Das Pentagon – vom Krieg in Afghanistan bis an die Grenze der Belastbarkeit strapaziert und heftig entschlossen, sich in keinen Waffengang auf libyschem Territorium einzulassen – will um so mehr zwischen Euphrat und Tigris präsent bleiben. Jedenfalls denkt die Armee vorläufig nicht daran, auf ihre nach wie vor beachtliche Truppenstärke im heute größtenteils friedlichen oder befriedeten Irak zu verzichten. Das mag seltsam und unnötig erscheinen, deckt sich aber vollkommen mit Ambitionen, wie sie die Planer der Invasion vom März 2003 beseelte. Neocons wie „Realisten“ in der damaligen Administration des Republikaners George W. Bush wollten schon immer auf längere Sicht im nördlichen Nahen Osten bleiben, um zwischen Syrien und Iran einen Fuß in der Tür zu haben.
Wie bei anderen Vorhaben der von Bush geerbten geopolitischen Strategie hält Obama auch in dieser Hinsicht Kurs. Da kann es nicht weiter überraschen, wenn der Stabschef, Admiral Mike Mullen, Anfang Mai in Bagdad verhandelt, um die Regierung al-Maliki zu drängen, jenes Abkommen zu ändern, demzufolge alle US-Soldaten bis Ende 2011 den Irak verlassen müssen. Verteidigungsminister Gates hatte kurz zuvor in gleicher Mission und mit gleichem Ziel vorgesprochen. Inzwischen jedoch vereint Sunniten und Schiiten im Irak ein Nationalgefühl, wie es das seit dem ersten Jahr der US-Besatzung – als sich ein sektiererischer Schlund öffnete und die Gesellschaft in den Abgrund eines Bürgerkrieges riss – nicht mehr gegeben hat. In Mosul kamen um die 5.000 Demonstranten, darunter auch Mitglieder des Provinzrates und Stammesführer zusammen, um gegen jede US-Präsenz zu protestieren, die das vereinbarte Zeitfenster sprengt. In Bagdad marschierten Tausende Sympathisanten des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr auf. Eine wieder auflebende nationale Würde hatte Premier Nuri al-Maliki bereits bestärkt, die Bush-Administration zu drängen, dem Rückzug aller Kampfeinheiten bis Mitte 2010 zuzustimmen und für die verbleibenden 47.000 Mann eine Frist bis spätestens Ende 2011 zu akzeptieren.
Aufputschender Frühling
Admiral Mullen und Robert Gates haben die Regierung in Bagdad gewarnt, den schwelenden Streit zwischen Arabern und Kurden über die Ölvorkommen in der Region Kirkuk und die latente Bedrohung durch Al-Qaida-Filialen im Irak zu unterschätzen. Allein deshalb müssten US-Truppen die Stellung halten und operationsfähig sein. Regierungschef al-Maliki hielt dagegen, der Irak habe den Abzug von US-Kontingenten seit neun Monaten überlebt, ohne dass die Sicherheit zusammengebrochen sei. Warum sollte sein Land zu einer Zeit, da Menschen in der gesamten arabischen Welt um ihre Rechte kämpfen, fortgesetzter Demütigung durch fremde Truppe unterworfen bleiben, wie sie sonst kein Land in der Region hinnehmen müsse. Anders als Ende 2008, da die Übereinkunft zum Ausstieg der US-Truppen geschlossen wurde, hat der militante Prediger Muqtada al-Sadr heute eigene Minister in der Regierung. Dadurch fällt es Premier al-Maliki leicht, mit dem Verweis auf Koalitionszwänge den Amerikanern zu widersprechen. Er muss es auch deshalb riskieren, weil er sich innenpolitischem Druck à la arabischer Frühling ausgesetzt weiß. Im Februar folgten Tausende dem Aufruf zu einem „Tag des Zorns“ gegen Arbeitslosigkeit, Korruption, Elektrizitätsmängel und eine versagende Verwaltung. 20 Menschen starben in Bagdad, als Sicherheitskräfte das Feuer eröffneten. Es wäre töricht von al-Maliki, wollte er sich durch Konzilianz gegenüber den Wünschen der US-Regierung selbst schwächen.
Erst vor einer Woche wurden der irakischen Administration Dokumente bekannt, die belegen, dass die britische Regierung unter Tony Blair Monate vor der Intervention gegen den Irak 2003 beschlossen hatte, im Weißen Haus Lobbyarbeit zugunsten von British Petroleum (BP) zu betreiben. Diese und andere Firmen sollten von den Ölverträgen nach Saddam Hussein profitieren, sofern Großbritannien den Sturz des irakischen Regimes nach Kräften unterstützen würde. Die Herausgabe der Protokolle erfolgte auf Anfrage von Greg Muttitt, eines Experten für Energiewirtschaft, als der für sein Buch Fuel on the Fire recherchierte und Aktivitäten westlicher Unternehmen im besetzten Irak nachging. Auch wenn diese Papiere nicht die vereinfachende These stützen, es sei „nur ums Öl“ gegangen, zeigen sie doch, dass es verlockend war, den ursprünglich nationalisierten Ölsektor des Irak zu kontrollieren.
Die interessantesten Teile des Buches von Muttitt befassen sich mit der Zeit nach der Invasion, als britische und amerikanische Offizielle eng mit großen westlichen Ölfirmen kooperierten, um die irakische Regierung zu veranlassen, Ölfelder zu privatisieren und ausländische Bewerber bei der Vergabe von Konzessionen zu bevorzugen. Übrigens gegen den vergeblichen Widerstand von Angestellten der Ölbranche, von Gewerkschaften und irakischen Ingenieuren, von denen die meisten bequem kaltgestellt wurden, weil sie Anhänger der Baath-Partei waren.
Als besonders wendige Figur erwies sich dabei Ölminister Hussain al-Sharistani. Der wurde einst als Atomwissenschaftler gefoltert, weil er sich weigerte, Saddam Hussein zu unterstützen, konnte aus dem Irak fliehen, war aber im Gegensatz zu anderen prominenten Exilanten gegen die Invasion. Einmal an der Macht stellte er die Gewerkschaft der Ölarbeiter unter Verbot, ordnete polizeiliche Durchsuchungen ihrer Büros an und fror ihre Vermögen ein.
Jonathan Steele, Kolumnist und Reporter des Guardian Übersetzung: Zilla Hofman
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