Der Blender

Porträt Ahmad Tschalabi war einst ein US-Favorit. Nun könnte er auf ungeahnte Weise von der irakischen Staatskrise profitieren
Ausgabe 30/2014
Es gibt kaum ein Lager, mit dem Ahmad Tschalabi noch nicht paktiert hat. Vielleicht macht ihn gerade das zu einem geeigneten Regierungschef für den Irak
Es gibt kaum ein Lager, mit dem Ahmad Tschalabi noch nicht paktiert hat. Vielleicht macht ihn gerade das zu einem geeigneten Regierungschef für den Irak

Foto: John Moore/ AFP/ Getty Images

Er galt erst als Präsidentschaftsanwärter, dann als Betrüger, dann wieder als wirtschaftlicher Heilsbringer. Er ließ sich von Washington päppeln und von Teheran umwerben. Heute hofieren ihn Amerikaner und Iraner als den Mann, der den Irak retten könnte.

Ahmad Tschalabis wechselhafte Karriere spielte sich weitgehend im Mittelpunkt des Chaos ab, in dem sein Land seit zwei Jahrzehnten versunken ist. Als Exilpolitiker war der Mathematik-Professor mehr als jeder andere Iraker am Sturz Saddam Husseins beteiligt. Seine Partei, der Irakische Nationalkongress (INC), verbreitete 2003 die Falschmeldung über Saddams Kontakte zu al-Qaida und über die angeblichen Massenvernichtungswaffen. Da wurden die subversiven Aktionen des INC schon lange aus US-Quellen finanziert.

Tschalabis Feinde sagen, in der turbulenten Zeit nach dem US-Einmarsch vom März 2003 habe er sich nicht wenig willfährig gezeigt, bald aber die Nähe zum Iran gesucht, mit dem er auf Kosten der irakischen Regierung enge Bande knüpfte. Zwischendurch führte er eine „Säuberungsaktion“ gegen ehemalige Mitglieder von Saddams Baath-Partei an und mischte mit im Gewirr der irakischen Politik. Im Moment schafft er es wieder, sich als derjenige zu präsentieren, der das Land durch schwerste Prüfungen steuern kann. Seit Wochen wird penetrant Tschalabis Name genannt, wenn es um die Nachfolge des angeschlagenen Premiers Nuri al-Maliki geht. Tschalabi gilt als einer der wenigen, die eine Auflösung des Landes aufhalten könnten.

Seit dem Aufmarsch der islamistischen Kämpfer macht sich ein „Zurück in die Zukunft“-Gefühl breit: politische Erstarrung, ethnische Spannungen und – um ein Jahrzehnt gealtert – sattsam bekannte Gesichter. „Keiner von uns kann den Typen leiden“, sagt ein ranghohes Kabinettsmitglied über Tschalabi. „Aber ebenso wie meine Freunde stelle ich fest, dass er mehr Möglichkeiten hat als wir alle.“ Ammar al-Hakim, Chef der Partei Oberster Islamischer Rat, für die Tschalabi bei der Parlamentswahl Ende April antrat, brachte den 69-Jährigen als Anwärter für das Amt des Premiers in Stellung. Auch die radikalschiitische Sadristen-Bewegung findet Gefallen an Tschalabi. Ebenso die Kurden, mit denen er seit 2012 feste Allianzen geschmiedet hat. Im Irak gilt bislang die Übereinkunft, dass die Schiiten den Regierungschef stellen, die Sunniten den Parlamentssprecher und die Kurden den Präsidenten. Das Problem für den streng schiitischen, dabei aber liberalen Tschalabi ist die politische Arithmetik. Al-Hakim und die Sadristen kommen zusammen auf 63 Parlamentssitze, während al-Malikis Rechtsstaat-Allianz über 92 Mandate verfügt. Und die will, dass ein nächster Ministerpräsident aus ihren Reihen kommt. Sie sehen Tschalabi als Blender. „Jüngst sprach ich den Premier auf Tschalabi an“, erzählt ein Abgeordneter, „und al-Maliki sagte: ‚Von dem Typen in roten Unterhosen will ich nichts wissen.‘ “ Tschalabi geht jeden Tag schwimmen, in roter Badehose.

Doch auch die USA können sich für diesen Aspiranten erwärmen, Mitte Juni traf sich ihr Botschafter in Bagdad mit Tschalabi – der erste Austausch zwischen einem hochrangigen Beamten aus dem State Department und dem einstigen Favoriten seit dem Zerwürfnis von 2004. Damals soll Tschalabis Sicherheitschef Aris Habib Teheran verraten haben, dass die USA einen iranischen Kommunikationscode geknackt hatten. Tschalabi selbst, so hieß es, habe einem betrunkenen US-Agenten die Information entlockt. Als Präsident Bush davon erfuhr, wies er das Pentagon an: „Tschalabi wird der Sold gestrichen.“ Die monatliche Zuwendung von 330.000 Dollar, die Tschalabis INC ein Jahrzehnt lang vom US-Geheimdienst erhalten hatte, nahm ein abruptes Ende. Noch Monate zuvor hatte Laura Bush Tschalabi beherbergt, während ihr Mann seine Rede zur Lage der Nation im Jahr 2004 hielt.

Tschalabi weiß immer wieder mächtige Beschützer über sich. In der ersten Phase des Aufstands in Syrien besuchte er regelmäßig Präsident Assads Sicherheitschef Mohammed Nassif. Als in Bahrain die Proteste der schiitischen Mehrheit gegen das sunnitische Königshaus tobten, beriet er die Oppositionspartei al-Wifaq. Sein wichtigster Helfer aber ist der iranische General Qassem Soleimani, Kommandeur der Al-Quds-Einheit innerhalb der Revolutionsgarde, der gleichermaßen in Bagdad wie in Damaskus und im Südlibanon als Strippenzieher agiert. Diese Allianz verleiht Tschalabi Macht und Einfluss weit über sein politisches Geschick hinaus. Gleich nach Tschalabis Versöhnungstreff mit dem US-Botschafter kam Soleimani nach Bagdad.

„Im ganzen Irak versteht sich niemand besser als Ahmad Tschalabi auf riskante Manöver und auf das verschachtelte Spiel der Politik“, sagt Ramzy Mardini, ein in Jordanien ansässiger Polit-Analytiker, der für den Thinktank The Atlantic Council arbeitet. „Dass er bis heute überlebt hat, ist eigentlich nicht zu begreifen. Aber sein Trumpf sind die Beziehungen zum Iran, was ihm eine realistische Chance gibt, sollte al-Maliki aus dem Amt gedrängt werden. Das Chaos ist für ihn keine Fallgrube, sondern eine Leiter – er weiß, wie er eine Krise für seine Interessen und seinen politischen Aufstieg nutzen kann.“ Die nächsten Wochen werden zeigen, inwieweit Tschalabi auf seine mächtigen Unterstützer bauen kann. Al-Maliki – offenbar bestärkt von einem Privatgespräch mit Großayatollah Ali al-Sistani, dem höchsten schiitischen Geistlichen im Irak – verkündete gerade, Tschalabi werde gar nichts erreichen. Und einige derer, die kürzlich noch für ihn als Ministerpräsident warben, sagen nun, er wäre besser als Finanzminister geeignet.

Martin Chulov ist seit 2005 Mittel- und Nahost-Korrespondent des Guardian

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Martin Chulov | The Guardian

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