Der Investment-Guerillero

Revolution Emmanuel Macron will Frankreich umbauen. Ist er ein Linker ? Ein Rechter? Oder will er in Wahrheit nur die alten Eliten erneuern?
Ausgabe 16/2017
Macron hat gut beten
Macron hat gut beten

Foto: Jean-Francois Monier/AFP/GETTY IMAGES

Alain Garcia, der in der Verwaltung eines Energieunternehmens arbeitet, schließt seinen grauen Kombi auf, den er in einer ruhigen Seitenstraße abgestellt hat und sagt: „Willkommen im Macron-Mobil!“ Vom Rücksitz strahlt der lächelnde Favorit des Präsidentschaftsvotums auf Tausenden von Flyern. Einmal habe er, erzählt Garcia, gut 11.000 Exemplare von Emmanuel Macrons Wahlprogramm in diesen Wagen gestopft, mit dem er täglich zur Arbeit pendeln müsse. „Manchmal mache ich mir ein wenig Sorgen um die Aufhängung“, sagt er und bremst, um vorsichtig über eine Bodenschwelle zu fahren. Wir befinden uns in Villeurbanne, einer Industriestadt an der Peripherie von Lyon im Südosten Frankreichs. Eine Gegend, geprägt von großen Wohnblocks, von steter Gentrifizierung, ethnischer Vielfalt und einem ebensolchen Einkommensgefälle.

Während die Parteien in ganz Frankreich über Büros verfügen, bedeutete Macrons Antritt als Parteiloser, dass er seinen Wahlkampf bis zuletzt überwiegend aus Privatwohnungen heraus führte, und seine unbezahlten, enthusiastischen Unterstützer, von denen viele bislang noch nie politisch aktiv waren, sich an Bistro-Tischen oder in den Hinterzimmern von Restaurants trafen. In der jüngeren französischen Geschichte hat noch nie jemand versucht, eine Präsidentschaftswahl ohne den Beistand, die Mitglieder und die Infrastruktur einer Partei zu gewinnen. Der 39-jährige Ex-Investmentbanker Macron, der für kurze Zeit dem sozialistischen Präsidenten Hollande als Wirtschaftsminister diente, hat in seiner Karriere gar noch nie für irgendeine Wahl kandidiert. Er behauptet, seine „weder linke noch rechte Kampagne“ sei eine „Revolution“, die mit einem maroden politischen System und dessen Parteien aufräumen werde.

In den letzten beiden Wochen vor der ersten Runde am 23. April hat der Druck auf Macrons Freiwillige stark zugenommen. Zunächst einmal müssen sie schwankende Wähler überzeugen. Auch wenn die Umfragen Macron (etwa 25 Prozent) vorn sehen, scheint eine größere Zahl potenzieller Sympathisanten unentschlossener als bei anderen Kandidaten zu sein. Auch dürfte den unabhängigen Kandidaten das Vorpreschen Jean-Luc Mélenchons von der Parti de Gauche beunruhigen. Nach jüngsten Umfragen überholt der erstmals den Konservativen François Fillon. Mélenchon werden im ersten Wahlgang 18 Prozent und damit der dritte Platz prophezeit, Fillon kann mit 17, der Sozialist Benoît Hamon nur mit zwölf Prozent rechnen. Marine Le Pen vom Front National (FN), die über eine Basis von Stammwählern verfügt, wird wie Macron auf 25 Prozent veranschlagt, was einen sicheren Einzug in die Stichwahl am 7. Mai verheißt. Was kann Macron jetzt noch tun? Er muss vor allem den Eindruck erwecken, dass er seine Bewegung En Marche! in eine Partei zu transformieren versteht, die fähig ist, bei den Parlamentswahlen am 11. Juni genügend Sitze zu gewinnen, damit er seine Versprechen einlösen kann und nicht wie ein Abenteurer wirkt.

Macrons Bewegung entstand vor weniger als einem Jahr und war ursprünglich eine „Von-Tür-zu-Tür-Aktion“, um Bürger zu befragen, was in Frankreich schieflaufe. Jeder konnte über das Internet Mitglied werden. Gut 230.000 Anhänger bemühten sich um diesen Status. En Marche! wurde mehr wie ein Tech-Start-up geführt denn wie eine klassische Partei und vorwiegend über Spenden finanziert, die per Gesetz auf 7.500 Euro pro Person begrenzt sind. Über 6,5 Millionen Euro des Wahletats sollen aus dieser Quelle stammen, acht Millionen aus einen Privatkredit, für den Macron mit seinem Vermögen bürgt.

Immer lächeln

In der Pariser En-Marche!-Zentrale, wo junge Freiwillige – von Studenten über Arbeitslose bis hin zu pensionierten Lehrern –, die stylish „Helpster“ genannt werden, an Laptops arbeiten, wird die entscheidende Phase des Wahlkampfs eingeläutet. Die Devise: jeden Kontakt dafür zu nutzen, egal ob in der Bäckerei, im Zug, im Theater oder am Arbeitsplatz, um über die Wahl zu sprechen. Und, wie der Kandidat selbst, immer zu lächeln. Hierarchien gibt es nicht. „Wir Freiwilligen spornen uns gegenseitig an, weil wir das Gefühl haben, gemeinsam etwas aufzubauen“, sagt der 49-jährige Garcia, den die Wahlkampfhilfe für En Marche! mehr begeistert als die Unterstützung für die Kandidatur Nicolas Sarkozys vor zehn Jahren. Garcia hatte den Glauben an die Politik verloren, doch jetzt koordiniert er die gut 700 Freiwilligen, die in Villeurbanne für Macron unterwegs sind. „Ich engagiere mich, weil ich nicht will, dass weiter die gleichen Leute Politik machten“, sagt die 44-jährige Sophie Solmini, die früher für die Sozialistische Partei Flyer verteilt hat und sich nun von ihrem Job in einer Wohnungsbaugesellschaft für 14 Tage beurlauben ließ, um in Macrons Kampagne mitzuhelfen. „Ich bin die Woche sieben Tage von sieben Uhr morgens bis zwei Uhr nachts unterwegs.“

Das nahegelegene Lyon gilt als Geburtsort der „Macron-Mania“, denn Bürgermeister Gérard Collomb war einer der ersten namhaften Politiker aus der Sozialistischen Partei, die zu Macron wechselten, um für ihn in den Wahlkampf zu ziehen. Den Bewerber zwingt das zu einem heiklen Balanceakt. Einerseits kommt es ihm entgegen, wenn ihn Nomenklatura aus dem rechten wie linken Lager hofiert, doch muss er den Vorwurf vermeiden, dass auch bei ihm wieder die alten Gesichter auftauchen und die alten Geister ausschwärmen.

„Klassische Parteien sind solide und strukturiert wie die preußische Armee“, sinniert Bruno Bonnell, der En Marche! in Lyon koordiniert. „Wir sind eher wie eine Guerilla, also sehr fluide, bei uns geht es um die prompte Entscheidung und die schnellen Aktionen“, befindet der 59-jährige Hightech-Unternehmer, der sich selbst einen „Robotik-Revolutionär“ nennt. Ihm gefällt Macrons Versprechen, das Land modernisieren zu wollen und sich für die digitale Erneuerung einzusetzen. „Genug mit dem Zynismus und der Verzweiflung – Macron verkörpert die neue positive Haltung, um Frankreich ins 21. Jahrhundert zu führen.“ Die Kritik der Konkurrenz, es handle sich um einen Präsidentschaftsanwärter der „glücklich globalisierten Eliten“ aus den Wohlfühlmilieus der großen Städte, weist Bonnell zurück. Er selbst stamme aus der Arbeiterklasse und sei links sozialisiert worden. Und nun mache er in den ländlichen Gemeinden rund um Lyon Wahlkampf, wo ansonsten Marine Le Pen stetig an Zustimmung gewinnt. „Wir erleben gerade eine digitale Revolution, aber das ist nichts, wovor wir Angst haben müssten“, ruft er auf einem Wahlkampfmeeting in Villeurbanne, bei dem die meisten seiner Zuhörer über 50 sind.

In letzter Minute

Macrons Gegner warnen, mit diesem Präsidenten könne eine Periode der Unsicherheit mit instabilen Koalitionen anbrechen. Der sozialistische Kandidat Benoît Hamon glaubt, mit Macron im Elysée-Palast werde Frankreich „unregierbar“. Der so Inkriminierte hält dagegen, die Franzosen würden ihm „logischerweise“ auch eine Mehrheit im Parlament sichern, habe er erst die Präsidentschaft gewonnen. Im Juni will er für alle 577 zu vergebenden Sitze En-Marche!-Kandidaten in den Wahlkampf schicken, die Hälfte davon Frauen.

Auf Lyons Einkaufsstraßen sind viele noch unentschlossen. „Ich schwanke zwischen Fillon und Macron“, sagt die 69-jährige Rentnerin Colette Legrande, die früher als Buchhalterin gearbeitet hat. „Die Skandale um Fillon stoßen mich ab, aber letztlich zählt doch das Wahlprogramm.“ Eric Bruno (41) arbeitet in einem Kaufhaus und findet, dass die innere Sicherheit das wichtigste Thema der Wahl sein müsse. Ein Freiwilliger der Macron-Kampagne hat ihm einen Flyer in die Hand gedrückt, aber er zuckt nur mit den Schultern. „Ich habe von allen Politikern die Nase voll und glaube nicht, dass man irgendeinem von ihnen trauen kann. Ich will schon wählen gehen, aber ich werde mich erst in der letzten Minute entscheiden, wen.“

Angelique Chrisafis ist Guardian-Korrespondentin in Paris

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Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Angelique Chrisafis | The Guardian

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