Der Knick im Knie der Separatisten

Schottland Schottlands Erster Minister Alex Salmond will 2014 über die Unabhängigkeit abstimmen lassen. Um sich bei diesem Votum nicht zu blamieren, braucht er eine „zweite Option“

Wie viele nationalistische Führer stellt sich auch Alex Salmond gern in einen größeren historischen Kontext. Dieser politische Narzissmus, der ihm eines Tages zum Verhängnis werden könnte, hat ihn animiert, das Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands am 25. Januar, dem Geburtstag des schottischen Nationaldichters Robert Burns, zu verkünden. Damit nicht genug, Salmond will die Volksabstimmung im Jahr 2014 abhalten lassen, wenn sich die Schlacht von Bannockburn – die Schotten besiegten dabei 1314 in einem Sumpfland das deutlich größere englische Heer – zum 700. Male jährt. Den romantischen Nationalisten Salmond ziehen diese Bezüge an wie die Motten das Licht.

Aber Schottlands Erster Minister ist nicht nur Romantiker, sondern auch Realist. Insofern dürfte ihm nicht entgangen sein, dass er das Referendum an jenem Tag bekannt gab, als die Wirtschaftsdaten für das letzte Quartal 2011 veröffentlicht wurden. Im Vereinigten Königreich war ein Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,2 Prozent zu beklagen. Eine Erinnerung daran, dass Salmond die frohe Botschaft von der schottischen Souveränität vor dem Hintergrund anhaltender ökonomischer Stagnation verbreitet.

Und der Visionär weiß natürlich, dass die meisten Schotten die Unabhängigkeit von Großbritannien selbst in wirtschaftlich guten Zeiten skeptisch sehen und dürfte hoffen, dass eine überzeugende Kampagne sowie das Unvermögen seiner Gegner dem Unabhängigkeitswillen zu einem Überraschungssieg verhelfen. Verlass ist darauf freilich kaum. Wie soll man die Wähler zum Sprung ins Ungewisse überreden, wenn Arbeitsplätze und öffentliche Gelder rar sind?

Auf Vorsicht bedacht

So ist die Galionsfigur der Scotish National Party (SNP) schon lange damit beschäftigt, die zweitbeste Option ins Auge zu fassen: eine Unabhängigkeit light, um die Krone, das Pfund, Britanniens Armee, den National Health Service und die BBC als institutionelle Adressen eines unabhängigen und EU-freundlichen Schottland nicht anzutasten. Denn fraglich ist, ob sich eine Sezession nach einer möglichen Implosion der Eurozone noch an den Schotten bringen lässt. Daher hat Salmond seine zweitbeste Option zu einer devolution max – einer größtmöglichen Regionalisierung – erklärt, bei der Schottland innerhalb eines fortbestehenden Vereinigten Königreiches eigene Steuern erheben und eigenes Geld ausgeben würde. Sinn und Zweck von Salmonds Stra­tegie liegen demnach nicht in der Un­abhängigkeit Schottlands, sondern in ­dessen Autonomie. Nur kann er das momentan schlecht zugeben, schließlich käme es einem Einknicken des nationalistischen Knies vor dem Vereinigten Königreich gleich. Er spricht stattdessen lieber davon, man werde der schottischen Zivilgesellschaft durch eine Volksbefragung die Möglichkeit geben, eine Autonomie zu diskutieren. Unabhängigkeit oder Autonomie – ihm sei beides recht. Das leuchtet ein, ist es doch für den SNP-Chef enorm wichtig, dass 2014 auf den Stimmzetteln der Autonomiestatus als Variante neben der Unabhängigkeit auftaucht.

Offiziell zeigt sich die Regierung in London jedoch fest entschlossen, Salmond bei einem Referendum nur eine einzige Frage zuzugestehen. Gleiches gilt für Labour, auch wenn die Partei de facto gespalten ist: Das eine Lager könnte einer stärkeren Dezentralisierung durchaus etwas abgewinnen, dem anderen geht es vorrangig darum, der SNP eine Niederlage beizubringen. Die Liberaldemokraten halten sich in dem Bewusstsein an die Linie der Regierung Cameron, dass die Schotten letzten Endes der Autonomie-Variante den Vorzug geben.

Es ist verständlich, dass nicht nur schottische Befürworter einer Selbstverwaltung Schwierigkeiten haben, sich mit ganzem Herzen auf Separatisten einzulassen, deren Anführer Salmond den irischen Nationalhelden Charles Stewart Parnell verehrt. Andererseits könnte es für sie katastrophale Folgen haben, kategorisch Nein zu sagen. Die Autonomie-Option würde die Tür zu einer demokratischen Renaissance Großbritanniens aufstoßen, zu der direkt gewählte Bürgermeister gehören. Die Zivilgesellschaft müsste sich mit dieser Alternative auseinandersetzen, sie erklären, vorantreiben und sich zu eigen machen.

Die kurze Beratungszeit von drei Monaten, um das Referendum für 2014 abzusegnen, ist wichtig, aber sie betrifft nicht nur die SNP und Schottland – ebenso das Vereinigte Königreich. Dessen Autoritäten müssen mit den Folgen einer immer wahrscheinlicher werdenden Autonomie Schottlands zurande kommen.

Martin Kettle schreibt beim Guardian über europäische Politik und Medien

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Martin Kettle | The Guardian

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