Der Cyber-Krieger

Michael Rogers wird bald wohl das Kommando über den US-amerikanischen Geheimdienst NSA übernehmen. Er soll über „einzigartige Qualifikationen“ verfügen. Welche das sind? Geheim!
Ausgabe 07/2014

Der Vizeadmiral kennt sich aus in diesem sensiblen Metier. Als Kommandeur für die zehnte Flotte der US-Navy und des Cyber Command – einer Behörde, die sich der elektronischen Kriegsführung und Internetsicherheit widmet – soll er Mitte März abdanken und danach NSA-Direktor Keith Alexander ablösen. Der wirkt politisch und nervlich angeschlagen, seit er durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowdens gegen seinen Willen Bekanntheit erlangte.

Neben Rogers ist Richard Ledgett als neuer NSA-Vizedirektor nominiert. Bisher leitete der die Ermittlungen gegen Snowden und brachte jüngst eine mögliche Amnestie für den ehemaligen Vertragsarbeiter der NSA ins Gespräch. Sollte die Wahl tatsächlich auf Ledgett fallen, wäre er der höchste zivile Leiter des größten Auslandsgeheimdienstes der Vereinigten Staaten.

Der 54-jährige Michael Rogers dagegen hat seit 1986 nach einem Studium an der Auburn Universität im US-Bundesstaat Alabama viele Jahre als Kryptologe bei der Navy gearbeitet. Ihm kommt bei seinem Aufstieg entgegen, dass die Marine an der Reihe ist, den neuen NSA-Direktor vorzuschlagen. Keith Alexander, der noch amtierende Abhör-Boss, war Armeegeneral der Landstreitkräfte, während dessen Vorgänger Michael Hayden aus der Air Force kam. In Rogers militärischer Vita schlägt zu Buche, dass er als Geheimdienstspezialist auf US-Schiffen im Atlantik, im Mittelmeer, im Persischen Golf und in der Karibik stationiert war. Er hat Erfahrungen sowohl bei der Kryptographie als auch elektronischen Überwachung sammeln können. Überdies gilt der im Staat Illinois geborene Militär als ausgewiesener Spezialist für eine ausgefeilte Cyber-Strategie und -Kriegsführung. Beides ist für eine NSA der Zukunft unverzichtbar.

Die seit dem Zweiten Weltkrieg inaktive10. US-Flotte wurde bereits als Cyber Security Command der Navy reaktiviert und in Fort Meade stationiert. Dort hat neben dem NSA-Hauptquartier auch das noch im Aufbau befindliche Cyber Command seinen Standort, dem Rogers – falls der Senat sein Einverständnis gibt – ebenfalls vorstehen soll. Er müsste sich nicht weiter umstellen. Schließlich arbeitete Rogers bereits zwei Jahre lang als Geheimdienstkoordinator des Generalstabs – ein prestigeträchtiger Posten innerhalb des Pentagon. Da ihm in dieser Position stets die größte Zurückhaltung auferlegt war, weiß offiziell niemand, was der Admiral über Art und Umfang der massenhaften Abschöpfung von Telekommunikationsdaten denkt.

Genau genommen fehlt auch dem Senat die gebotene Autorität, Rogers dazu mit Nachdruck zu befragen. Das Amt des NSA-Direktors muss nicht von dieser Kammer im Kongress bestätigt werden – es kann. Für Rogers’ Ernennung zum Chef des Cyber Command aber, das der NSA beigeordnet und beim Schutz sämtlicher Netzwerke des US-Militärs weitgehend auf deren Personal angewiesen ist, wird eine klare Mehrheit unter den Senatoren gebraucht. Diese Vorgabe führte dazu, dass Rogers’ Anhörung vor dem Armed Services Committee des Senats von dessen Mitgliedern quasi stellvertretend dafür genutzt wurde, etwas über die politischen Auffassungen des Bewerbers zu hören. Auf jeden Fall deutet alles darauf hin, dass sich der wortkarge Rogers keiner übermäßigen Konkurrenz erwehren muss. In Washington kursiert lediglich das Gerücht, Generalleutnant Mike Flynn – Direktor der Defense Intelligence Agency – sei ebenfalls als Kandidat für die NSA-Spitze im Gespräch. Doch selbst Senatoren, die eine Nominierung des Veteranen aus dem Joint Special Operations Command gutheißen, gehen nicht davon aus, dass sich Flynn Hoffnungen auf den Job machen kann.

Verteidigungsminister Chuck Hagel hat bereits in einem offiziellen Statement zu verstehen gegeben, er habe im Weißen Haus Rogers ausdrücklich empfohlen und auf dessen „außergewöhnliche und einzigartige Qualifikationen“ verwiesen. „Ich bin zuversichtlich, dass Vizeadmiral Rogers über die Weisheit verfügt, um die Bedürfnisse nach nationaler Sicherheit, nach Privatsphäre und Freiheit im digitalen Zeitalter miteinander zu versöhnen“, preist Hagel seinen Favoriten.

Sollte es wie geplant dazu kommen, wird General Alexander im März eine Behörde übergeben, die nach Meinung vieler Beobachter mit den Enthüllungen Snowdens den größten Schlag ihrer Geschichte zu verkraften hat. Beobachtern zufolge wird sich eine neue Führung darum sorgen müssen, das Vertrauen der amerikanischen Öffentlichkeit wie auch vieler Kongress-Abgeordneter in diesen skrupellos omnipotenten Geheimdienst zurückzugewinnen. Letztere haben mehrere Gesetzentwürfe eingebracht, um die Befugnisse der NSA zu beschneiden und der massenhaften Abschöpfung von Telekommunikationsdaten ein Ende zu bereiten.

Wie schon die NSA-Direktoren vor ihm, dürfte Rogers häufig auf dem Capitol Hill zu Gast sein – bei geheimen Briefings ebenso wie bei Kongress-Debatten über Befugnisse oder Missgriffe der NSA und die sich daraus ergebenden Wirkungen auf die eigene Gesellschaft. Ein erster Test für den neuen Chef wird sich aus der Absicht der Regierung ergeben, die Zwischenspeicherung von Telekommunikationsmetadaten auszulagern. Präsident Barack Obama plädiert dafür, obwohl fast alle Telekommunikationsunternehmen abwinken. Wenn sie statt der NSA für eine „Aufbewahrung“ dieser Daten zu sorgen hätten, könnten die Kosten explodieren,

Spencer Ackerman ist Redakteur für Nationale Sicherheit bei der US-Online-Ausgabe des Guardian

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Spencer Ackerman | The Guardian

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