Die Schlacht um Aleppo neigt sich dem Ende zu. Die vereinzelten Gruppen verzweifelter Syrer, die sich noch hinter den letzten Schießscharten der Rebellen zusammendrängen, müssen sich jetzt überlegen, ob sie auf die Seite der Regierungstruppen überwechseln. Oder ob sie bleiben und riskieren, verhaftet zu werden oder die Bedingungen eines in letzter Minute abgeschlossenen Deals zu akzeptieren, der allen, die noch übrig sind, erlaubt zu fliehen.
Aleppo wird von den Oppositionskräften und allen, die mit ihnen sympathisiert haben, gesäubert werden. Diejenigen, die fliehen oder von den Regierungstruppen verschont bleiben, werden ins Exil geschickt werden – wahrscheinlich nach Idlib, das unter der Kontrolle der jüngsten von Al-Qaida inspirierten Inkarnation der Al-Nusra-Front steht, die von allen Kriegsparteien als Terrororganisation eingestuft wird.
Idlib dürfte kaum also kaum ein Ort der Zuflucht sein. Nach Aleppo und dem noch vom IS gehaltenen Rakka ist die Stadt das letzte urbane Zentrum, das nicht von Regierungskräften kontrolliert wird. Es wurden bereits Flüchtlinge aus anderen Ecken Syriens nach dem Sieg der Regierungsgruppen dorthin gebracht, um abermals von russischen und syrischen Kampfjets bombardiert zu werden.
Die Anwesenheit von Dschihadisten bietet den perfekten Vorwand, um die Angriffe fortzusetzen – in der Argumentation der Regierung haben die Verknüpfung von extremistischen und gemäßigten Rebellen dafür immer eine wichtige Rolle gespielt. Sie in einen Topf zu werfen, war Teil der Strategie und ist ein schlechtes Zeichen für die Besiegten.
Assads Einschätzung, das Schicksal Aleppos werde für den Ausgang des Krieges von entscheidender Bedeutung sein, dürfte sich bestätigen. Doch sein Sieg sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stabilität und Souveränität des Landes noch für lange Zeit äußerst prekär bleiben werden.
Ohne Iran und Russland wäre Assad dieser Sieg versagt geblieben. Die beiden Länder haben weitaus größeren Anteil darans als Assads Armee. Der Iran übt seit drei Jahren einen wichtigen Einfluss darauf aus, wie der Krieg auf Seiten der Assad-Koalition geführt wird. Von Teheran bewaffnete und organisierte Milizen aus dem Libanon und dem Irak halfen bei der Eroberung Aleppos – ein Ziel, das für die Syrische Armee seit ihrer Vertreibung aus der Stadtmitte 2012 völlig außer Reichweite gestanden hatte. Mindestens ebenso wichtig waren natürlich die Feuerkraft und Reichweite der russischen Luftwaffe.
Nichts deutet darauf hin, dass Assad und seine Unterstützer Gnade walten lassen werden. Letztere scheinen aus verschiedenen Gründen entschlossen, die Eroberung auf das ganze Land auszudehnen. Doch während der gemeinsame Nenner Russlands und Irans bislang darin bestand, Assads politisches Überleben sowie die territoriale Integrität Syriens zu sichern, dürfte die nächste Phase des Konflikts für Assad strategisch schwieriger zu kontrollieren sein.
Iran will ein Nachkriegs-Syrien mit Damaskus als wiedererstarktem Brückenkopf für die Hisbollah zum Schutz gegenüber Israel und den USA. Und Teheran fordert mit Verweis auf seine Rolle im Krieg ein größeres Mitspracherecht, was den Nationalcharakter Syriens angeht. Dahingehende Bestrebungen zeigt das Land seit der Islamischen Revolution 1979, doch das jetzige Ausmaß an Machtinteresse ist neu.
Auch das neu erstarkende Russland wird sich seinen Anteil am Sieg sichern wollen. Wladimir Putin hat sich ein Mitspracherecht und ein Standbein in der Region gesichert, durch welches er Russland als mächtiges Land sichtbar machen kann. Russlands Einfluss in der Region wächst auf Kosten der USA, was sowohl deren Freunde als auch Feinde anerkennen. Nichts von alledem ist ein gutes Zeichen für jene, die in den letzten verwüsteten Ecken Aleppos warten müssen, oder bereits in Idlib sitzen, wohin die Siegertruppen sie sicherlich verfolgen werden.
Die Probleme aber, welche den Bürgerkrieg entzündet haben, bestehen unvermindert fort. Ein zentraler Faktor ist die Unzufriedenheit der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit. Ohne einen Politik, die sich mit dieser Unzufriedenheit auseinandersetzt und ihr entgegenwirkt, hat ein militärischer Sieg langfristig wenig Bedeutung.
Leid und Ungewissheit treten in eine neue Phase ein. Sie sind aber noch nicht zu Ende.
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