass Ahmadinedschad der Priester sein wollte.“Ayatollah Chamenei, dessen Theokratie nach wie vor von den Revolutionsgarden, vom Geheimdienst, von der Justiz und religiösen Stiftungen gestützt wird, behielt stets die Kontrolle über die nationale Sicherheit und die Atompolitik. Über die Position in der Syrien-Krise entscheidet gleichfalls der Revolutionsführer, der die Iraner bereits davor gewarnt hat, für Kandidaten zu stimmen, die eine konziliante Haltung gegenüber den USA einnehmen.Offenkundig braucht das Regime dieses Präsidentenvotum, um etwas für seinen Stand bei den Atomgesprächen und im Umgang mit dem Ausland zu tun. Den eigenen Bürgern kann bei dieser Gelegenheit gezeigt werden, dass es an der inneren Stabilität nichts zu rütteln gibt. Die Botschaft nach draußen lautet: 40 Millionen haben sich an diesem Urnengang beteiligt, bei dem alles friedlich blieb. Ihr müsst also mit uns klarkommen – wir werden nicht verschwinden!Der Mythos ChomeiniDennoch ändert das gar nichts am desolaten Zustand der Wirtschaft. Experten sind sich einig: Seit Ende des Krieges gegen den Irak 1988 war die Lage nie so desaströs. „Es ist mir egal, wer Präsident wird, ich hoffe nur, dass er durch die Gnade Gottes in der Lage sein wird, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen“, sagt Hamid Reza, ein Regierungsangestellter mittleren Alters. „Ich habe es satt, mir jeden Tag Sorgen um die Preise und die Inflation machen zu müssen.“Nur Dissidenten und Reformer wagen auszusprechen, dass eine dahinsiechende Ökonomie auch der Außenpolitik zu verdanken ist. „Viele Iraner glauben, dass bessere Beziehungen zum Westen auch für ökonomischen Aufwind sorgen können“, meint Mohammed Karroubi, dessen Vater Mehdi Karroubi, ein gemäßigter Kleriker, neben Mussawi zur Wahl 2009 angetreten war und bis heute unter Hausarrest steht. „Die Menschen spüren enormen sozialen Druck und müssen hinnehmen, dass Medikamente oder bestimmte Lebensmittel knapp sind, weil die Sanktionen Wirkung zeigen“, meint Mohammed Karroubi.Es wäre falsch, die Wahl des künftigen Präsidenten – wie das radikale Gegner des Regimes tun – als reine Farce zu betrachten. Der Iran ist zwar in westlichem Sinne keine Demokratie, aber genauso wenig handelt es sich um ein völlig zentralisiertes System im Stil der Sowjetunion. „Bis zu einem gewissen Punkt findet eine Debatte über die Verteilung der Ressourcen, über Transparenz und Verwaltung statt“, meint ein angesehener iranischer Beobachter, der heute im Exil lebt. „Die begrenzte Debatte vor dem Votum verschafft dem System genügend Flexibilität, um einige Fehler zu korrigieren und Gedanken an einen Regimewechsel die Energie zu entziehen.“Individuelle Entscheidungen wie die Option für einen Präsidentschaftskandidaten werden noch immer von den Visionen des 1989 verstorbenen Ruhollah Chomeini, des spirituellen Führers der Islamischen Revolution, beeinflusst. Ihm fühlen sich Millionen Iraner loyal verbunden. „Sehen Sie, das Entscheidende besteht darin, das Regime vor Angriffen aus dem Ausland zu beschützen“, sagt Mohammad, der als Ingenieur zur paramilitärischen Basij-Miliz gehört. „Wenn ich wählen gehe, dann will ich dadurch die Basis der Revolution und des Obersten Führers stärken. Ich werde demjenigen meine Stimme geben, der mir dafür am geeignetsten erscheint.“
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.