Der Kommerz-Demokrat

Porträt Andrej Babiš stößt als designierter Premier Tschechiens zur Riege der EU-Dissidenten in Osteuropa
Ausgabe 44/2017

Mit Tschechien hat ein weiteres EU-Land einen Populisten gewählt. Der 63-jährige Milliardär Andrej Babiš könnte der nächste in einer Riege von Politikern sein, die einen Keil zwischen den Osten und Westen Europas treiben. Zumindest geistesverwandt erscheinen der Ungar Viktor Orbán, aus Polen Beata Szydło und Jarosław Kaczyński und in Bratislava Andrej Danko, der slowakische Parlamentspräsident von der mitregierenden Nationalpartei (SNS). Da trifft es sich, dass die von den Genannten vertretenen Staaten seit 1999 in der Visegrád-Gruppe vereint sind und spätestens seit 2016 die EU-Migrationspolitik als Zumutung empfinden, der man sich widersetzt.

Die EU-Zentrale in Brüssel dürfte mit Unbehagen quittieren, dass sich ausgerechnet jetzt, da EU-Reformen anstehen, in Osteuropa eine Koalition der Unwilligen formiert, die dem Drang zur Fundamentalopposition nicht widerstehen will. Schon die bisherige Regierung in Prag lag wegen der Weigerung, ihre Flüchtlingsquote zu erfüllen, mit Brüssel im Streit. Immerhin hat die EU-Kommission daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Brüssel ist zudem besorgt wegen der Gefahr, die mit Babiš der Demokratie in Ost- und Mitteleuropa drohen kann. Für Pavel Šafr, den Chefredakteur des Forum-24-Internetportals, stellt der Verzicht der ANO-Partei auf eine ideologische Agenda eine komplexere Herausforderung dar als die autoritären Regierungen in Ungarn und Polen. „In Budapest regiert mit Orbán ein konservativer Nationalist, in Warschau hat mit Kaczyński ein extrem restaurativer, katholisch-orthodoxer Politiker die Zügel in der Hand. Doch stehen beide innerhalb einer bekannten europäischen Tradition – Babiš nicht. Er ist nicht konservativ, liberal oder kommunistisch. Er ist Babiš, ein universeller Populist, der für überzeugte Europäer kaum zu verstehen ist.“

Ein Drittel der tschechischen Wähler hat es offenkundig nicht weiter gestört, dass gegen Andrej Babiš wegen Veruntreuung ermittelt wird, und er zu Zeiten der sozialistischen Tschechoslowakei Verbindungen zum Staatssicherheitsdienst unterhalten haben soll.

„Den Staat wie ein Unternehmen führen“

Mit einem geschätzten Vermögen von 3,5 Milliarden Euro ist Babiš mutmaßlich der Zweitreichste im Land. Durch seinen Wahlsieg hat der Wirtschaftsmagnat, ein geborener Slowake, die Koalitionsbildung in der Hand. Sollte die gelingen, dann – so befürchten es seine Kritiker – könnte ein solcher Regierungschef mit einem Wirtschaftsimperium im Rücken die tschechische Demokratie kommerzialisieren. Schließlich hat Babiš verkündet, er gedenke „den Staat wie ein Unternehmen zu führen“. Dazu müsse man die Zahl der Mitglieder in der Abgeordnetenkammer auf hundert reduzieren und den Senat als zweite Kammer ganz abschaffen.

Bisher empfahl sich ANO als wirtschaftsliberale Partei der Mitte, die sich andererseits nicht scheute, Ängste zu schüren und einwanderungsresistente Hardliner-Affekte der tschechischen Provinz zu bedienen. Von solchem Gebaren fühlen sich die bei der Wahl abgestürzten Sozialdemokraten (ČSSD) in die Opposition getrieben, sodass Babiš kleinere Parteien als Koalitionäre gewinnen muss, die seine Vorbehalte gegen die EU teilen. Die wiederum haben vermutlich auch etwas damit zu tun, dass ihm tschechische Antikorruptionsermittler vorwerfen, EU-Subventionen in Millionenhöhe veruntreut zu haben. Es geht um zwei Millionen Euro, die in das Wellness-Ressort „Storchennest“ in Böhmen geflossen sind. Mit den Geldern sollten mittelständische Unternehmen gestützt werden, nicht unbedingt ein Hotelkomplex, der zu Babiš’ riesigem Agrofert-Mischkonzern (230 Firmen/32.000 Angestellte) gehört. Seit in der Sache auch die EU-Korruptionsbehörde OLAF tätig ist, spricht Babiš von einem politisch motivierten Kesseltreiben. Würde er die Regierung übernehmen, wäre seine Immunität wiederhergestellt, die ihm als Abgeordneten vor kurzem entzogen wurde. Präsident Miloš Zeman – Babiš durchaus zugetan – könnte einen Straferlass dekretieren, den er laut Verfassung unterschreiben müsste, bevor Babiš Ministerpräsident werden kann.

Was die Kritiker noch mehr beschäftigt, das ist die mögliche Machtkonzentration, die Babiš künftig als Unternehmer und Politiker auf sich vereint. Die Kommentatorin Lenka Zlámalová meint dazu: „Wenn er den Nachrichtendienst und die Steuerbehörden unter sich hat, wird es wirklich gefährlich. Er könnte diese Macht gegen seine Konkurrenten einsetzen.“ Babiš’ Firmengeflecht sei in Tschechien der größte Empfänger von staatlichen und EU-Subventionen. Zlámalová: „Er erhält mehr Zuschüsse, als er Steuern zahlt. Stellen Sie sich vor, Theresa May wäre die größte Empfängerin staatlicher oder EU-Gelder in Großbritannien.“ Babiš versucht, das Thema zu umgehen, indem er seinen Agrofert-Trust, zu dem Düngemittelhersteller und Chemiefabriken ebenso wie Fruchtbarkeitskliniken gehören, formell einer Treuhandgesellschaft überschrieben hat.

Anstoß erregen natürlich auch Babiš’ Aktivitäten in der sozialistischen Ära Tschechiens. Akten aus dem Staatsarchiv besagen, dass der Sohn eines leitenden KP-Funktionärs bis 1989 als Informant (Code-Name Bureš) der Geheimpolizei StB geführt wurde. Offiziell war er bei einer staatlichen Handelsfirma angestellt, was ihm Reisen ins Ausland ermöglichte. Seit Mitte Oktober rollt nun in der Slowakei (!) das Verfassungsgericht den Fall wieder auf, nachdem es die Entscheidung einer untergeordneten Kammer aufhob, die Andrej Babiš 2014 entlastet hatte.

Robert Tait ist Osteuropa-Korrespondent des Guardian

Übersetzung: Carola Torti

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Robert Tait | The Guardian

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