Michael Schumachers Unfall wurde offenbar von einem anderen Skifahrer mit dem Smartphone gefilmt, der gerade dabei war, die Skikünste seiner Freundin festzuhalten. Bemerkenswert an dieser Geschichte ist, dass der Mann das Beweismittel den französischen Behörden übergeben möchte.
Ich denke, dass ich nicht der einzige bin, der diesen Film gerne sehen würde und es genug Schaulustige wie mich gibt, dass sich das Ganze finanziell lohnen würde. Ich bin mir sicher, dass ich genügend Zuschauer und damit auch genügend Werbung generiert hätte, um meine weitere Anstellung beim Guardian zu rechtfertigen, wenn ich ihn gekauft und auf unsere Seite gestellt hätte. Online-Video-Advertising ist die einzige Art von Werbung, mit der sich heutzutage gutes
age gutes Geld verdienen lässt. Es wäre verwunderlich, wenn niemand dem Mann, der das Video aufgenommen hat (der Spiegel spricht lediglich von einem 35-Jährigen Rheinländer), Geld angeboten hätte.Trotzdem ist es bei SPON nicht zu finden. Es wurde schlicht und ergreifend den französischen Behörden angeboten und das ist in moralischer Hinsicht sicherlich auch das einzig Richtige. Welches Recht hätten wir denn, uns von dem Unfall eines Fremden unterhalten oder zerstreuen zu lassen?Das in Bezug auf Schumacher zu fragen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, schließlich hat er sich als Rennfahrer einen Namen gemacht und ein Vermögen verdient. Die Formel Eins ist aus Werbesicht im Grunde nichts anderes als eine Gelegenheit, zwei Stunden ununterbrochen Werbung auf den Bildschirm zu packen – gespickt mit der Möglichkeit, dass eine der rasenden Werbetafeln einen Unfall baut und in Flammen aufgeht. Man könnte also argumentieren, dass die Befriedigung der Neugier und Schaulust, die den Film auch fianziell interessant macht, Schumacher überhaupt erst zu dem gemacht hat, was er ist. Man könnte argumentieren, dass er als Person des öffentlichen Interesses kein Recht auf Privatsphäre hat.Aber das kann nicht sein. Er fuhr privat Ski, ohne dass ihn irgendjemand dafür bezahlt hätte. Zwar mag es sein, dass er kein spezielles Recht auf Privatsphäre hat, aber wir haben ebenso kein Recht darauf, uns an seinem Unfall zu delektieren.Früher musste sich die Niedertracht mit dem Unglück derjenigen begnügen, die wir kannten und um die wir sorgten. Die ewige Wiederholung der immer gleichen Bilder, die uns das Fernsehen als Nachrichten verkauft, hat das extrem verschärft. Augenblicke wie der, in dem die Astronauten der Challenger verbrannten oder das World Trade Center einstürzte, werden einfach nur deshalb immer wieder gezeigt, weil sie Aufmerksamkeit erregen oder sie zumindest immer noch ein wenig kitzeln. Es verhält wie mit der Zuschaustellung des Schmerzes Angehöriger bei Beerdigungen.Ich versuche, mir dieses Zeug nicht anzusehen. Nicht etwa, weil ich es nicht interessant finden würde, sondern eben weil ich es interessant finde. Es ist ein kleiner Akt der moralischen Hygiene, wie die Weigerung, andere Formen von Pornografie zu konsumieren. Dabei halten Pornos sexuellen Inhalts am Ende zumindest die Möglichkeit eines Lustgewinns bereit. Wer hingegen die Horrormeldungen der Revolverblätter liest, dürfte davon schwerlich einen Orgasmus bekommen.In gewisser Hinsicht lässt sich sogar eine öffentliche Hinrichtung leichter rechtfertigen als ein Video, das zeigt, wie jemand von einem Hai aufgefressen wird.Einmal angenommen, der Verurteilte ist auch wirklich schuldig, so hält die Übertragung seiner Hinrichtung für die Zuschauern wenigstens eine Botschaft bereit. Das kann natürlich nicht die Todesstrafe rechtfertigen. Doch das Leiden, das einen Sinn hat, ist demjenigen vorzuziehen, das jeden Sinnes entbehrt und lediglich dazu dient, dem Zuschauer einen Nervenkitzel zu verschaffen.Ein besseres Beispiel wäre die Verwendung besonders expliziter und brutaler Bilder in Kampagnen gegen Alkohl am Steuer, ja selbst gegen das Rauchen oder den Konsum von Crystal Meth. Man kann arguemtieren, es sei gerechtfertigt, in diesen Kontexten Bilder zu zeigen, die man bei anderen Gelegenheiten nicht rechtfertigen könnte.Ich rufe hier nicht zur Zensur auf. Die Funktionsweise der Werbung ist so tief in unseren Gesellschaften verankert, dass alles, was sie ernsthaft eindämmen wollte, so stark und so tyrannisch sein müsste, dass damit weitaus größtere Ungerechtigkeiten und Lügen einhergingen. In Ostberlin gab es keine Werbung, aber es gab die Mauer.Es gibt so viele Dinge, die legal und unmoralisch zugleich sind. Niemand ist verpflichtet, sie zu tun. Und dieser unbekannte Rheinländer hat eben eine solche Widerstandshandlung begangen. Er ist mein erster Held des Jahres.