Der Hammer bleibt still

Kunst Der Kunstmarkt stagniert, der Blockbuster-Boom ist vorbei. Viele Auktionshäuser bleiben auf ihren Bildern sitzen. Ein Situationsbericht

Der Kunstmarkt in der Finanzkrise: Kunstversteigerungen bedeuteten noch vor fünf Monaten: Gebotsräusche und ausschließlich Stehplätze in den Top-Auktionshäusern. Jetzt gibt es leere Sitze und unverkaufte Posten.

Auf dem Höhepunkt des Kunstmarktbooms, der 2004 begann und vergangenes Jahr endete, entfaltete sich eine Abendauktion bei Christie’s oder Sotheby’s wie ein Hollywooddrama, mit Milliardären in Cameo-Rollen und astronomischen Preisen anstelle von Stunts. Ähnlich wie die Filme verlangten die Verkäufe eine gewisse willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit. Die rekordverdächtigen Preise schienen unhaltbar, und dennoch wurden sie gezahlt.


Vor nicht einmal fünf Monaten stellte Damien Hirst 223 neue Arbeiten bei Sotheby’s zur Auktion und verdiente 95 Millionen Pfund. Wäre seine Beautiful Inside My Head Forever -Versteigerung 48 Stunden später über die Bühne gegangen, er wäre damit nicht durch gekommen. Seither sind die Kunstpreise in den Keller gefallen. Die Auktionen der vergangenen Woche – die ersten während der globalen Finanzkrise – entfalteten sich eher wie fürs Fernsehen produzierte Dramen. Sie wirkten mehr wie Low Budget, dafür aber ehrlicher; unspektakulärer aber irgendwie realer.

Bei Sotheby’s gab es am Dienstag vergangener Woche leere Sitze. Gerade einmal 29 impressionistische und moderne Werke sollten unter den Hammer kommen, etwa halb so viel wie zu Boomzeiten normal war. Damit waren Sotheby’s Versteigerungen dramatisch geschrumpft. Josh Baer, ein Händler, war trotzdem aus New York eingeflogen. „Ich wette, es ist in 45 Minuten vorbei“, sagte er, als Henry Wyndham, der Auktionär und Vorsitzende von Sotheby’s den ersten Posten ankündigte. Während des Booms konnte eine Abendversteigerung zwei Stunden dauern.


Vor nicht allzu langer Zeit dachten viele, die Schlagzeilen über die extrem hohen Preise würden der Wahrnehmung der Kunst schaden. Wen kümmerte, was Kritiker oder Kuratoren dachten oder was Künstler zu schaffen suchten, solange die Arbeiten von Hirst, Jeff Koons und Lucian Freud für atemberaubende Summen verkauft wurden? Jetzt, wo der Markt stagniert, hoffen dieselben Leute auf eine Korrektur. Sie wünschen sich, dass über den Preis hinaus der Wert beachtet wird, den einem Künstler etwa Museums-Retrospektiven und Autoren verleihen.

Im Auktionsraum allerdings spricht nach wie vor das Geld. Wie Baer vorhersagte, dauerte die Versteigerung nur 46 Minuten. 22 der 29 Posten wurden verkauft und brachten zusammen eine Summe von 32,6 Millionen Pfund – an den Umständen gemessen ein respektables Ergebnis, aber weit unter den 116 Millionen Pfund, die die vergleichbare Versteigerung des Vorjahres einspielte.

Pfund-Abwerfen bei Christie‘s

Am folgenden Abend standen bei Christie’s Impressionisten und Moderne zum Verkauf. Dank der 47 Posten entwickelte sich eine lebendigere Veranstaltung, die 64 Minuten dauerte und 63,4 Millionen Pfund einbrachte – fast eine Million pro Minute. Christie’s Vorsitzender Ed Dolman beschrieb den Abend als beruhigend, während Thomas Seydoux, der stellvertretende Leiter für impressionistische und moderne Kunst, sichtbar fröhlich erklärte: „Das Pfund-Abwerfen war super, super hilfreich.“

Bei einer Auktion ist das Sitzen, ähnlich wie bei einer Modenshow, keine beliebige Angelegenheit. Vielmehr zeigt das Auktionshaus damit auf brutale Weise der Welt, was es von dir hält: Nur die mächtigsten Akteure erringen einen Gangplatz in den ersten zwölf Reihen. Laurence Graff, der Welt führender Diamantenhändler, ist einer davon. Vor zwei Monaten gab er bei Christie’s 16 Millionen Pfund für einen Diamanten aus. Vergangene Woche erwarb er Skulpturen von Henry Moore und Alberto Giacometti. Nach der Versteigerung fragte ich Graff, warum er angesichts der ökonomischen Turbulenzen seine Ausgaben nicht drosseln würde. „Bargeld fault“, antwortete er. „Alles, was auf der Bank liegt, könnte verloren gehen. Viele schrecken davor zurück, sich auf komplizierte Finanzinstrumente einzulassen. Daher investieren schlaue Leute in stabile Anlagen wie ernstzunehmende Kunst“.

Die Blitz-Auktion

Möglicherweise erlebt der Markt einen Geschmackswechsel, weg von den Bonbonniere-Bildern, hin zu nervöserer Kunst. Renoirs und Pissarros fanden vergangene Woche keine Käufer. Hingegen zählten zu den Bildern, die über den hohen Schätzungen verkauft wurden, eine Mutter mit schielendem Kind von Amedeo Modigliani und eine leichenähnliche Androgyne von Gustav Klimt. Verschwunden sind die Dekorateure und Spekulanten, die Geld für kommerzielle Gemälde in montagefreundlichen Größen verschleuderten. An ihrer Stelle stehen die Liebhaber, die intelktuelle Arbeiten zu niedrigeren Preisen genießen.

Bei Sotheby’s Auktion für Gegenwartskunst am vergangenen Donnerstag, der ersten Versteigerung der Woche, vernahm man Gelächter, als die Händler und Sammler ihre Plätze einnahmen. Sie schienen erleichtert über den Erfolg der Versteigerung bei Christie’s am Abend zuvor. Mark Vanmoerkerke, ein belgischer Sammler, der sonst am Telefon bietet, hatte sich entschlossen, dem Wandel beizuwohnen, wie er erklärte: „Ich wollte die Stimmung des Marktes schnüffeln, riechen – oder sollte ich sagen: kosten.“ Bei 27 Posten dauerte die Gegenwartskunst-Versteigerung nur 41 Minuten und war damit die bisher schnellste. 92 Prozent der Posten wurden verkauft, ein Indiz, dass der Markt nicht festgerostet ist. Doch brachte die Auktion nur 17 Millionen Pfund ein – ein Fünftel der Summe vom Februar vergangenen Jahres. 2007 und 2008 überstiegen die Erträge von Nachkriegs- und Gegenwartskunst zum ersten Mal die von impressionistischer und moderner Kunst. Dies dürfte sich 2009 kaum wiederholen, da die Sammler in die sicheren Häfen toter Künstler zurückkehren.

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Übersetzt von Steffen Vogel
Geschrieben von

Sarah Thornton, The Guardian | The Guardian

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