Im Jahr 1995 – er stand damals kurz vor dem Ende einer langen Armeekarriere – wurde Peter Stone Zeuge eines Ereignisses, das sein Leben auf Jahre in Trümmer legen sollte. Unterwegs durch ein Dorf in Kroatien begegnete er drei Kindern im Alter von elf, neun und sieben Jahren. Instinktiv griff Stone in seine Uniform und bot ihnen Schokolade an. Später, auf dem Rückweg, sah er die Kinder wieder. Sie lagen in Lachen von Blut am Straßenrand, ihre Kehlen waren durchgeschnitten – die Strafe dafür, dass sie mit dem Feind geredet hatten.
Stone diente als Soldat der britischen Armee in Nordirland, er stand im Falklandkrieg und kam schließlich nach Kroatien. Er kannte Tod und Verzweiflung, hatte Explosionen überlebt und selbst ausgelöst – dieses furchtbare Ereignis brach ihm das Rückgrat. „Diese Kinder waren unschuldig. Ich bekam die Erinnerung an sie nicht aus dem Kopf. Ich konnte den Gedanken nicht loswerden, dass ich die Verantwortung trug – sie würden noch leben, wäre ich nicht gewesen.“
So unendlich verzweifelt
Jahre nach dem Einsatz in Kroatien wurde bei Stone eine post-traumatische Belastungsstörung, kurz PTSD, diagnostiziert, wie sie bei vielen Soldaten nach derart traumatischen Erlebnissen eintritt. Auslöser kann eine zweite schwere seelische Erschütterung sein – bei Stone war es der Unfalltod seines 20jährigen Sohnes im Jahr 2001. Damals lag die Entlassung aus der Armee bereits länger als ein Jahr zurück, und seine Ehe war an den Belastungen des Berufes zerbrochen. Stone litt unter Alpträumen, wachte nachts schreiend und schweißgebadet auf, sein Herz raste, so dass er glaubte, an einem Infarkt sterben zu müssen. Bald fürchtete Stone diese Träume dermaßen, dass er es nicht mehr wagte, sich schlafen zu legen. Irgendwann konnte er nichts mehr tun, als sei sein Organismus heruntergefahren worden, und strandete in einem Obdachlosenheim.
Heute, fast acht Jahre später, hat Peter Stone endlich wieder das Gefühl, es könnte für ihn eine Zukunft geben, gehört er doch zu den 16 ehemaligen Soldaten, die an einer neuen, ambitionierten Therapie namens The Warrior Programme teilnehmen, die emotional traumatisierten Teilnehmern der letzten Kriege, die Großbritannien auf den Falklandinseln, in der Golfregion oder in Afghanistan geführt hat, helfen soll, die Dämonen der Vergangenheit auszutreiben.
„Ich glaubte, mein Sohn sei mir genommen worden, um mich für die drei kroatischen Kinder bezahlen zu lassen“, sagt Stone. „Meine Schuldgefühle waren so stark, dass niemand, kein Therapeut und noch nicht einmal mein Pastor, mir helfen konnten.“ – Die Psychologin Eva Hamilton, die das Warrior-Programme entwickelte, hat zuvor mit Obdachlosen gearbeitet. Sie glaubt, es handele sich bei den Kriegsveteranen um eine besondere Gruppe, vor allem wenn PTSD im Spiel sei. „Sie bekommen eine Wohnung, sie kriegen einen Job und nach drei Monaten bricht alles zusammen. Man kann ihnen nicht einfach sagen, es werde schon alles gut. Man muss die Ursache behandeln, weil viele so unendlich verzweifelt sind.“
Der stattliche Peter Stone, ein schwergliedriger Mann mit traurigen Augen, riecht nach Zigarettenrauch. Sein Knie, das im Krieg zertrümmert und dann operiert wurde, schmerzt noch immer. Er verließ die Armee als Offizier, ist klug und nachdenklich. Er lebe nur noch für seine drei Töchter, sagt er ohne einen Hauch von Selbstmitleid. „Mit dem körperlichen Schmerz umzugehen, habe ich gelernt, aber nie mit dem, was der Krieg in mir angerichtet hat.“
In diesem Jahr werden 4.000 britische Soldaten den Irak nach sechs blutigen Jahren verlassen. Sie werden in einem Krieg gekämpft haben, dessen Grauen inzwischen mit dem Zweiten Weltkrieg und Korea zwischen 1950 und 1953 verglichen wird. Was im Irak geschah, hat sich größtenteils außerhalb unseres Blickfeldes zugetragen. Was werden diejenigen erzählen, die das Glück haben, nach Hause zurückzukehren? Einer erzählt: „Das Tempo der Kampfhandlungen ist heute viel höher als früher. Viele junge Männer und auch Frauen müssen von Angesicht zu Angesicht mit dem Gegner kämpfen. Sie sehen, wie andere Menschen getötet werden und töten selbst. So etwas gab es nie zuvor. Die Folgen werden in den nächsten Jahren an die Oberfläche dringen. Ich weiß, dass viele meiner Kameraden meinen, weil die Gefechte so hart wurden, müsse das auch für sie gelten. Die meisten glauben freilich, es sei besser, nicht darüber zu reden.“ Duane Telfer, der heute 29-jährige Ex-Infanterist aus dem ersten Bataillon des Princess of Wales Royal Regiment trägt zwei Diamant-Ohrringe und ein Paar schlohweiße Markenturnschuhe, als wollte er vergessen machen, dass er vor noch nicht allzu langer Zeit in sandfarbenen Armeestiefeln durch die Wüste am Tigris getrabt ist. Als er im Irak vor zwei Jahren einen Nervenzusammenbruch erlitt, ließ ihn die Armee ziehen, und es dauerte nicht lange, bis er zu Hause auf der Straße landete.
Abgerissene Köpfe
Zunächst wurde Telfers Regiment 2005 in die Afghanistan-Provinz Helmand verlegt, wo er von den eigenen Leuten bei einem so genannten Friendly-Fire-Unfall am Fuß getroffen wurde. Er erholte sich und war fest entschlossen, wieder zu seinem Bataillon zurückzukehren, das inzwischen im südirakischen Basra stationiert war.
„Was ich im Irak gesehen habe, hat mich kaputt gemacht“, erinnert er sich. „Es gab da einen Kameraden, der mir sehr nahe stand. Er war schon länger dabei und sehr erfahren. Er hat sich um mich gekümmert, aber dann wurde er getroffen. Ich hielt ihn fest und dachte mir: Du musst ihm jetzt erzählen, dass er durchkommt, obwohl du weißt, dass er stirbt. Ich hatte schreckliche Angst. Da draußen ist man immer gezwungen, ein Mann zu sein, und kann sich keine Schwäche erlauben. Wenn man weint, ist man eine Memme. ‚Sei ein Mann!’, sagt man sich. Man hat niemanden, mit dem man reden könnte, auch der beste Kumpel soll dich nicht schwach sehen. Es ist wie ein Gefängnis im Kopf.“
Steve Coulman weiß genau, wovon Felfer redet. Der heute 37-Jährige war Kanonier bei der Royal Artillery und wurde 1991 wegen eines Drogendelikts unehrenhaft aus
der Armee entlassen, nachdem er im ersten Golfkrieg gegen den Irak gekämpft hatte. Couldman war dafür verantwortlich, das Artillerie-Feuer auf vorgegebene Ziele zu lenken, das heißt, er musste sein Zielfernrohr ausrichten, Angaben über Position, Entfernung und die üblichen Zielkoordinaten programmieren, um danach eine Feuersalve loszuschicken. „Wir sahen irakische Soldaten auf uns zu rennen, viele von ihnen fast noch Kinder, und mir war klar, dass ich den nächsten Abschuss auf sie gerichtet hatte. Zunächst gab es eine Verzögerung, dann folgte ein Blutbad. Körper, Körperteile, abgerissene Köpfe mit Helmen, Füße, die noch in Stiefeln steckten, Blut und Eingeweide flogen durch die Luft. In dem Augenblick, in dem es passiert, denkt man nicht darüber nach, weil man es einfach nicht kann.“
Coulman verbrachte Jahre, in denen er sich immer wieder mit Drogen und Alkohol betäubte. In denen Beziehungen scheiterten und Obdachlosigkeit nicht zu vermeiden war. Schließlich wurde auch bei ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Er hatte Alpträume und Schreianfälle, wenn er Feuer roch, weil es ihn an die Schlacht erinnerte. Heute kann er sich wieder einigermaßen beherrschen, hat einen Job und eine Freundin. Beim Warrior-Programme erhielt er den emotionalen Beistand, den er brauchte. „Als ich aus dem Irak wieder nach Brize Norton an meinen Standort kam, sagte dort ein Oberstabsfeldwebel zu uns: ‚Wir alle haben schreckliche Dinge gesehen und getan. Es gibt Hilfe für euch, wenn ihr das wollt, aber da ihr Soldaten seid, werdet ihr sie wohl kaum brauchen.’ Ich konnte mit niemandem darüber reden, was ich gesehen hatte. Wie soll man denn bei einem Bier in der Kneipe plötzlich von so etwas anfangen?“
Das Schicksal der Männer im Warrior-Programme zeigt: Für die Armee gehört es zur Eigenschaft eines guten Soldaten, dass der keine emotionalen Schwächen oder Unsicherheiten zeigt. Der Stolz darauf, Soldat zu sein, und der Eindruck, versagt zu haben, wenn sich seelische Schmerzen melden, verkomplizieren den Umgang mit einer ohnehin schwer erträglichen Gefühlslage. „Als Soldat hat man sich ständig zu sagen, du bist wer, du bist der Beste! Ich habe irgendwann begriffen, dass man sich mit solchen Sprüchen nur etwas vormacht“, sagt Duane Telfer.
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